House of Horror - Schauspielhaus - kultur 158 - Juli 2019

House of Horroe
Foto: Thilo Beu
House of Horroe
Foto: Thilo Beu

Unterirdisch

Das Theater ist nicht demokratisch, auch kein Hort der Frauenfreundlichkeit. Es bespiegelt sich aktuell aber gern selbst im Gender-­Mainstream. Wenn man es säubern müsste von allem heutzutage politisch nicht Korrekten (wer entscheidet das?), blieben nicht mehr viele Stücke übrig.
Auch für Männer ist die Bühne übrigens ein gefährlicher Ort. Die Theatergeschichte ist voll von toten Schurken und Helden. Sie sterben jedoch selten an sexualisierter Gewalt, während die Liste weiblicher Tragödienopfer lang ist: betrogen, zwangsverheiratet, versklavt, vergewaltigt, ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Gern werden sie auch noch als Grund allen Übels angesehen wie die hochbegabte Pandora mit ihrer unheilvollen Büchse. Das Ensemble zitiert anfangs im Chor Hesiods Erzählung – inkl. Regieanweisungen. Schließlich soll es vor allem um das Theater gehen, seine hermetische Realität und seine Reflexion der Realität da draußen. Um die Demütigungen vom Vorsprechen bis zu man
gelnden Rollen für gestandene Schauspielerinnen, die dem Alter der Ophelias und Gretchens entwachsen sind. Und überhaupt um Geschlechtergerechtigkeit und Respekt. Sowie um die schlimme Wirklichkeit, die alltäglichen Misshandlungen von Frauen, Testosteron auf der Bühne und als ständige Waffe gegen weibliche Identität.
Der Regisseur Volker Lösch und die Autorin und Dramaturgin Christine Lang haben zusammen mit Ensemble-Mitgliedern und einem Bür­ger­innen-Chor das Bonner Schauspielhaus in ein House of Horror verwandelt. Untertitel des Projekts: Theater. Frauen. Macht. Das Ergebnis ist mehrschichtig. Da sind einerseits die fiktiven Bühnenfiguren mit ihren überwiegend von Männern formulierten Rollenbildern. Misogyne Äußerungen von angesehenen Autoren bis ins späte 20. Jahrhundert könnten ganze Bücher füllen. Andererseits sind da die Schauspielerinnen (großartig zwischen bekannten Dramenfiguren, Verweigerung von Rollenklischees und Karikaturen pendelnd: Sophie Basse, Annika Schilling, Birte Schrein, Lydia Stäubli und Sandrine Zenner) sowie die Schauspieler ­(Daniel Breitfelder und Daniel Stock), die die Machtstrukturen des ­Theaterbetriebs kritisch in Frage stellen. Die 2017 vor allem von Filmschauspielerinnen losgetretene „#metoo“-Debatte betrifft bekanntlich ja nicht nur die weibliche Seite des Geschäfts mit emotionaler und ökonomischer Ausbeutung, persönlicher Unsicherheit und patriarchalen ­Hierarchien.
Dominantes Bühnenelement (Bühne: Julia Kurzweg) ist ein riesiges Sofa, das sportliche Sprungbereitschaft verlangt, um einen der begehrten Plätze zu erobern. Shakespeares wüste Rachetragödie Titus Andronicus ist tatsächlich ein Stoff für blutige Albträume. Und so verschwinden Schrein und Zenner plötzlich unter viel Rauch und Getöse in der Versenkung. Quälend lang führt ein Film (Christine Lang ist auch Filmemacherin) in den höllischen Untergrund des Theaters. Angstvisionen in gespenstisch endlosen Fluren, auf Hinter- und Unterbühne, Kämpfe mit wahnsinnigen Starregisseuren und durchgeknallten Intendant/innen, an Eingeweiden lutschende Männer mit Penisnasen, gruselige Blicke in die Textwerkstatt Bertolt Brechts und seiner weiblichen ‚Schreibmaschinen‘ – bizarres Horrorkino von geringem Erkenntniswert.
Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt es ohnehin täglich zum allgemeinen Lustgewinn fast mehr Morde als die Jahresstatistiken hergeben. Wie üblich bezieht Lösch deshalb auch Bühnen-Laien ein. Hier sind es sechs Frauen, die von Erfahrungen mit Alltagsdiskriminierung und ‚normaler‘ Übergriffigkeit berichten und damit die Betroffenheit wecken, die sich ansonsten zwischen viel lautem, leerem Aktionismus und schlechtem Horrorkino kaum einstellt.
Am Ende gemeinsame große Party und Schlusschor mit der ironischen Vision eines neuen Goldenen Zeitalters. Wenn alles auf der Welt gut ist, braucht man/frau jedoch auch kein Theater mehr. Vielleicht sollte man mehr Komödien spielen, wo notorisch aufgeweckte Frauen die Handlungsfäden sortieren. Leider war Pandoras bösestes Geschenk die Hoffnung. Die Botschaft der aufwendigen Vorstellung verschwimmt derweil im üppigen Bühnennebel. Keine neuen Einsichten, bestenfalls eine Sensibilisierung für die „Burning Issues“, die in Bonn von der ehemaligen Schauspieldirektorin Bramkamp öffentlichkeitswirksam befeuert wurden. Erschöpfter Premierenbeifall. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden, keine Pause
Die letzte Vorstellung in dieser Spielzeit: 29.06.19
Eine Wiederaufnahme ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Donnerstag, 05.09.2019

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