Die Sizilianische Vesper (Les Vêpres siciliennes) - Oper Bonn - kultur 158 - Juli 2019

Die Sizilianische Vesper
Foto: Thilo Beu
Die Sizilianische Vesper
Foto: Thilo Beu

Große Oper auf Weltklasse-Niveau

Hochspannung bis zum letzten Takt. Und dann wird in Sekunden alle Hoffnung zerstört. Die Sizilianer revoltieren gegen die französischen Besatzer. Das blutige Gemetzel um Ostern 1282 ging als „Sizilianische Vesper“ in die Geschichte ein und bildet den historischen Hintergrund von Verdis 1855 in Paris uraufgeführter Oper. Für eine internationale Karriere war ein Erfolg in der französischen Hauptstadt wichtig. Dafür nahm der Komponist die Schwächen des Librettos – verfasst von dem prominenten Autor Eugène Scribe und seinem Mitarbeiter ­Charles Duveyrier – in Kauf. Sicher wusste ­Verdi auch, dass der Text bereits anderweitig Verwendung gefunden hatte. Das politische Geschehen bildet hier aber nur den Anlass für eine leidenschaftliche Liebesgeschichte und einen privaten Vater-Sohn-Konflikt.
Der britische Starregisseur David Pountney, viele Jahre lang Leiter der Bregenzer Festspiele, inszeniert die selten gespielte französische Originalfassung von Verdis Meisterwerk ungemein stimmig und bildkräftig. Dominierendes Element des Bühnenbildes von Raimund Bauer sind verschiebbare große schwarze Rahmen, in denen die von Thomas Roscher brillant ausgeleuchteten Szenen ständig neue Perspektiven eröffnen. Prachtvoll farbig gewandet sind die Franzosen, uniformierte ­Wach­posten hocken auf Hochsitzen. Die unterdrückten Sizilianer tragen Schwarz (Kostüme: Marie-Jeanne Lecca).
Für die musikalische Hochspannung sorgt das geradezu elektrisierende Dirigat von Will Humburg am Pult des mit Tempo, Energie und zugleich feinster klanglicher Sensibilität spielenden Beethoven Orchesters Bonn. Ein Sonderlob verdienen dabei unbedingt die Instrumentalsolisten. Glanzleistungen liefern auch Chor und Extrachor unter der Leitung von Marco Medved.
Star der Aufführung ist die hier bestens bekannte Sopranistin Anna Princeva (neuerdings Mitglied des festen Ensembles), die der Herzogin Hélène ihre ausdrucksstarke Stimme und ihre schauspielerische Energie leiht. Sie will Rache für ihren von den Franzosen hingerichteten Bruder. Als die übergriffigen Soldaten sie auffordern, ein Lied zu singen, nutzt sie das für einen versteckten Aufruf zur Revolte. Der junge Widerstandskämpfer Henri, bei der Premiere eindrucksvoll gesungen von dem italienischen Tenor Leonardo Caimi, der die Partie auch schon an der Bayerischen Staatsoper verkörperte, bewundert die mutige Frau, ist für sie jedoch zunächst bloß Mittel zum Zweck. Die zart aufkeimende Liebe der beiden gerät erst mal in den Hintergrund, wenn der aus dem Exil heimgekehrte Revolutionär Procida (überzeugend: der russische Bass Pavel Kudinov) seine berühmte Vaterlands-Hymne anstimmt.
Vor dem mächtigen Gouverneur Montfort kuschen freilich doch fast alle. Der italienische Bariton Davide Damiani (in anderen Vorstellungen: ­Ensemblemitglied Mark Mourouse) gibt der Figur eine perfekte ­Mischung aus bürokratischer Loyalität, Brutalität und Melancholie. Durch einen Brief von Henris verstorbener Mutter hat er erfahren, dass Henri sein Sohn ist, und entwickelt plötzlich väterliche Gefühle. Henri erwidert diese nicht, steht aber nun in der Ehrenpflicht, seinen Erzeuger zu schützen. Ein genialer Kunstgriff ist das tänzerische Intermezzo im dritten Akt, ein Muss in der französischen Grand Opéra. Die Choreografin Caroline Finn erzählt zu Verdis festlichem „Jahreszeitenballett“ mit sechs hervorragenden Tänzer*innen die Geschichte von Henris Mutter, die von dem jungen Montfort umworben und schließlich vergewaltigt wurde. Hinter goldenen Mas­ken beobachten die ­Gäste ungerührt den dramatischen Totentanz.
Drastisch geht es auch zu, nachdem Hélène und Procida bei ihrem Attentatsversuch bei Montforts ­Maskenball (bereits bei der Tarantella im zweiten Akt schlägt ein fröhlicher Tanz junger Paare in eine Gewaltorgie um) verhaftet wurden. Deutlich von Misshandlungen gezeichnet werden sie zwei riesigen Henkersfiguren vorgeführt, bis Henri verzweifelt „Mein Vater“ schreit und einen überraschenden Sinneswandel auslöst. Montfort möchte durch die Vermählung Henris mit Hélène eine Versöhnung der feindlichen Gruppen herbeiführen. Zu spät: Beim Läuten der Hochzeitsglocken werden die Sprengladungen in den beiden großen Königspuppen gezündet.
Zur optischen Opulenz, musikalischen Brillanz und dramaturgischen Intelligenz kommt noch hinzu, dass auch die kleineren Rollen hochkarätig besetzt sind. Ava Gesell (Hélènes Zofe Ninetta), Leonard Bernad (Le Sire de Béthune), David Fischer (Danieli / Mainfroid), Giorgos Kanaris (Robert), Jeongmyeong Lee (Thibaut) und Martin Tzonev (Le Comte de Vaudemont) tragen entscheidend zum Gelingen der Aufführung bei.
Rasender Premierenapplaus, Standing Ovations, Bravi für alle und ein Beifallsorkan für Anna Princeva. Ein kleiner Wermutstropfen bei all dem Jubel: Die Inszenierung kann nicht in die kommende Spielzeit übernommen werden. Es ist eine Koproduktion mit der von David Pountney künstlerisch geleiteten Welsh National Opera. Wer’s in Bonn verpasst hat, sollte demnächst nach Cardiff reisen, wo Les Vêpres siciliennes am 20. Februar 2020 Premiere hat. Das Gute wiederum: Die Oper ist der letzte Teil einer Verdi-Trilogie. Pountneys Inszenierungen von Macht des ­Schicksals und Maskenball werden also in den kommenden Spielzeiten (nicht der nächsten) auch in Bonn zu erleben sein. E.E.-K.


Spieldauer ca. 3½ Stunden inkl. einer Pause
Die letzten Vorstellungen:
29.06. // 5.07.19

Donnerstag, 05.09.2019

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