Liliom - Schauspielhaus - kultur 155 - April 2019

Liliom
Foto: Thilo Beu
Liliom
Foto: Thilo Beu

Rasante Gefühlsachterbahn

Keine Rührseligkeit, kein Kirmeskitsch. Der Rummelplatz ist nichts für Zimperliche. Ein hartes Geschäft halt für die Illusionsverkäufer und deren prekär Beschäftigte. Aber Liliom ist ein attraktives Naturtalent bei der Werbung für Frau Muskats Karussell. Ein nicht mehr ganz junger Typ mit üppigen braunen Locken und goldfarbener Bomberjacke, der gern mal kokett seine tätowierte Brust zeigt, um die Mädchen anzulocken auf Schaukelpferde und Hirschattrappen. Ab und zu wird es poppig laut („We are Family“, „I Believe in Magic“) in ­Sascha Hawemanns Inszenierung von Ferenc Molnárs „Vorstadtlegende“ Liliom, dem einzigen Werk des ungarischen Dichters (geboren 1878 in Budapest, gestorben 1952 in New York), das seine steile Karriere zum internationalen Bestsellerautor und schreibenden Bestverdiener überlebte.
Meistens bleibt es jedoch sensibel poetisch auf der Bühne von Wolf Gutjahr mit einer hölzernen Glühbirnenwand im Hintergrund und bunten Leuchtschnüren vom Theaterhimmel. Keine realistische Vergnügungspark-Kulisse also für die Gefühls-Achterbahn der sozialen Verlierer. Statt des kreisenden Fahrgeschäfts gibt es Rollschuhe, auf denen die Dienstmädchen Julie und Marie unermüdlich ihre Runden drehen. Dem notorischen Hallodri Liliom ist es eigentlich egal, welche von beiden ihm den Abend versüßt. Alle romantische Süßlichkeit verweigert die Regie dem dramatischen Personal ohnehin rigoros. Keine Prater-Nostalgie wie in Alfred Polgars deutschsprachiger Übersetzung, die 1913 am Wiener Theater in der Josefstadt den Siegeszug des 1909 bei der Uraufführung in Budapest gnadenlos durchgefallenen ­Stücks begründete.
Es ist die ruppige Zärtlichkeit, die im sozialen Überlebenskampf keine Wörter mehr findet, aber unter Hawemanns präzisem Blick auf die wie flache Schießbuden-Figuren konstruierten Akteure jedem eine berührende Menschlichkeit verleiht. Auf Ungarisch präsentiert im Vorspiel Christoph Gummert als Erzähler die Geschichte des charmanten Außenseiters Liliom, der vom nichtsnutzigen Kerl vergeblich zu einem echten Menschen werden wollte. Gummert ist in diversen Rollen (meistens im sportlichen Rollschuh-Pflicht-Programm, aber auch mit allerhand raffinierten Kürnummern versorgt) der Spielmacher beim Schicksal der notorischen Verlierer und am Ende sogar der schillernde Herrgott (tolle ­Kostüme: Ines Burisch), der den Sternenstaub und seine Disko-Weltkugel gern seinem himmlischen Personal überlässt.
Holger Kraft gibt überzeugend den robusten Möchtegern-Rocker Liliom, der vollkommen naiv in eine große Liebe stolpert und der ständig erlebten Brutalität nur mit Gewalt antworten kann. Annina Euling spielt ungemein stark die bald schwangere Julie im weißen Sommerkleidchen, die alle blutigen Schläge aushält, weil sie ja weiß, dass ihr arbeitsloser Mann sie nur aus herz-schmerzender Schwäche im Flackerlicht verprügelt. Lena Geyer glänzt als Julies Freundin Marie, die sich einen anhänglichen Wolf mit Salutier-Kompetenz und Shopping-Potenz ins Heirats-Schlepptau holt. Timo Kählert spielt unverschämt frech den windigen Gauner Ficsur, der Liliom zu einem kriminellen Coup animiert. Das Geld aus dem geplanten Raubmord an einem Juden (Linzmann hat jedoch eine Pistole griffbereit und ist den Amateur-Gangstern mit Hang zum Trainspotting in jeder Hinsicht überlegen) hat er sowieso schon beim Kartenspiel verloren, weshalb in die ersten Reihen des Zuschauerraums ein paar Reste seiner Glücksillusionen flattern.
Einen der schönsten Momente in dem wunderbar traurigen, oft jedoch auch komischen Märchen hat jedoch Ursula Grossenbacher als zuvor ebenso coole wie eifersüchtige Kleinunternehmerin Muskat, die an der Seite ihrer jungen Rivalin um den Mann ihres Lebens trauert, der sich aus Scham vor seiner Armut und seiner Daseins-Untauglichkeit mit einem Küchenmesser umgebracht hat. Lilioms Warteschleife im Fegefeuer ist kurz wie seine Rückkehr auf die Erde. Kein reuevoller Papa, kein Sehnsuchtskitsch. Seine inzwischen sechzehnjährige Tochter Luise zieht mit ihrer gleichaltrigen Freundin Marie ihre Rollschuhkreise und will keinen Stern von einem fremden Mann. Alle anderen sind alt geworden im melancholischen Schlussbild. Die Frage nach Recht oder Unrecht stellt sich nicht mehr. Einen deutlichen Anteil an den leisen Tönen hat Regieassis­tent Emanuel Tandler am Klavier. Langer Premierenbeifall für das großartige Schauspiel-Ensemble und das ganze Inszenierungsteam. Eine dezidiert unsentimentale Vorstellung, die trotzdem emotional berührt.
E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause

Donnerstag, 08.08.2019

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