Mord im Orientexpress - Gastspiel NRW-Juniorballett - Oper Bonn - kultur 153 - Februar 2019

Getanzter Thriller

Jeder Kino-Fan kennt das: Irgendwo kurz hinter Belgrad steckt der Luxuszug von Istanbul nach Calais in einer Schneewehe fest. In der Nacht wird ein amerikanischer Passagier in seinem noblen Abteil ermordet. Exakt zwölf Messerstiche beendeten sein Leben. Mit an Bord des legendären „Orient-Express“ ist der belgische Meisterdetektiv Hercule Poirot, der den komplizierten Fall zwar aufklärt, aber der Polizei eine einfachere Lösungsvariante präsentiert. Klar: Wir befinden uns in dem mehrfach prominent verfilmten Krimiklassiker von Agatha Christie. Natürlich wird die bekannte Story nicht einfach nacherzählt in der Tanz-Version von Mord im Orient-Express, mit der das NRW-Juniorballett am letzten Advent-Sonntag das Bonner Publikum ins nahezu ausverkaufte Opernhaus lockte.
Kein klassisches Märchenballett diesmal und nicht der um Weihnachten eigentlich unvermeidliche Nussknacker, sondern ein getanzter Thriller. Der gebürtige Argentinier Demis Volpi, vielfach ausgezeichneter ­Nachwuchs­choreograf und Musiktheater-Regisseur, ist quasi der Reiseleiter des ­Teams. Für die neun Szenen hat er noch drei weitere, international erfahrene Künstler seiner Generation mitgenommen – alle auf dem Sprung vom Tanz in renommierten Ensembles zur Choreografie-Karriere. Das ist besonders reizvoll, weil die junge Truppe so in pausenlosen 75 Minuten ganz verschiedene Bewegungs-Handschriften vorstellen kann. Das NRW-Juniorballett, 2014 gegründet vom Dortmunder Ballett-Chef Xin Peng Wang, ist eine eigenständige Compagnie aus fertig ausgebildeten hochbegabten Tänzern, die neben ihrer Einbindung in Produktionen des Ballett Dortmund in speziell für sie kreierten Werken wichtige Bühnenerfahrungen sammeln. In kurzer Zeit hat sich das zu einer Exzellenz-Initiative entwickelt, die Talente aus aller Welt fördert. Mit ihrer frischen Energie überzeugten sie beim Gastspiel in der Reihe „Highlights des internationalen Tanzes“ deutlich mehr als die angedeutete Story.
Die gebürtige Engländerin Tatyana van Walsum (Bühne und Kostüme) hat dafür ein abstrakt-kühles Dekor aus verspiegelten Würfeln entworfen, das die vier Landschafts-Passagen im Nirgendwo markiert, suggestiv ausgeleuchtet von der kanadischen Lichtdesignerin Bonnie Beecher. Volpi, ausgebildet an der Stuttgarter Cranko-Schule und bis 2017 Hauschoreograf am Stuttgarter Ballett, heizt die Lokomotive zu den stampfenden Rhythmen des Amerikaners Even Chambers an mit schwarz gekleidetem Personal bis zum unfreiwilligen Stopp auf der Balkanroute. Der Australier Craig Davidson hat zu Streicherklängen von Philip Glass die „Opfer“-Szene choreografiert. Ein spektakulärer Mord führte die Reisenden zusammen. Die Frau im roten Gewand wird zum weißen Gespenst mit roten Spitzenschuhen in einem traumhaft neoklassischen Pas de deux. Die gebürtige Russin Xenia Wiest schickt ironisch einen Haufen quirliger Detektive mit geschulterten Pistolenholstern zu Jazz-Klängen ins Rennen. Später versucht man mit Taschenlampen, Licht ins Dunkel des Verbrechens zu bringen. Der Spanier Juanjo Arqués lässt die „Zeugen“ zu György Ligetis Lontano für großes Orchester ihr abgekartetes Spiel treiben.

Jede Szene hat ihre ganz eigene musikalische Farbe und tänzerische Form. Dabei bleibt das zentrale Verbrechen selbst fast marginal. Nur im Hintergrund wird die Geschichte der 1883 eröffneten Bahnverbindung zwischen Orient und Okzident angedeutet. Es geht vielmehr um Schuld, Rache und die archetypischen Mechanismen von Gewalt. Sowie eine kollektive Hinrichtung mit zwölf Tätern, die gleichzeitig Opfer sind. Gegen die Oberflächenspannung der Handlung setzt das Ensemble die körperliche Spannung der Beziehungen zwischen Individuum und Gruppe. Die Moral der Geschichte bleibt offen wie im Roman. Verdienter, langer Beifall. E.E.-K.

Mittwoch, 31.07.2019

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