Thomas Reis - kultur 116 - Mai 2015

Ich bin dogmatismusgeschädigt – Thomas Reis über Zoten, Kriege und die Renaissance des agnostischen Geistes

– von Thomas Kölsch

Noch ein Programm über das Altern? Endlich 50 als logische Erweiterung der Frage Gibt es ein Leben über 40? Gibt es nicht schon mehr als genug derartige Kabarett-Abende? Ja – und Nein. Denn im Falle von Thomas Reis steckt mehr dahinter als die Erörterung von Bierbäuchen und Potenzstörungen. „Natürlich muss ich schauen, was gut ankommt“, gesteht er im Interview. „Mein Leben-über-40-Programm war sehr erfolgreich, so dass ich es fast zehn Jahre lang gespielt habe. Jetzt habe ich eben den Nachfolger geschrieben.“ Doch der Kabarettist hat mehr zu sagen, will ausdrücklich mehr sagen. „Was mich umtreibt, muss ich auch artikulieren“, erklärt er. Auch wenn das nicht immer allen gefällt. Vor allem seine Haltung zur Kirche stößt manchen Leuten auf. „Ich war schon immer dogmatismusgeschädigt, wie die meisten meiner Generation. Privat bin ich inzwischen ruhiger geworden, aber gerade in meiner Religionskritik eher noch radikaler. Das hat mir auch schon manche Verwünschungen aus dem christlichen Lager eingebracht.“

Nicht zuletzt nach dem Anschlag auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ Anfang des Jahres hat sich Reis, wie viele seiner Kollegen, lautstark zu Wort gemeldet. „Ich habe einige der Mitarbeiter des Magazins gekannt, da ist man natürlich persönlich betroffen. Aber es war zugleich ein Angriff auf die Freiheit selbst.“ Ein religiös motivierter, wohlgemerkt. „Das hat bei mir zu einer Renaissance des agnostischen Geis­tes geführt“, sagt Reis. Der hat den Kabarettisten schon vorher beeinflusst, aber nun seinen Einfluss ausgedehnt. Das kommt nicht überall gut an. „Ich habe zum Beispiel einmal in Anlehnung an Erasmus von Rotterdam gesagt, Religion sei etwas für Kinder und Narren. Daraufhin erhielt ich richtig böse Briefe, das kam teilweise schon fast einer christlichen Fatwa gleich.“ Dabei war es dem 52-Jährigen durchaus bewusst, dass seine Provokationen auch in den falschen Hals gelangen können. „Andererseits denke ich mir, Toleranz muss man zulassen, sonst wird sie toleranzig.“

Doch Thomas Reis ist nicht nur für seine scharfzüngige, wortgewaltige Satire bekannt – er kann auch anders. „Ich scheue mich nicht vor Zotenhaftigkeit“, gesteht er, „wenn ich damit das Publikum unterhalten und gleichzeitig meine Botschaft vermitteln kann.“ Auch auf das Risiko hin, missverstanden zu werden. Zu seinem Programm Machen Frauen wirklich glücklich? von 2007 gab es etwa eine Kritik, die Reis in die Nähe von Mario Barth rückte – dies schlägt sich sogar in dem Wikipedia-Eintrag des Wahl-Kölners nieder. „Dabei war das meines Wissens nur ein Journalist, der das so sah“, erzählt Reis lachend. „Eigentlich war das Programm ja mein Anti-Barth und durchaus intellektuell. Und dann zieht das solche Kreise...“

Doch während er zu derartigen Ereignissen eine gewisse Distanz halten kann, fällt ihm das in anderen Momenten deutlich schwerer. Vor allem die Krisen im Nahen Osten gehen ihm nahe. „Ich war früher für einige wenige Jahre als Journalist in dieser Region unterwegs, habe damals schon meinen sozialen Dienst in Beirut abgeleistet und dann viele Krisengebiete besucht. Ich kenne Situationen, in denen die Grenzen zwischen Gut und Böse zerfließen. Wenn man das lange genug macht, stumpft man irgendwann ab – oder versucht, sich mit schwarzem Humor zu retten. Ich habe rechtzeitig aufgehört, weil ich das Leid nicht mehr aushielt, aber seitdem verstehe ich Satire selbst als einen Akt der Befreiung.“ Der zugleich sehr anstrengend sein kann. Auch wenn es manchmal eben sein muss. „Ich spiele momentan noch eine Nummer, wo ich über die Drogenkartelle in Mexiko spreche, die Kindern ihre Organe entnehmen und über Los Angeles in die Welt hinausschicken. Auch das ist meiner Meinung nach ein Punkt, der in einem Pro-Aging-Programm seinen Platz hat.“

Nicht nur das Schwanken zwischen der Freude auf den nahenden Herbst des Lebens und den ersten Zipperlein, nicht nur wohlformulierte, aber letztlich harmlose Gags und das Bedienen von Zuschauerwünschen. Ab und zu soll das Publikum auch mal schlucken müssen. Und froh darüber sein, dass es das noch kann.

Donnerstag, 10.09.2015

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