Andrej Kaminsky - kultur 115 - April 2015

Andrej Kaminsky
Foto: Thilo Beu
Andrej Kaminsky
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Andrej Kaminsky
– Valmont, Dorn, Etzel und ein torkelnder Planet

Seinen Vornamen verdankt der Schauspieler, der seit der Spielzeit 2013/14 fest am Bonner Schauspiel engagiert ist, seiner russischen Mutter. Seinen polnischen Nachnamen seiner ersten Gattin, mit der er einen erwachsenen Sohn hat. Andrej Kaminskys Eltern lernten sich beim Studium in Moskau kennen und waren nach der Ausbildung im diplomatischen Dienst der DDR tätig. Mehrere Jahre arbeiteten sie in Helsinki, wo Kaminsky 1964 zur Welt kam. „Eine offizielle DDR-Botschaft gab es dort erst seit 1973, aber die politischen Beziehungen zu Finnland waren gut. Trotz der Abschottung, in der das diplomatische Personal dort lebte, haben die Natur und die Landschaft Finnlands eine große Sehnsucht in mir hinterlassen. Aufgewachsen bin ich überwiegend in Berlin. Teilweise bei meiner Großmutter, wenn meine Eltern im Ausland arbeiteten“, erzählt Kaminsky. „Unsere Schule im ehemaligen Diplomatenbezirk Pankow war recht privilegiert und hatte ein tolles Angebot an verschiedenen Sportarten und kulturellen Aktivitäten. Leichtathletik und Segelfliegen gefielen mir besonders, aber auch die Ausbildung zum Amateurfunker. An die paramilitärischen Aspekte habe ich als Jugendlicher überhaupt nicht gedacht. Ganz speziell mochte ich in den 1980er Jahren die Singegruppen und das DDR-typische Liedertheater. Schon als Schüler habe ich einen Goethe-Abend mit Klavierbegleitung gestaltet. Unsere Schule war außerdem auf Sprachen spezialisiert. Die Freude am Spielen mit Sprache ist bis heute geblieben. Dass ich in Bonn häufig berlinere, ist allerdings auch eine leichte Provokation.“
Berlin ist weiterhin sein Lebensmittelpunkt. Dort wohnt er mit seiner Frau, der Regisseurin Mareike Mikat. Im April wird Kaminsky erneut Vater und geht dann bis zum Ende der laufenden Saison in Elternzeit. Seine kleineren Rollen wie der Arzt Dorn in Tschechows Möwe und der Kaplan und König Etzel in Hebbels Nibelungen werden umbesetzt. Die vorgesehenen Wiederaufnahmen von Metropolis, wo Kaminsky den regimetreuen Spion „Der Schmale“ spielte, und von Welt am Draht in der Halle Beuel, wo er den korrupten Chef Siskins verkörperte, stehen sowieso nicht mehr auf dem Spielplan. „Bei der Arbeit an dem Fassbinder-Stück war es für uns alle schlimm, wie der sterbenskranke Hausregisseur Joerg Zboraliski quasi vor unseren Augen verschwand. Vielleicht hat diese traurige Erfahrung das Ensemble noch enger zusammengeschweißt. Aber ich finde die Schauspiel-Truppe in Bonn sowieso ganz fantastisch und fühle mich hier sehr wohl.“
In der Regie von Mirja Biel, die bis zu dessen Tod mit Zboralski privat und künstlerisch ein Team bildete, steht er am 19. April zum letzten Mal in den Kammerspielen als Valmont auf der Bühne in Gefährliche Liebschaften nach Laclos. „Emotional berührt mich diese schillernde Figur kaum. Ich spiele diesen amoralischen Intellektuellen, der in seine eigenen Fallen tappt, jedoch sehr gern. Ich genieße es, eigene Lesarten zu entwickeln und sehe den Schauspieler immer als selbstständigen Performer.“
Dass er Schauspieler wurde, war eher Zufall: „Ein Freund nahm mich mit zum Vorsprechen an der Hochschule für Schauspielkunst ‚Ernst Busch‘.“ 1989 schloss Kaminsky dort sein Studium ab und bekam zusammen mit sechs Kommilitonen das erste feste Engagement am Theater Rudolstadt, wo ihn besonders die Regisseurin Konstanze Lauterbach beeindruckte. Die nächste Station war Frankfurt/Oder, wo er u.a. mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg zusammenarbeitete und vor allem mit Armin Petras, mit dem er nach verschiedenen Gastengagements nach Nordhausen und später nach Kassel zog. Von 1995 bis 1998 leitete Kaminsky in Nordhausen unter der erfolgreichen Intendanz von Chris­toph Nix die Sparte Kinder- und Jugendtheater, für die er auch eigene Stücke und Opernbearbeitungen schrieb. Großen Spaß gemacht hat ihm deshalb im vergangenen Dezember sein Auftritt mit dem Beethoven Orchester als Sprecher in Prokofieffs musikalischem Märchen Peter und der Wolf. „Ich liebe den Text und habe ihn schon vor etlichen Jahren neu übersetzt.“
Musik spielt überhaupt eine wichtige Rolle in seinem Leben. 2001 gründete er mit drei Sängern, zwei Schauspielern und einem Pianisten das Ensemble Harmonisch & Co, das Lieder im Stil der Comedian Harmonists präsentierte. Seit 2005 lehrt er gelegentlich an seiner früheren Hochschule „Ernst Busch“ und an der Filmhochschule Babelsberg. Für mehrere Kino- und TV-Produktionen stand er vor der Kamera, 2012 z.B. für den Tatort Todesbilder. Von 2008 bis 2013 war er fes­tes Ensemble-Mitglied am Leipziger „Centraltheater & Scala“ unter der Intendanz von Sebastian Hartmann. „Es war eine unglaublich tolle, intensive Zeit.“ Hartmann, der das Leipziger Schauspiel zu einem der bundesweit interessantesten machte, kannte Kaminsky noch von Nordhausen. Mit Nix, nach seiner Intendanz am Staatstheater Kassel seit 2006 Chef am Stadttheater Konstanz, ist er bis heute befreundet. „Die Entdeckerlust dieses brillanten Juristen und Künstlers ist faszinierend und hat mein Theaterverständnis entscheidend geprägt.“
Zu Hartmanns Entdeckungen in Leipzig gehörte u.a. Mareike Mikat, von „Theater Heute“ mehrfach als Nachwuchsregisseurin des Jahres nominiert. 2013/14 spielte Kaminsky in ihrer Aufsehen erregenden Inszenierung Unter Drei. Beate, Uwe und Uwe die rechtsradikale Beate Zschäpe. Die Produktion des Berliner freien Theaters Ballhaus Ost war auch in Braunschweig und Stuttgart zu sehen.
Gastrollen führten Kaminsky in den letzten anderthalb Jahrzehnten u.a. ans Volkstheater München, ans Maxim-Gorki-Theater Berlin, ans Staatstheater Kassel und ans Badische Staatstheater Karlsruhe. Sehr begeis­tert war er dort von der Arbeit mit Hansgünther Heyme, der 2013 Georg Kaisers expressionistisches Diptychon Gas I und II als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen herausbrachte. „Es war spannend, mit diesem legendären Regisseur eine Rolle zu entwi­ckeln.“ Die Endzeitstimmung des Stücks hat durchaus etwas zu tun mit Patrick Wengenroths Deutschland-Revue in der Bonner Werkstatt. Kaminsky mag die umstrittene Chronik eines torkelnden Planeten sehr und wird für seine große Rolle dann doch trotz Elternzeit öfter mal von Berlin nach Bonn kommen.
Sicher hat das auch etwas mit seinem Interesse an Literatur und Sprache zu tun: „Schon als Student war ich ein Fan von Volker Braun und Arno Schmidt.“ Dem Dichter Wolfgang Hilbig hat er in Leipzig schon zwei eigene Inszenierungen gewidmet und würde dessen Roman Das Provisorium gern mal in Bonn vorstellen. In der Schublade liegt zudem noch ein fertiges Projekt zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung mit 25 Nachwende-Texten von DDR-Autoren.
Kaminsky geht es vor allem darum, aus Widersprüchen Konsequenzen zu ziehen: „Im Theater kann und muss man Dialektik leben. Dafür sind hochspezialisierte Spieler nötig. Wenn eine Gesellschaft das für überflüssig hält, bringt sie sich selbst in Gefahr. Ich bin indes recht zuversichtlich, dass das Theater sich auch unter schwierigen Umständen immer wieder erneuern wird.“

Donnerstag, 10.09.2015

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