Herz der Finsternis - Halle Beuel - kultur 117 - Juni 2015

Herz der Finsternis
Foto: Theater Bonn
Herz der Finsternis
Foto: Theater Bonn

Reise in den Wahnsinn


In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann der „Wettlauf um Afrika“. Die europäischen Staaten teilten den schwarzen Kontinent unter sich auf - mit dem Ziel, ihn zu erforschen und mit dem ‚Licht der Zivilisation‘ zu beglücken. Tatsächlich vor allem, um seine Schätze gnadenlos auszubeuten. Der belgische König Leopold II. sicherte sich 1885 bei der von Reichskanzler Bismarck einberufenen „Kongokonferenz“ in Berlin das rohstoffreiche Kongo-Gebiet als persönliches Eigentum. Unter seiner Herrschaft wurde die einheimische Bevölkerung bei der Gewinnung von Elfenbein und Kautschuk grausam misshandelt. Millionen von Afrikanern fielen der brutalen Kolonisierung zum Opfer.
In der Halle Beuel balgen sich die weißen Regenten (unter Mithilfe von zwei schwarzen Hühnern) wie ausgelassene Kinder um einen großen Kuchen in der Form Afrikas. Auch einige Zuschauer bekommen ein Stück davon ab. Jan-Christoph Gockel, seit dieser Spielzeit Hausregisseur am Staatstheater Mainz, hat zusammen mit dem Dramaturgen David Schliesing neben den Protokollen der Berliner Konferenz noch diverse andere Texte in seine Inszenierung von Herz der Finsternis montiert. Joseph Conrads 1899 erschienene gleichnamige Erzählung bleibt jedoch der rote Faden der Aufführung. Es ist eine Reise zu den dunklen Geheimnissen des Dschungels und den Gräueln der europäischen Kolonialpolitik, die bis heute nachwirken und Afrika nicht zur Ruhe kommen lassen.
Ein großer Flussdampfer dominiert das Bühnenbild von Julia Kurzweg. Auf dem schrottreifen Schiff tummeln sich die weißen Passagiere, unterwegs in eine Fremde, die sie in den Wahnsinn treiben wird. Die Langeweile ist mörderisch: Hajo Tuschy klatscht ständig unsichtbare Insekten tot, Benjamin Grüter hackt als Erzähler Marlow (Conrads Alter Ego) auf der Schreibmaschine herum, Alois Reinhardt entwickelt bizarre Phantasien, Laura Sundermann im eleganten Khakikleid oder schicken Bikini (Kostüme: Anit Epstein) lümmelt an der Reling rum. Der schwarze Schauspieler und Musiker Komi Togbonou (als Kind afrikanischer Einwanderer aufgewachsen im Remscheid) lädt zum Tanz ein. Nachdem er kurz zuvor in einem der eindringlichsten Sprachbilder Conrads einen der Sterbenden gemimt hat, die die Eroberer nach schrecklicher Verstümmelung (die Effizienz des Schusswaffen-Einsatzes wurde durch abgehackte Gliedmaßen bewiesen) in einem Todeshain hilflos verenden lassen.
Gockels Inszenierung verdichtet mit seinem fabelhaften Darstellerteam die schwüle Atmosphäre des Dschungels, in dem die Natur bedrohlich wuchert und die Gefühle sich immer weiter verwirren, zu einem giftigen Gebräu aus Gewalt, Korruption und Zynismus.
Mal surfen die Jungs munter auf den per wassergrüner Folie herbeigezauberten Flusswellen (kleine Reminiszenzen an Coppolas ebenfalls auf Conrads Novelle beruhendem Kinomeisterwerk Apocalypse Now gibt es auch sonst gelegentlich), mal verkleidet sich die Truppe zu einem grotesken Mummenschanz. Laura Sundermann liefert per Videokamera Live-Aufnahmen aus dem Nahbereich der Akteure und dem Publikum ungeahnte Perspektiven. Rheinromantik mit Loreley auf dem Kongo: Man weiß durchaus, was es bedeutet.
Söldner „Kongo-Müller“ berichtet ungeniert von seinen Folterpraktiken im Kongo-Krieg Mitte der 1960er Jahre und den erholsamen Abenden im Goethe-Institut bei klassischer Musik. David Schliesing beweist dabei in seiner letzten Bonner Arbeit auch sein pianistisches Können. Dazwischen tauchen Bilder von übel zugerichteten Elefanten auf. Ihre Stoßzähne waren weltweit begehrt wie heute das überwiegend in Zentralafrika abgebaute Erz Coltan, das in praktisch allen elektronischen Geräten vorkommt.
Marlow hat den Auftrag, dem höchst erfolgreichen Elfenbein-Beschaffer Mister Kurtz auf die Spur zu kommen, der offenbar aus dem Ruder gelaufen ist, sich von den Einheimischen vergöttern lässt und im Urwald sein eigenes Imperium aufgebaut hat. Kurtz bleibt hier eine literarische Fiktion. Aber der weiß geschminkte Schwarze macht die Europäer zu nackten Affen. Die weiße Rasselbande mit bunten Folkloremas­ken und schwarzen Plastikpenissen nervt wie Touristen auf einem Exotik-Trip. Da wird der schwarz-weiße Blickwinkel bis zum Abwinken aufgebrochen. An vielen anderen Knickstellen indes bissiger. Ohne moralinsauer erhobenen Zeigefinger oder Denunziation allen philanthropischen Engagements. Zweifel bleiben jedoch, ob es Sinn macht, anderen Kulturen eine Erleuchtung überzustülpen, die die globale Zukunft eher verdunkelt.
Herz der Finsternis ist insofern genau ein Stück für die UN-Stadt Bonn, in der das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung immer noch seinen Hauptsitz hat. Aber auch jenseits aller Lokal-Anbindung ein Denkanstoß. Einfache Lösungen gibt’s sowieso nicht. Ratlosigkeit ist aber ein Anfang. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2½ Stunden, eine Pause

Dienstag, 25.08.2015

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