Das Fest - Kammerspiele - kultur 118 - Juli 2015

Das Fest
Foto: Thilo Beu
Das Fest
Foto: Thilo Beu

Unselige Familienbande
Es wird viel geraucht und noch mehr getrunken am großen Tisch in Helges Landgasthof, wo sich die ganze Familie zusammengefunden hat, um den 60. Geburtstag des Patriarchen zu feiern. Helge, erfolgreicher Hotelier, charmant jovial und grandios verkörpert von Bernd Braun. Das Publikum sitzt in den Kammerspielen auf zwei Seiten beinahe mit an der Festtafel (Bühne: Sebastian Hannak), an und auf der das Unheil seinen Lauf nimmt. Assistiert von Schaufenster-Puppen, die ungerührt teilnehmen an der Destruktion einer bürgerlichen Familie und am Ende zerstückelt herumliegen als Reste der Illusion vom gemütlichen Glück.
Die Inszenierung von Martin Nimz geht tief unter die Haut. Der Regisseur, der in den Kammerspielen schon mit Ibsens norwegischer Wildente einen großen Publikumserfolg landete, macht aus dem partiell sehr handgreiflichen Psycho-Schlagabtausch des dänischen Festes eine gnadenlose Schlacht.
Das Fest von Thomas Vinterberg (*1969) und seinem Lehrer und Drehbuchautor Mogens Rukov (*1943) war der erste nach den Regeln der dänischen Gruppe Dogma 95 produzierte Kinofilm, wurde 1998 in Cannes uraufgeführt und erhielt diverse internationale Preise. Der Film Das Fest arbeitet mit Theatermitteln – kein Wunder also, dass zahlreiche Bühnenadaptionen folgten. Wobei die Bonner Version sicher mithalten kann angesichts des Ensembles, das hier einfach fabelhaft sein Können unter Beweis stellt.
Allen voran Benjamin Grüter, der als Christian die Wahrheit aufdeckt, brutal im seitlichen Gebüsch zum Schweigen gebracht wird und wütend weiterkämpft für die Erlösung von den Kindheitsschmerzen, „wenn Vater ins Bad wollte“ und reinlich über seine Kinder herfiel. Seine Zwillingsschwester Linda (Lydia Stäubli) hat sich in der Badewanne des väterlichen Hotels das Leben genommen aus Angst vor weiterem sexuellem Missbrauch. Gespenstisch leise ganz in Weiß (Kostüme: Jutta Kreischer) ist sie ständig anwesend im Kreis der Familie. Dass deren Fassade bröckelt, ist schon klar bei der ersten Begegnung Christians, bestens etablierter Gastronom in Paris, mit seinem jüngeren Bruder Michael (als aggressiver Verlierer psychologisch genau gezeichnet von Benjamin Berger), der seine Familie mit einem bescheidenen Kiosk am Kopenhagener Strand über Wasser hält. Die fabelhaft gute Johanna Falckner als seine nette Frau Mette erträgt unerschütterlich Michaels Gemeinheiten, kümmert sich rührend um die Kinder und den dementen Opa (bei der zweiten Aufführung sprang Wolfgang Rüter für den erkrankten Horst Rehberg ein).
Sophie Basse als supercoole, tablettensüchtige und auch sonst nicht immer ganz zurechnungsfähige Tochter Helene hat ihr Leben gerade an der Seite ihrer recht stabil gebauten norwegischen Geliebten Karla (Birte Schrein) neu geordnet, was Michael zu fiesen anti-lesbischen Ausfällen animiert. Weshalb Helges Gattin Else (eisern blond und treu: Ursula Grossenbacher) auch gleich tapfer ein Lied anstimmt für die neue Gefährtin ihrer Tochter und damit die Bruchstellen ihres Gatten übertönt.
Bis der Toastmaster Helmut (glänzend: Glenn Goltz), deutscher Geschäftspartner von Helge und begnadeter Wahl-Däne, wirklich schauerlich unter Verwendung aller nordeuropäischen Klischees zur Polonaise aufruft und mittlerweile ziemlich alkoholisiert zum Finale einlädt.
Wieviel Wein und Hochprozentigeres dabei der Koch Kim intus hat, würden wir Küchenlehrlingen lieber verschweigen. Extrem nüchtern richtet Robert Höller in der Rolle des kulinarischen Gerichte-Auftischers seine Kamera ins Familien-Getümmel und beamt die Gesichter der Kampfdrohnen auf die beidseitig platzierten Leinwände. Michaels Kurzzeitverhältnis Michelle (Svenja Wasser) kommt mit einer blutigen Stirn davon. Mareike Hein als vollbusiges Dienstmädchen Pia mit viel Herz erliegt Christans Zugriff kurz vor dem Frühstück. Wo alles schon wieder ganz ordentlich erscheint. Obwohl Papa Helge unter der Last der Beweise klein beigegeben hat, aber vor seinem einsamen Abtritt in einer der härtesten Szenen seinen Kindern böse vorwirft: „Ihr wart nicht mehr wert“. Preisgegeben der animalischen Lust ihres pädophilen Erzeugers, der es eigentlich gut mit ihnen meinte. Unbeschädigt kommt keiner aus diesem Strudel der Gefühle mehr heraus, obwohl die Söhne nach der Vernichtung des Vaters schon Zukunfts­pläne schmieden.
Um es mal sportlich zu formulieren: Das Bonner Schauspiel-Ensemble hat sich mit dieser Produktion glänzend für die nächste Runde qualifiziert. Das Fest dauert zwar lang, quält aber nicht mit Pop-Albereien, sondern trifft einen Nerv der aktuellen Gesellschaft. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden, eine Pause
die Nächsten Termine (voraussichtlich):
24.09. // 25.09. // 2.10. // 3.10. // 24.10. // 25.10. 15

Donnerstag, 20.08.2015

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Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 18:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn