Die Möwe - Kammerspiele - kultur 109 - Oktober 2014

Die Möwe
Foto: Thilo Beu
Die Möwe
Foto: Thilo Beu

Komödie der menschlichen Lächerlichkeit

Komödie der menschlichen Lächerlichkeit
Ein Mann liegt tot im Pool – so beginnt in den Kammerspielen das Spiel. Bekanntlich wird der junge Dichter Kostja es nicht überleben. Ohne Theater geht es nicht, vom Theater ist ständig die Rede in Tschechows Komödie Die Möwe, und alle scheitern an ihren Lebensrollen. In Sebastian Kreyers neuer Inszenierung schaut man ihnen dabei mit großem Vergnügen zu. Er verlegt die Handlung vom Ende des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart, macht daraus eine Art Soap, scheut keine Klischees und sprachlichen Kalauer und lässt bei allen Untiefen doch immer wieder die tiefe Verletzlichkeit der Unglücklichen durchscheinen, die sich da in einem Feriendomizil versammelt haben.
Statt des russischen Landguts hat Bühnenbildner Matthias Nebel eine leicht heruntergekommene Hotelanlage zum Schauplatz gemacht, statt des Sees einen Swimmingpool, der auch ordentlich genutzt wird. Die Schauspielerin Arkadina wird daraus sogar mit ihrer grünschillernden Robe (Kostüme: Britta Leonhardt) wieder so auftauchen, als ob ihr kein Wasser der Welt was anhaben könnte. Dass sie ihr Geld lieber im Pool versenkt als damit ihren Sohn Kostja zu unterstützen (und dann zum Casher fürs Cash greift), gehört zu den Kapricen dieser Diva.
Der nicht mehr ganz blutjunge Bühnenstar Arkadina, grandios verkörpert von Sophie Basse, ist das Zentrum der kleinen Gesellschaft. Ein „Comeback“ plant sie während der Sommerferien und tut ständig so, als ob sie bereits wieder im Rampenlicht stünde. Eine hysterische Egomanin, wenn hinter ihren großen Auftritten nicht diese Lebensangst lauerte, die die gesamte Künstlertruppe umtreibt. Den prominenten Schriftsteller Trigorin (Benjamin Grüter, dem die Regie deutlich Züge des Autors Tschechow verleiht) z.B., der in seinem Zimmer seine neue Erzählung auf die Schreibmaschinentasten hackt von dem Mädchen, das frei und glü­ck­lich wie eine Möwe am See lebte, bis ein Mann vorbeikam und es aus lauter Langeweile zugrunde richtete. Maya Haddad in Jeans­­shorts spielt bezaubernd die naive Nina, die ihr Glück im Theater sucht und nach dem stürmischen Verhältnis mit Trigorin, der selbstverständlich weiter an der Arkadina hängt, auf irgendwelchen Provinzbühnen ­endet.
Jonas Minthe zeigt als Kostja, Sohn der Arkadina und hoffnungslos verliebt in Nina, einen fabelhaften spielerischen Facettenreichtum. Er ist das Muttersöhnchen, das vergeblich um Zuwendung fleht, der tapfere Rebell, leidlich erfolgreiche Dichter und schließlich der einzige, der aus allen Enttäuschungen eine klare Konsequenz zieht. Zwar völlig sinnlos, weil das Spiel auch ohne ihn weitergeht (während er sich die Kugel gibt, spielen sie oben in Arkadinas Zimmer Lotto), aber zumindest final.
Glenn Goltz gibt dem Sorin, total verkorkster Bruder der Arkadina, eine fast schon kabarettreife selbstverliebte Melancholie. Wolfgang Rüter ist der streng auf die Finanzen schauende Gutsverwalter/Hotelmanager Schamrajew, der sich gelegentlich Fragen nach den Kollegen der Arkadina erlaubt: „Spielt der jetzt in Hildesheim, oder ist er tot?“ Seine Gattin Polina (neu im Ensemble: Ursula Grossenbacher) hegt, wenn sie nicht gerade die Handtücher auf den Pool-Liegen richtet, unter ihrem Kurzhaarschnitt ein ­Faible für den Arzt Dorn (Andrej Kaminski), der aber lieber ironischer Zuschauer bleibt beim enervierenden Gewese um die Kunst und den Dauerschmerz des Lebens. Den verkörpert mit der vollen Wucht ihrer Erscheinung ganz in Schwarz die junge Mackie Heilmann als Mascha. Vergeblich verknallt in den zarten Kostja und verzweifelt in die Ehe mit dem dummen Lehrer Medwedenko (feist komisch: Maik Solbach) flüchtend. Eine furchtbare, aber recht fruchtbare Lösung...
Sie machen manchmal etwas laute Musik (Sebastian Blume), was aber nicht weiter stört, sind indes jedoch vor allem ein tolles Ensemble. Herrlich verspielt, gelegentlich gnadenlos albern – und genau deshalb ein „Möwen“-Team, das Freude macht. Sie spielen Tschechow so, wie man es im 21. Jahrhundert tun sollte. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
die Nächsten Termine:
11.10. // 19.10. // 25.10. // 14.11. // 23.11.

Dienstag, 11.11.2014

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