Die Opferung des Gorge Mastromas - Werkstatt - kultur 107 - Juni 2014

Täuschung als einzige Wahrheit

Täuschung als einzige Wahrheit


Aus dem mittelmäßigen Gorge wird Mastromas. Ein Mann ohne Eigenschaften, der sich eine Biographie erfindet und nur ein Gesetz kennt: „Wenn du etwas willst – nimm es dir!“ Ein Mann, der nur für den Augenblick lebt und sich völlig rücksichtslos ein Imperium erschafft. Erfolg, maßloser Reichtum, Freiheit von jeder Moral – Mastromas hat alles und löst sich auf in seiner eigenen Lebensleere.
Das 2012 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführte Stück Die Opferung von Gorge Mastromas des Briten Dennis Kelly steht aktuell nicht grundlos auf den Spielplänen etlicher deutschsprachiger Theater. Es ist bitterböse und so aberwitzig komisch, wie es derzeit nur die angelsächsischen Autoren hinkriegen. Und es erzählt eine faszinierende Geschichte. Der Schauspieler Bernd Braun verkörpert grandios den anonymen Erzähler mit einer Mischung aus teuflischem Charme und unverschämter Ironie. Er kokettiert mit dem Publikum („Sind Sie schon angewidert?“), wenn er Details aus Gorges Sex- und Lügenleben berichtet. Am Ende wird er selbst den 85-jährigen Gorge mimen, der einsam auf seinem luxuriösen Landgut haust und wie ein Pinocchio-Gespenst mit langer Lügennase listig die ganze Geschichte ins Märchenreich verschiebt.
Die Inszenierung des Kölner Regisseurs Stefan Rogge spielt elegant mit den Perspektivwechseln zwischen Narration und dramatischer Aktion. Gorge, ziemlich lustlos 1976 irgendwo in Europa gezeugt, verbringt die ers­ten dreißig Jahre seines Lebens recht unspektakulär. Auf der Beliebtheitsskala immer im oberen Drittel der unteren Hälfte. Ein Durchschnittstyp, der sich („War es Güte oder Feigheit?“) stets anständig verhält. Bis er plötzlich begreift, dass die Wirklichkeit pure Materie ist. Wahrheit und Empathie sind alte ideologische Konstrukte. Unterm Strich zähl ich, lautet die Heilsbotschaft des Materialismus. Dass Mastromas zum Herrscher eines Weltkonzerns aufsteigt, erfahren wir in wenigen Sätzen.
Im sparsamen Bühnenbild von Malte Lübben, der auch die Kostüme entworfen hat, verwandelt sich der mit schmuddel-gelblichen Vorhängen umgebene Raum mit wenigen Requisiten in Konferenzzentrum, Hotelzimmer und Terrasse am See. Es sind die Schlachtfelder, auf denen Mastromas regiert, nachdem sein ehemaliger Chef M (Wolfgang Rüter, der später auch als Hotelportier für komische Momente sorgt) gnadenlos in den Ruin geschickt wurde. Als eiskalt berechnende Geschäftsfrau A bewährt sich dabei Johanna Falckner, die nach dem großen Coup schnell abserviert wird.
Alois Reinhardt spielt virtuos den aus dem Geist der Lüge und Korruption und aus dem bedingungslosen Willen zur Macht neu geborenen Gorge Mastromas, der nach und nach seinem eigenen Blendwerk erliegt. Mehr als übel ist die blutige Finte, mit der er die reizende Louisa (in jedem Moment überzeugend: Maya Haddad) erobert. Schlimmer noch ist seine von ihr für sich reklamierte Missbrauchsgeschichte. Mastromas wird zum Bestseller-Autor und erfindet sich neu als Opfer väterlicher Übergriffe, das es trotz kindlicher Traumatisierung an die Spitze der Gesellschaft geschafft habe. Bis sein verschollener Bruder Sol auftaucht und die Fälschung platzen zu lassen droht. Sören Wunderlich zeigt eindrucksvoll die ganze Wut dieses Underdogs, der seine wirkliche Kindheit zurückhaben will. Der zornige junge Mann ist mit Geld nicht zu beschwichtigen und wird folglich spurlos beseitigt. Ein anderer zorniger junger Mann wird den vergreisten Mastromas in mörderischer Absicht heimsuchen. Sein Enkel Pete (Alois Reinhardt), Produkt einer angeblichen Fehlgeburt. Erlogen wie die ganze unwahrscheinliche Existenz von Gorge Mastromas.
Es ist eine finstere, sehr kurzweilige Komödie, beherrscht von dem genialen Entertainer Bernd Braun, dem man kein Wort glauben muss. Weil das Spiel die Realität ist. Die Zeit dafür sollte man opfern. E.E.-K.


Spieldauer ca. 3 Stunden,
eine Pause

Donnerstag, 16.10.2014

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