Nullzeit - Werkstatt - kultur 105 - April 2014

Zwischen Meer und
Beziehungswüste

Zwischen Meer und
Beziehungswüste

Hübsch hat Antje das Strandidyll hergerichtet: Auf weißem Sand Gartenmöbel mit rotkarierten Tischdecken und flackernden Windlichtern. Dazu plätschert freundlich der Atlantik. Antje sorgt für alles, seitdem sie mit Sven nach Lanzarote gezogen ist. Der war das „Kriegsgebiet“ Deutschland einfach leid und baute auf der Insel eine Tauchschule mit Gäs­te-Apartments auf. Sven hält sich am liebsten aus allem raus und taucht gern ab in die friedliche Unterwasserwelt. Die flimmert als Video schön bunt über die Containerwand im Hintergrund des Bühnenbildes von Lena Thelen. Dazu gibt’s auch einen munteren Musikmix. „Sounddesign: Sophie Basse“, erklärt dazu stolz Sophie Basse, die ansonsten die patente Antje spielt und mit grauer Perücke gelegentlich Leni Riefenstahl mimt, die bekanntlich in fortgeschrittenem Alter noch das Tauchen lernte.
Die Rolle der Tauchpionierin Lotte Hass will Jola, mäßig begabte Schauspielerin in einer TV-Serie, unbedingt haben und hat deshalb einen Urlaub mit exklusiver Rundumbetreuung bei Sven und Antje gebucht. Mitgebracht hat sie den Schriftsteller Theo, der nach seinem bisher einzigen Roman kein Werk mehr zustande brachte und – wie Antje gleich herausfindet – erheblich weniger Einträge bei Google hat als Jola, aber dafür einen beachtlichen Rotwein-Konsum. Die Beziehung der beiden erscheint nicht ganz ungetrübt. Ihr Reservoir an kleinen Gemeinheiten ist recht groß, wobei Jolas Scherze allerdings etwas weit gehen, wenn sie Theo gleich beim ers­ten Tauchgang das Ventil zudreht. Und dann Sven in ein böses Spiel hineinzieht. Bis die Luft zum Atmen sehr knapp wird zwischen Meeresgrund und Ufer.


Nullzeit heißt mit einem Begriff aus der Tauchersprache der 2012 erschienene Psychokrimi der gebürtigen Bonnerin Juli Zeh, den der österreichische Dramatiker Bernhard Studlar für die Bühne bearbeitet hat.

Sebastian Kreyer, der zum ersten Mal in Bonn Regie führt, hat die Uraufführung in der Werkstatt ohne viel angestrengten Tiefgang inszeniert. Was wie eine typische Boulevard-Konstellation beginnt, entwickelt sich jedoch zur giftigen Farce. Die Schauspieler springen dabei von der dramatischen Aktion immer wieder in die Erzählung, die je nach Blickwinkel die Geschichte anders beleuchtet. Meistens leicht bekleidet gibt Johanna Falckner das zickige Filmsternchen Jola mit Adelstitel und reichem Kinoproduzenten-Papa. Filmreif gespielt sind ihre sexuellen Avancen gegenüber Sven, auch wenn sie ihre Traumrolle am Ende nicht kriegt. Jonas Minthe zeigt den sympathischen Aussteiger Sven als jemanden, der einfach nur seine Ruhe haben will, aber Jolas Anziehungskraft widerwillig erliegt. Zumal die Beziehung zu seiner Antje nur noch Routine ist. Glenn Goltz ist der etwas ältere, selten nüchterne Zyniker Theo, der ab und zu mal mit der Souffleuse flirtet, ein Auge auf Antje wirft und sportliche Aktivitäten lieber vermeidet. Sophie Basse kämpft als Antje tapfer gegen die Hausmütterchen-Gutmütigkeit und wird sich zum Schluss wohl sogar einen Lebenstraum gönnen. Ohne Sven, der dem trügerischen Inselglück entflieht.
Was wirklich geschah an dem Tag, an dem Sven von seiner Tiefenexpedition zu einem Wrack auftauchte und Theo leblos ein paar Meter unter dem Meeresspiegel fand, kann man nur ahnen.
Unbeschädigt kommt keiner aus diesem Quartett von Verlierern davon. Sie schwanken streckenweise sehr komisch zwischen ihren Träumen vom Erfolg und der abgrundtiefen Oberflächlichkeit ihrer Existenz. Manchmal albern sie ein wenig herum, spielen lus­tig mit den längst zur Konvention gewordenen Reflexen auf die Selbstbezüglichkeit des Theaters. Man schaut ihnen amüsiert dabei zu und erschrickt doch über die Rücksichtslosigkeit, mit der diese banalen Figuren aus der Generation Ego sich die Luft abschnüren.
In den langen Premierenbeifall wurde auch die anwesende Autorin einbezogen, die mit der Aufführung sichtlich zufrieden war. E.E.-K.



Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause.

Dienstag, 30.09.2014

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