Käthe Hermann - Euro Theater Central - kultur 105 - April 2014

Böse Familiengroteske


Verbissen schwingt Irmi das Bügeleisen. Für ihren verkrüppelten Bruder Martin hat sie dennoch freundliche Worte. Die beiden erwarten den großen Auftritt ihrer Mutter. Denn wie jeden Abend verwandelt sich das Wohnzimmer der Hermanns in ein Theater. Die erwachsenen Kinder assistieren ihrer Mutter Käthe bei ihrer Solo-Show. Denn Käthe Hermann will mit ihrem Talent endlich die großen Bühnen erobern. Das Leben hat ihr übel mitgespielt. Zweimal hat ihr Hans sie geschwängert, bevor er das Zeitliche segnete. Erschossen wurde, behauptet Käthe später, was sich gut in ihr dramatisches Lebenskonstrukt von Widerstand und heldenhafter Aufopferung fügen würde. Käthe kämpft unerschütterlich für ihr Glück und damit für das ihrer Kinder. Das Wohnzimmer wird frisch tapeziert, gerade weil die Braunkohlenbagger schon vor der Tür stehen, um das traute Heim niederzuwalzen. Bis Irmi wütend die schwarze Folie von den Wänden reißt und wie kurz vor dem Ersticken ein Fenster aufreißt. Frische Luft nützt indes nichts mehr in dieser fürchterlichen Idylle. Muttermonster Käthe lässt neben sich keinen Platz für wirkliches Leben.
Im Euro Theater Central hat die in Bonn aufgewachsene junge Regisseurin Konstanze Kappenstein, die hier vor einem Jahrzehnt kurz als Regieassistentin tätig war und inzwischen an mehreren großen Häusern inszenierte, die Familiengroteske Käthe Hermann von Anne Lepper auf die Bühne gebracht. Das 2012 uraufgeführte Stück verschaffte der 1978 in Essen geborenen Autorin den Durchbruch. „Theater Heute“ kürte sie zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres 2012.
Leppers lakonische Dialoge unterlaufen präzise das Scheinglück der drei Hermanns, decken wie beiläufig Ungeheures auf und treiben es ins Absurde. Wieslawa Wesolowska, zuletzt engagiert im Staatstheater Oldenburg, spielt die verhinderte Künstlerin Käthe mit roter Blume im schlohweißen Zottelhaar (Kostüme Jule Dohrn-van Rossum) und der schamlosen Lebenswut einer Heroine, die alles um sich herum plattmacht. Durch die schwarze Folie im Hintergrund arbeitet sie sich nach vorn, erhebt ihre Stimme wie eine Operndiva und schwingt das Tanzbein. Käthe ist egomanisch, rücksichtslos und hoffnungslos optimis­tisch.
Doris Lehner spielt sehr sensibel die dauergedemütigte Tochter Irmi, die von ihrem „Jungen“ träumt und dabei zärtlich eine aus der das Bühnenbild von Franz Dittrich dominierenden schwarzglänzenden Folie gefertigte Puppe umsorgt. Lehners Irmi ist ein zerbrechliches altes Mädchen mit der hoffnungslosen Sehnsucht nach Mann und Kind. „Vergewaltigung“ – mehr Liebe sei für eine wie sie nicht drin, höhnt Käthe. Irmi wehrt sich gegen die Gemeinheiten ihrer Mutter. Doch ihr Aufstand endet damit, dass sie sich selbst die Luft abschnürt. Auf einem Rollbrett saust derweil ihr jüngerer Bruder Martin herum. Frank Musekamp verkörpert berührend dieses große Kind, das sich unter Irmis Blümchenkleid seine Wiedergeburt als Rocco erträumt und völlig ungerührt den Tod seiner mütterlichen Schwester hinnimmt.
Käthe, die auch sonst gern die Kultur in ihrem Haus hervorhebt, sieht darin vollends die heiß ersehnte große gesellschaftliche Chance. Als tragisch Trauernde erwartet sie den begeisterten Jubel der ganzen Welt. Das Fernsehen und sogar die Bundeskanzlerin werden zu ihrem Haus pilgern. Selig schmiegt sich Martin an den mütterlichen Schoß und wirft glitzerndes Konfetti in den Himmel über der Wohnzimmerhölle. Es ist wahnwitziges Theater voller absurder Komik, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt. E.E.-K.

Spieldauer ca. 75 Minuten, keine pause
die nächsten Termine:
1.04. // 13.04. // 11.05. // 18.05.14

Mittwoch, 17.09.2014

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