Anke Zillich - kultur Nr. 2 - 12/2003

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft die Zofe Dorine - Sich selbst überholen: Anke Zillich

"Zum ersten Mal arbeite ich an einem großen Opernhaus" - Anke Zillich schüttelt ihre leuchtend roten Haare und freut sich, dass sie dort in den letzten Wochen so viele neue Kollegen aus dem Sängerensemble, dem Chor und dem Orchester kennen gelernt hat. In dem Musical "Anatevka" spielt sie - alternierend mit Susanne Bredehöft - die Heiratsvermittlerin Jente. Drei Tage vor der Premiere und zwei Stunden vor der letzten Hauptprobe herrscht bei ihr gespannte Ruhe. Sie freut sich sowieso, weil sie an diesem Abend wegen der Doppelbesetzung im Zuschauerraum sitzen darf und die Produktion aus dieser Perspektive beobachten kann - im Schauspiel sieht man ja nie die gesamte Aufführung, in der man mitspielt.
Vor der Premiere von "Tartuffe" hat sie, wie sie bei der ersten Sonntagsmatinee in den Kammerspielen gestand, Blut und Wasser geschwitzt und mindestens zwei Kilo abgenommen, weil sie allzu gespannt war, wie das neue Theaterensemble sich vor dem Bonner Publikum bewähren würde. Außerdem grenzte die Arbeit vor der Sommerpause sowieso an Wahnsinn: tagsüber in Bonn proben, abends in Oberhausen spielen… In Molières Komödie ist sie die Zofe Dorine, die
kurzerhand die ganze aufgeregte Familie unter ihre Fittiche nimmt und mit ihrem wachen Realitätssinn fast alle drohenden Katastrophen meistert. Als sie bei der Premiere merkte, dass aus dem Zuschauerraum mitgedacht und -gefühlt wurde, war aller Stress plötzlich vergessen.
Anke Zillich ist eine Schauspielerin, die sich im unmittelbaren Kontakt mit den Mitspielern entfaltet - und dazu gehört für sie immer auch das Publikum. Obwohl sie auch vom Film fasziniert ist und gerne mal in einem größeren Fernsehspiel mitmachen würde, wo man vor der Kamera anders agiert und ohne große Gesten aus sich selbst heraus andere Facetten entwickeln kann. Neugier auf sich selbst und andere Menschen ist die Eigenschaft, die sie als ihre wichtigste benennt. Den Mut zu merken, dass sie etwas zu sagen hat, hat sie sich erstmal erarbeiten müssen und ist vielleicht auch deshalb erst relativ spät zum Theater gekommen.
In Essen geboren und in Oberhausen aufgewachsen, wohin sie erst 1999 zurückkehrte, hat sie in Münster Germanistik, Philosophie, Psychologie und Indologie studiert. Tänzerin oder Musikerin - das waren Kinderträume, die außerhalb der ökonomischen Reichweite der Familie lagen. An eine kleine Universitätsstudiobühne geriet sie zufällig, an der Schauspielschule in Stuttgart hat sie sich heimlich beworben und wurde prompt unter zahllosen anderen angenommen. "Ich war da so eine 25-jährige Seniorin", sagt sie lachend, aber so was wie Lebensalter ist ihr ohnehin suspekt - weniger aus weiblicher Eitelkeit, sondern weil alle Erfahrungen immer gleichzeitig jung und alt sind. Das kurz vor dem Examen abgebrochene Universitätsstudium bereut sie nicht, denn es gibt ihr eine solide Grundlage für ihren heutigen Beruf. Ihre Eltern haben den Wechsel zum Theater unterstützt, dafür ist sie immer noch dankbar. Das Geld für ihr - abgeschlossenes - Zweitstudium hat sie sich als Hörspielsprecherin und als Souffleuse am Stuttgarter Staatstheater verdient. Auch diese Erfahrung ist ihr wichtig: Beim Soufflieren lernt man Schauspielerpersönlichkeiten kennen und muss sich in Figuren und Inszenierungskonzepte hineindenken.
Sie arbeitet immer bewusst von innen heraus, festgelegte Figuren wie die der Commedia dell'arte sind für sie als Schauspielerin der blanke Horror. Deshalb hat es ihr auch so großen Spaß gemacht, die Rolle der Dorine im "Tartuffe" ein wenig gegen den konventionellen Strich zu bürsten. Trotzdem spielt sie gern mit ihrer äußeren Erscheinung und gibt auch fröhlich zu, dass sie schon einige Ausstatter zur Weißglut gebracht hat. Das Kostüm und die Maske sind wesentlicher Bestandteil einer Rolle. Da muss jedes Detail stimmen, weil es auf der Bühne sofort mit Bedeutung aufgeladen wird. Sie hat sich aber auch schon das Vergnügen gemacht, in einem Bühnenkostüm als alte Frau durch Oberhausen zu spazieren, um die Wirkung in der Realität zu testen - und sich diebisch gefreut, dass nicht mal ihr Intendant sie erkannt hat.
Nach ihrem ersten Engagement am Staatstheater Karlsruhe hat sie am Stadttheater Freiburg gearbeitet, dann in Stuttgart am freien Theater im Westen. Dessen Leiterin Heidemarie Rohwedder folgte sie zur Württembergischen Landesbühne Esslingen. Rohwedder nennt sie auch als Künstlerin, die sie am meisten herausgefordert und geprägt hat. Überhaupt sind es immer wieder die großen alten, widerständigen Damen, in denen sie ihre Vorbilder sieht. Mit Heide Rohwedder und Jennifer Minetti, die vor mehr als 30 Jahren auch kurz in Bonn engagiert war, hat sie Werner Schwabs "Die Präsidentinnen" gespielt. Die junge Mariedl ist eine ihrer Lieblingsrollen: "Ich mag die Underdogs, die irgendwie durchs Netz gefallenen Figuren." Welche sie nach vielen anderen gern noch spielen möchte? - "Vielleicht die, die noch gar nicht geschrieben sind."
Viel Zeit zum Nachdenken und zum Einleben in Bonn ist ihr bis jetzt nicht geblieben. Einen Tag nach der "Anatevka"-Premiere beginnen schon die Proben zur Revue "Call my Number". Die erfolgreichen Ausflüge in dieses Genre haben ihr in Oberhausen Riesenspaß gemacht. Sie singt sehr gern und hört meistens auch Musik beim Lernen ihrer Schauspieltexte. "Musik ist für mich wie Atmen", sagt sie. Anke Zillich macht jedoch eigentlich alles gern zum ersten Mal. Am liebsten möchte sie sich dabei dauernd selbst überholen. Das klingt so schön doppeldeutig, dass sie schon wieder lachen muss.
E. E.-K.

Dienstag, 04.03.2014

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn