Tobias Schabel - Kultur Nr.171 - Mai/Juni 2022

König Phillip, Saldorf und ein chinesischer Minister - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Tobias Schabel

Gerade kommt er von einer musikalischen Probe zu Brecht/Weills Oper „Mahagonny“, die in der kommenden Saison im Bonner Opernhaus auf dem Spielplan steht. Den Dreieinigkeitsmoses hat Tobias Schabel bereits an der Berliner Staatsoper gesungen, wo er von 2012 bis 2015 fest engagiert war. In Bonn singt er den Alaskawolfjoe, es ist dann insgesamt seine 117. Opernpartie. Nun ist er gespannt auf die Inszenierung von Volker Lösch. Mit dem Regisseur hat er schon zusammengearbeitet bei der Aufsehen erregenden, politisch eindeutig Stellung nehmenden Fassung von Beethovens „Fidelio“, mit der die Oper Bonn das Jubiläumsjahr 2020 eröffnete. Tobias Schabel sang den Rocco, allerdings als Zweitbesetzung und nur ein einziges Mal, bis die Pandemie die Schließung aller Theater erzwang. „Ich fand die Bonner Fassung mit den unmittelbar betroffen Zeitzeugen großartig. Die persönliche Begegnung hat mich dazu gebracht, mich noch mal intensiv mit der Situation in der Türkei zu befassen.“ Den Rocco hatte er 2004 am Nationaltheater Mannheim bereits in einer umstrittenen halbkonzertanten Inszenierung von Frank-Patrick Steckel gesungen und erinnert sich – mittlerweile ganz gelassen – daran, wie irritierend es für alle auf der Bühne war, während des Singens direkt ausgebuht zu werden. Glücklicherweise blieb es eine singuläre Erfahrung.
Hoffentlich singulär bleiben auch die langen Vorrunden beim „Feldlager in Schlesien“, das nun am 22. April endlich erfolgreich auf die Bühne gekommen ist (s. Kritik auf S. 4 dieser kultur). Schabel verkörpert in der ungemein aufwendigen Produktion die zentrale Rolle des ehemaligen Hauptmanns Saldorf. Die eigentlich am 13. März geplante Premiere ­musste kurzfristig wegen Coronainfektionen im Ensemble abgesagt werden. Zwei weitere Anläufe scheiterten ebenfalls an massiven Problemen mit Erkrankungen. „Gerade im zentralen zweiten Akt, der bei uns ja im Zuschauerraum spielt, wo man beim Singen oft nur zwei Meter Abstand zum Publikum hat, ist Vorsicht zwingend geboten. Der erste und der dritte Akt bilden nicht viel mehr als die Rahmenhandlung zu diesem dramatischen Spektakel. Es ist schwierig, musikalisch und dramaturgisch damit umzugehen. Die Originaldialoge des gesamten Singspiels sind nicht nur viel zu lang, sondern auch reichlich bieder. Es wurde also eine eigene Fassung erstellt, in der ein Schauspieler als Chronist agiert und einige Dialogpassagen zitiert, in die wir dann mit unseren gesprochenen Texten einspringen. Hinzu kommt, dass niemand das Werk vorher kennen konnte und dass es viele Diskrepanzen zwischen der Partitur und dem Klavierauszug gab. Referenzaufnahmen existieren naturgemäß auch nicht. Es war also unglaublich viel Arbeit im Vorfeld. Wenn dann noch die fertige Produktion in einer Warteschleife hängt, erfordert das von allen eine erhöhte Konzentration. Eigentlich benötigt man für jede Vorstellung zwei Tage Vorbereitung, aber der Betrieb läuft ja weiter. In den letzten Wochen musste ich wirklich jede freie Stunde nutzen. Deshalb habe ich schweren Herzens den Silva in Verdis ,Ernani’ abgesagt. Die Partie habe ich konzertant schon in Mannheim gesungen. Musikalisch hat mich das damals sehr weit vorangebracht.“
Besonders bitter ist es natürlich, wenn Stücke, die szenisch schon fertig geprobt sind, für längere Zeit auf Eis gelegt werden müssen, weil sie aktuell nicht mehr disponierbar oder vorgesehene Gäste nicht mehr verfügbar sind. Glücklicherweise nicht betroffen war Verdis „Don Carlo“. Der überzeugte Verdi-Fan Schabel sang den König Philipp. „Das ist meine absolute Lieblingspartie. Filippo II ist eine Persönlichkeit mit ganz vielen verschiedenen Facetten. Er ist nicht nur der mächtige Herrscher, der die Scheiterhaufen brennen lässt. Am Beginn des vierten Aktes ist er der einsamste Mensch der Welt. Bei seiner im Pianissimo beginnenden Arie habe ich das Crescendo etwas zurückgenommen: Er träumt weiter von der ewigen Nacht. Ich finde das psychologisch schlüssig.“
Psychologische Differenzierung ist weniger gefragt in der Oper „Li-Tai-Pe“ von Clemens von Franckenstein, zu der die Proben gerade auf Hochtouren laufen. Premiere ist am 22. Mai. Schabel singt den intriganten, ehrgeizigen Ersten Minister Yang-Kwei-Tschung in dieser märchenhaften Geschichte aus dem alten China. „Wie die meisten Mitwirkenden und vermutlich auch das Publikum kannte ich den Komponisten bis dahin überhaupt nicht und wusste auch nicht, wie populär seine Oper zeitweise war. Die Musik ist sehr farbig, nicht einfach spätromantisch mit impressionistischen Akzenten und exotischem Kolorit durch die Einbeziehung der ostasiatischen Pentatonik. Natürlich ist es wie so oft im frühen 20. Jahrhundert ein eurozentristischer Blick auf ein imaginiertes China und folglich nicht ganz unkritisch zu betrachten. Zum Singen ist das mitunter etwas spröde. Die Aufführung wird aber durchaus unterhaltsam, fast wie eine Operette. Ansonsten war auch hier im Vorfeld eine lange Forschungsarbeit erforderlich, ermöglicht durch das wunderbare Projekt ,Fokus ‘33’. Bei allen Unterschieden gab es wie beim ,Feldlager’ eine Menge Fehler im Klavierauszug und keine Tondokumente, die man mal kurz im Internet recherchieren kann.“
Im Herbst 2020 war Schabel als Oberbademeister in Mauricio Kagels „Staatstheater“ zu erleben, sehr witzig coronatauglich inszeniert von ­Jürgen R. Weber. Es folgte das baro­cke Verwechslungsspiel „La Calisto“ von Francesco Cavalli, in dem Schabel den Göttervater Giove verkörperte, der ein Auge auf die hübsche Nymphe geworfen hat, zu ihrer Verführung aber die Dienste der Göttin Diana braucht. „Die Arbeit hat großen Spaß gemacht, obwohl wir vor einem extrem dünn besetzten Haus spielen mussten. Wenn drei Viertel der Plätze im Zuschauerraum leer bleiben, kommt einfach kein gemeinsames Gefühl auf. Gerade bei einem solchen Stück braucht man auf der Bühne die Reaktionen des Publikums.“
Seit 2019 gehört Tobias Schabel zum Bonner Ensemble. Seine ersten großen Partien hier waren der Baron Ochs im „Rosenkavalier“ und der Figaro in „Le Nozze di Figaro“. Ersteres war besonders viel Arbeit, weil er gleichzeitig noch in fünf Stücken an der Staatsoper Hannover verpflichtet war. Aufgewachsen ist er in einer sehr musikalischen Familie. Sein Vater und seine Geschwister engagierten sich in diversen Chören und der Kirchenmusik. „Der Klavierlehrer meines Bruders animierte mich zu einer weiteren Ausbildung meiner Stimme. Eigentlich rannte er offene Türen ein, denn ich wollte schon Opernsänger werden, bevor ich zum ­ersten Mal eine Oper live erlebte und nicht nur im Radio.“
Schabel absolvierte sein Studium u. a. bei dem amerikanischen Bariton William Workman an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, war Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und von 1998 bis 2000 Mitglied des Opernstudios der Hamburgischen Staatsoper. Er besuchte Meisterkurse bei Montserrat Caballé und Harald Stamm, der ihn besonders beeindruckte, und gewann den Hamburger Mozart-Preis für Gesang 2000.
Sein erstes festes Engagement führte ihn ans Luzerner Theater. „Ein kleines Haus in einer Stadt mit nicht mal einem Drittel der Einwohnerzahl von Bonn. Gerade an kleineren Häusern verbringt man mehr Zeit miteinander, und der Zusammenhalt ist stärker. Ich bin sowieso ein entschiedener Verfechter des Ensemble-Theaters.“ Schabel war Ensemble-Mitglied am Nationaltheater Mannheim, dann an der Staatsoper Hannover und an der Berliner Staatsoper. „In dem prächtig restaurierten Haus unter den Linden habe ich bisher leider nicht auf der Bühne gestanden. Als ich in Berlin anfing, rechnete man mit einer kürzeren Zeit in der Ausweichspielstätte im Schiller-Theater. Aber von solchen Bauverzögerungen kann man in Bonn ja auch eine Menge erzählen.“
Gastiert hat er, dessen Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart reicht, an zahlreichen großen europäischen Opernhäusern von Mailand bis Barcelona und von Zürich bis Leipzig und München sowie bei etlichen Festivals von Bregenz bis Salzburg und den Haydn-Festspielen auf Schloss Esterhazy. Gefragt ist er seit langem auch als Konzertsänger. Zum Jahreswechsel 2021/22 beispielsweise gastierte er in der Hamburger Elbphilharmonie als Solist in Beethovens 9. Sinfonie unter der Leitung von ­Sylvain Cambreling, am vergangenen Karfreitag sang er in der ­Markt­kirche Hannover die Basspartie in Dvoráks „Stabat Mater“. Stimmlich näher als Bachs Passionen liegen ihm Mendelssohns Oratorien „Elias“ und „Paulus“ und selbstverständlich Verdis „Requiem“. Obwohl er erfolgreich diverse große Wagnerpartien gesungen hat, sieht er sich eher als italienischen Bass. „International wird man als Deutscher jedoch vor allem im deutschen Fach engagiert, nur selten im italienischen.“
In Bonn fühlt Schabel sich ausgesprochen wohl. „Die Stadt und die Umgebung sind reizvoll, die Wege sind relativ kurz. Man ist schnell draußen in der Natur, was ich zur Entspannung unbedingt brauche. Besonders gefallen mir die internationale Atmosphäre und das vielfältige Kulturangebot. Das Verhältnis zwischen allen Akteuren erscheint mir außerordentlich harmonisch.“ Trotz aller Probleme in den letzten Jahren freut sich Tobias Schabel, dass in der Saison 2021/22 vieles wieder stattfinden konnte und voraussichtlich kann. Und hofft, dass in der nächsten Spielzeit alles beinahe normal läuft. Ein bisschen Sorge um die Zukunft der Gattung Oper bleibt indes: „Hier passiert vieles wie in Zeitlupe. Ein Augenblick kann da schon mal mehrere Minuten lang dauern. Die meisten jungen Menschen sind aber gewöhnt an mediale Wahrnehmungen im Sekundentakt. Nur mit vielen Bildungsbemühungen wird das Musiktheater lebendig bleiben.“

Sonntag, 01.05.2022

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