Daniel Johannes Mayr - Kultur Nr.168 - Januar/Februar 2022

Kapellmeister an der Oper Bonn - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Daniel Johannes Mayr

Enttäuscht war er schon, als das für den 6. Dezember vorgesehene Sinfoniekonzert mit dem Akademischen Orchester Bonn kurzfristig von der Universitätsleitung wegen der Pandemie untersagt wurde. Nach der gültigen Coronaschutzverordnung hätte es eigentlich stattfinden können. „Wir haben am 5. Dezember trotzdem mit den Solisten Mikhail Ovrutzky und Grigory Alumyan vom Beethoven Orchester eine Generalprobe gespielt, ohne Publikum, nur für uns. Das war wichtig und schön, einfach das Erlebnis des gemeinsamen Musizierens“, erklärt der Dirigent Daniel Johannes Mayr, der die aktuelle Arbeitsphase des großen ­Amateur­­orchesters leitet. „Natürlich hoffen wir nun alle, dass wir das Konzert im Februar nachholen können.“
Seit der Spielzeit 2017/18 ist Mayr Erster Koordinierter Kapellmeister an der Oper Bonn. Die Bezeichnung klingt etwas merkwürdig, bedeutet aber schlicht, dass er eine beigeordnete Erste Kapellmeister-Position neben dem anderen Ersten Kapellmeister Hermes Helfricht innehat. Zu tun hat der vielseitige Musiker in der laufenden Saison besonders viel. Mitte November dirigierte er die Premiere von Humperdincks Märchenspiel Hänsel und Gretel (s. Kritik S. 4).
Die letzte Wiederaufnahme der alten Inszenierung hatte er auch schon geleitet. „Selbstverständlich versucht man, bei fertigen Produktionen trotz weniger Proben in den Aufführungen doch seine eigenen musikalischen Vorstellungen zu verwirklichen.
In der früheren Inszenierung sang der Tenor Johannes Mertes grandios die Hexe, nun ist es die fabelhafte Mezzosopranistin Susanne Blattert. In dieser Besetzung klingt das Ganze natürlich anders. Eigentlich war sowieso alles anders geplant. Generalmusikdirektor Dirk Kaftan hatte die musikalische Leitung übernommen und eine ‚Corona-Version‘ mit reduzierten Instrumenten (vor allem weniger Bläsern) erarbeitet. Nach der ­Orchesterhauptprobe vor über einem Jahr kam der Lockdown und damit das vorläufige Ende. Beim zweiten Anlauf hatten wir weniger Proben, konnten aber wieder mit voller Orchesterbesetzung arbeiten. Ich war oft bei den szenischen Proben dabei, um gemeinsam mit dem Regisseur und den Sänger*innen daran zu arbeiten, dass Bühnenaktionen und Musik möglichst gut zusammenfinden.“
Als nächstes Projekt steht erneut eine Familienoper auf Mayrs Programm: Die Uraufführung von Iwein Löwenritter im Rahmen der Reihe „Junge Opern Rhein-Ruhr“ (Premiere am 30. Januar 2022). Die musikalischen Proben mit den Solisten und dem Chor haben schon begonnen, zwischen Weihnachten und Neujahr folgen die ersten Proben mit dem Orchester.
Den Komponisten Moritz Eggert hat Mayr schon zu Beginn seiner Karriere kennengelernt, als er im Bewerbungsverfahren an der Komischen Oper Berlin eine Chorprobe für Eggerts Fußballoratorium Die Tiefe des Raums am Klavier begleiten musste, die dann zu seinem ersten festen Engagement als Assistent und Stellvertreter des Chordirektors an der Komischen Oper führte. Nachhaltig geprägt hat ihn dort die Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der für ihn ein großes dirigentisches Vorbild wurde.
Geboren 1978 in Kempten im Allgäu, zog Mayr nach dem Abitur am musischen Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg 1997 für ein Jahr nach Brasilien und arbeitete in der Nähe der Großstadt Curitiba in einem Projekt für Straßenkinder. „Wir machten neben Schule, Arbeit, Capoeira und Fußball auch Musik und Theater, bei dem die Kinder ihre Erfahrungen auf der Straße verarbeiteten, selbst Lieder verfassten und in Schulen und Kulturzentren die Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellten. Es war eine sehr wichtige Zeit für mich.“
Schon als Schüler hatte er Erfahrungen mit verschiedenen Instrumenten gesammelt, spielte Klavier, Horn, Schlagzeug, Orgel und Kontrabass. An der Hochschule für Musik Würzburg studierte er zunächst Schulmusik und schloss diese Ausbildung 2003 mit dem Staatsexamen ab. Er spielte in diversen Ensembles und Bands und wirkte im Hochschulorchester und in verschiedenen Chören mit. Einer seiner Professoren riet ihm zur Konzentration aufs Dirigieren. „Ein großer Opernfan war ich bis dahin eigentlich nicht. Aber das Musiktheater, das ja so viele Facetten hat und alle Sinne anspricht, hat mich schnell sehr begeistert.“ Außerdem faszinierte ihn die menschliche Stimme. Als ungemein inspirierend erlebte er die Liedkurse u. a. bei Dietrich Fischer-Dieskau und Helmut Deutsch sowie ­Meisterklassen u. a. bei Cheryl Studer, Leandra Overmann und Endrik Wottrich.
Am Würzburger Mainfranken-Theater sammelte er erste Erfahrungen als Korrepetitor, arbeitete als Lehrbeauftragter an der Opernschule und leitete das Grombühler Kammerorchester. 2006 absolvierte er sein Kapellmeister-Examen.
Auf sein Engagement in Berlin folgte eine Anstellung als Chordirektor und Zweiter Kapellmeister am Theater Nordhausen. Von 2010 bis 2017 war er dann fest engagiert als Chordirektor und Kapellmeister am Theater Bremen, wo er neben eigenen Produktionen ein großes Repertoire dirigierte. In den Jahren 2010 bis 2013 arbeitete er zudem bei den Bayreuther Festspielen als musikalischer Assistent des Chordirektors Eberhard ­Friedrich, den er an der Berliner Staatsoper kennengelernt hatte. „Das war eine tolle Erfahrung, nicht nur wegen der vielen weltberühmten Dirigenten, Regisseure und Sänger*innen, mit denen ich dort arbeiten durfte. Die Qualität und der magische Klang des Festspielorchesters und -chores sind einfach berauschend!“ Bereits 2003 war Mayr als Stipendiat des Richard-Wagner-Verbandes in Bayreuth gewesen, wagte aber damals noch kaum von einem Engagement dort zu träumen.
Seit er in Bonn arbeitet, feierte er umjubelte Erfolge mit der musikalischen Leitung der beliebten großen Musicals wie Sunset Boulevard, Kiss me Kate und zuletzt Bernsteins West Side Story. Er stand u. a. bei Strauss‘ Rosenkavalier, Elektra und Arabella, Beethovens Fidelio, Carmen, Don Giovanni und Le nozze di Figaro am Pult des Beethoven Orchesters.
Im September 2020 kam unter seiner Leitung Mauricio Kagels ­Staatstheater in der witzigen Regie von Jürgen R. Weber heraus. Mit wilder Beethovenmähne und riesenlangen Frackschößen spielte der Dirigent Mayr selbst eine der skurrilen Figuren dieses parodistischen Theater-Panoptikums. „Im Vorfeld war das extrem viel Arbeit“, berichtet er. „Wir mussten uns quasi eine eigene Partitur zusammenbasteln. Das Stück ist wie ein großer verrückter Spielebaukasten. Es gibt keine Vorgaben zu Instrumenten, oft sind nur Intervalle und rhythmische Anweisungen notiert. Für das Kapitel ‚Einspielungen‘ hatte ich mit dem Orchester viele Aufnahmen gemacht, und jede Taste eines Keyboards mit diesem Tonmaterial belegt. Wenn ich bei der Vorstellung nun eine Taste drückte, ertönte also eine vorproduzierte Aufnahme, die ich passend zum Gesang in verschieden Klangkombinationen variierte. Die Arbeit hat viel Spaß gemacht, insbesondere auch der Einsatz des Jugendchors.“
Erneut mit dem Regisseur Weber zusammengearbeitet hat Mayr bei der Wiederentdeckung von Rolf Liebermanns Leonore 40/45, die eigentlich auch schon 2020 herauskommen sollte und dann in den Herbst 2021 verschoben wurde. Das Inszenierungs-Konzept war noch eine Corona-Version. „Das Orchester durfte zwar in voller Besetzung spielen, war aber hinter der Bühne platziert. Es gab keinen direkten Kontakt zu den Sängern. Mir war aber wichtig, dass die live spielenden Musikerinnen und Musiker zumindest einmal per Video sichtbar wurden. Das Stück erscheint zwar aus heutiger Sicht fast etwas harmlos, aber durchaus sehr gut komponiert und konzipiert, ein wichtiges Zeitdokument und ich bin froh, dass wir es wenigstens viermal zeigen konnten und vom Publikum sehr viel Zuspruch bekamen.“
Wirklich am Herzen liegt dem vielseitigen Dirigenten, der zudem an den Musikhochschulen Detmold und Bremen Lehraufträge für Orchesterleitung wahrnahm, die Musikvermittlung. Etliche Jugendopern hat er in Bonn musikalisch einstudiert, dirigiert regelmäßig und mit viel Freude Kinder- und Familienkonzerte und mag die besondere Stimmung bei Schulvorstellungen in der Oper. Worauf er sich im Jahr 2022 besonders freut? Erst mal auf die Premiere von „Iwein“ und dann auf die Wiederaufnahme der Fledermaus am 6. Februar – fast zwei Jahre nach der Premiere, die gleichzeitig auch die Derniere war. Wie alle Theater- und Musikschaffenden hofft Daniel J. Mayr, dass es keine erneuten Schließungen von Einrichtungen zur kulturellen Begegnung und Bildung geben wird. Was er sicher nicht verlieren wird, sind sein charmanter Allgäuer Akzent und sein zuversichtlicher Humor.

Samstag, 01.01.2022

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