Emma Sventelius - kultur 165 - April 2020

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Emma Sventelius: Octavian, Cherubino und eine Oberamtsleiterin

Bei der Weihnachtsfeier der Bonner Opernfreunde überraschte sie mit dem Song „Sexy Lady“ des amerikanischen Komponisten Ben Moore. Darin beklagt eine Mezzosopranistin selbstironisch ihr Schicksal: Immer diese Hosenrollen! Cherubino, Octavian und diverse Barockopern-Helden. „I‘m tired of kissing chicks”, heißt es da und „I can be a sexy lady!” Klar kann sie das, an der Oper in Malmö war sie 2018 schon zu erleben als Carmen, also dem Inbegriff von selbstbewusster Weiblichkeit. In Bonn, wo Emma Sventelius seit dieser Spielzeit fest engagiert ist, hat sie sich 2019 dem Publikum allerdings genau mit den beiden in dem Lied genannten Partien vorgestellt. Als Octavian im Rosenkavalier von Richard Strauss und als Cherubino bei der Wiederaufnahme von Mozarts Hochzeit des Figaro eroberte die junge Schwedin mit ihrer burschikosen Erscheinung und der blonden Kurzhaarfrisur sofort alle Herzen.
Allen Grund zum Strahlen hat sie derzeit sowieso. Denn Ende Februar kam die offizielle Botschaft: Emma Sventelius erhält 2020 das renommierte Birgit-Nilsson-Stipendium, eine große Auszeichnung für vielversprechende Nachwuchstalente und in diesem Jahr mit 200.000 SEK (rund 20.000 Dollar) dotiert. Etliche Preise und Stipendien hat sie in den letzten Jahren schon gewonnen. „Die Teilnahme an Wettbewerben und die Förderung durch Stipendien ist extrem wichtig“, erklärt sie. „Nicht nur, um Fachleute auf sich aufmerksam zu machen. Man braucht tatsächlich auch das Geld, weil man vieles – z. B. oft die Reisekosten zu Vorsingen etc. – selbst bezahlen muss und die Gagen im normalen Opern- und Konzertbetrieb bei weitem nicht so üppig sind, wie manche glauben.“
In den letzten Monaten war sie sehr viel unterwegs zwischen Bonn und ihrem Heimatland. Im Januar erhielt sie die Nachricht, dass die Königliche Oper Stockholm sie als neuen Cherubino engagiert hatte. Das bedeutete ständiges Pendeln zwischen den Proben dort und den Vorstellungen hier. Am 15. Februar nachmittags beispielweise sang sie die Wiederaufnahme-Premiere von Le nozze di Figaro in Stockholm, am 16. die Dernière des Rosenkavalier in Bonn, am 17. wieder den Cherubino in der schwedischen Hauptstadt. „Eigentlich hatte ich in Bonn darum gebeten, nicht beide Stücke an direkt aufeinander folgenden Tagen zu ­disponieren. Aber nach mehreren ‚Rosenkavalier‘-Vorstellungen war ich überhaupt nicht mehr nervös wegen der Stimme, voller Vertrauen und ganz entspannt.“
Die Rolle des Octavian hat sie sich spielerisch von Grund auf selbst erarbeitet und dabei intensiv männliche Bewegungsmuster antrainiert. Immer noch schwärmt sie von der heiteren Probenatmosphäre mit dem Regisseur Josef Köpplinger und den wunderbaren Bühnen-Kollegen. Arbeitssprache in dem internationalen Ensemble ist Englisch. Dass das perfekte Deutsch der sprachbegabten Sängerin einen – für den Octavian natürlich idealen – leichten Wiener Akzent hat, verdankt sie ihrem Studienjahr in der österreichischen Hauptstadt. Ganz anders war die Arbeit beim Figaro, wo sie in eine fertige Inszenierung einsprang. „Die habe ich als DVD studiert und stand dann nach einer Woche Probenzeit auf der Bühne. Das hat aber auch Vorteile. Man kann sich völlig auf die Gestaltung und die eigenen Energien konzentrieren. Damit gewinnt man auch die Freiheit, ganz man selbst zu sein.“
Geboren wurde Emma Sventelius 1990 in der südschwedischen ­Universitätsstadt Lund. Gern gesungen hat sie schon als Kind. Beide Eltern waren Lehrer und wirkten begeistert in Amateurchören mit. Auch Emma war bereits mit sechs Jahren in Chören aktiv. Musik spielte eine große Rolle in der Familie. Man besuchte regelmäßig Konzerte („Ein absolutes Schlüsselerlebnis für mich war Bachs Matthäuspassion“), ­befasste sich aber kaum mit der Oper. Emmas erste Begegnung mit dem Musiktheater – mit dreizehn Jahren sang sie im Opernhaus Malmö im Kinderchor bei Verdis Othello – hinterließ keine nachhaltigen Spuren. Sie lernte Klarinette, bis ihr Chorleiter ihr zu einer professionellen Ausbildung ihrer schönen Stimme riet und ihr einen Sommerkurs für Operngesang empfahl. Da sprang ein Funke über. Mit 21 Jahren erhielt sie erstmals richtigen Gesangsunterricht und gab ihr Studium der Mikrobiologie auf, als sie einen der raren Studienplätze für Kammermusik und ­Lied­interpretation an der Volkshochschule in Vadstena ergattert hatte. Die anspruchsvolle Ausbildung dort, eine Art Vorbereitung für ein Akademiestudium, schloss sie 2013 ab.
Es folgte ein Gesangsstudium an der Königlichen Musikakademie Kopenhagen, das sie 2016 mit einem Bachelor-Degree abschloss. Als ­Erasmus-Studentin zog sie 2015/16 für ein Jahr nach Wien an die Universität für Musik und darstellende Kunst. „Da war ich dann mindestens zweimal pro Woche in der Staatsoper, wo es im obersten Rang Stehplätze für drei Euro gab. Das war zwar toll, aber spannender fand ich bald die Aufführungen im Theater an der Wien und an der Volksoper.“ Ihren ­Master-Degree absolvierte sie 2018 am University College of Opera in Stockholm. Schauspielerische Erfahrungen hatte sie zwar schon gesammelt, seit sie 2011 in ihrer Heimatstadt Lund die Zauberin in Purcells Dido und Aeneas verkörpert hatte. Ihr internationales Debüt gab sie 2017 an der Deutschen Oper am Rhein als Suzuki in Puccinis Madama Butterfly. In Bonn sang sie bei der Wiederaufnahme dieser Oper 2019 die kleinere Partie der Kate Pinkerton. „Düsseldorf war meine erste praktische Erfahrung mit einem großen Opernhaus. Gleichzeitig bereitete ich meinen Master in Stockholm vor. Das war wie ein Leben in zwei Welten.“
In Bonn hat sie auf Empfehlung ihrer Agentur Anfang 2019 vorgesungen und freut sich sehr, dass es mit dem festen Engagement geklappt hat. „Bonn ist jetzt schon wie eine zweite Heimat. Das Haus ist überschaubar, man kann fast alle Beschäftigten kennen. Außerdem gibt es hier ein Superpublikum. Man spürt einfach eine starke emotionale Bindung der Leute an ihre Oper und ihr ­Ensemble.“
Eine begehrte Konzert- und Oratoriensängerin ist Sventelius weiterhin, auch wenn ihr dafür momentan nicht viel Zeit bleibt. Beim Beethovenmarathon am 21. Dezember war sie als Solistin in der ­
9. Sinfonie zu erleben, was zum Beginn der Jubiläumsfeierlichkeiten natürlich etwas Besonderes war. Bachs Matthäuspassion und das Weihnachtsoratorium gehören ebenso zu ihrem Repertoire wie Mozarts Requiem. Das wird sie übrigens wieder Anfang April in Göteborg singen. Unter der Leitung von Barbara Hannigan, die die Mezzosopranistin in ihr Programm „Equilibrium“ zur Förderung junger professioneller Künstler aufgenommen hat, die am Anfang ihrer Karriere stehen.
Im kommenden Sommer wird sie beim Festival auf Schloss Läckö am Vänernsee die Titelrolle in der außerhalb Schwedens kaum bekannten, 1973 uraufgeführten Oper Tintomara von Lars Johan Werle singen. Die Hauptfigur changiert zwischen den Geschlechtern und wird gleichermaßen von Männern und Frauen begehrt. Sventelius freut sich darauf, bei der Gelegenheit mal wieder mit ihrem Mann zusammenzuarbeiten. Der Bariton Hannes Öberg ist ebenfalls viel unterwegs und teilt mit ihr das ­Interesse am zeitgenössischen Musiktheater. Bei der Uraufführung der Kammeroper The Importance of being Ernest von Bengt Tommy ­Andersson nach Oscar Wilde 2017 in Vadstena, sang Svertelius die Miss Prism, Öberg den Algernon. Sie liebt moderne Musik und hat schon einige Werke mit aus der Taufe gehoben, ­darunter 2019 Händels Orlando in einer Bearbeitung des zeitgenössischen schwedischen Komponisten Johan Ramström. Sventelius sang die Titelrolle im wunderschönen historischen Confidencen-Theater bei Stockholm.
Mitte März haben die Proben begonnen für Mauricio Kagels Staatstheater (Premiere in der Bonner Oper sollte am 24. April sein). Sventelius wird die Oberamtsleiterin verkörpern und ist sehr gespannt auf dieses musikalische und szenische Abenteuer. Die Künstlerin ist weltoffen, neugierig und ungemein freundlich. Zwischen ihren vielen Auftritten braucht sie indes auch einen vertrauten Ruhepol. Mit ihrem Mann hat sie eine Wohnung in Malmö, wo sie gern mal ausgiebig kocht und backt.

Sonntag, 10.05.2020

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