Wodolaskin, Jewgeni: Luftgänger

Luftgänger
Foto: Aufbau Verlag
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kultur 162 - Februar 2020

Die Kritiker vergleichen Jewgeni Wodolaskin mit Dostojewski und Bulgakow, er entfaltet am Schicksal eines einzelnen ein Panorama von 100 Jahren russischer Geschichte.
Er, der Protagonist des Buches, erwacht in einem Krankenhaus, die Tabletten auf seinem Nachttisch stammen aus dem Jahre 1999, er wurde 1900 geboren, im Zarenreich. Aber wie kann das sein? Auf Wunsch seines Arztes schreibt er alles auf, an was er sich erinnert: seine Kindheit, seine Jugend, den Ersten Weltkrieg, den Bolschewismus, seine Jahre als Gefangener und Mordverdächtiger in diversen Gulags, seine Qualen, die Folter, aber immer wieder die Liebe, seine einzige zu Anastasia, sechs Jahre jünger als er, und schließlich, dass er einwilligte, sich einfrieren zu lassen ... Und nun wacht er langsam wieder auf und erinnert sich, fast ein Jahrhundert später.
Er kennt keinen Computer, kein Handy, keine Flugzeuge, er liegt in einem Krankenhaus und schreibt alles, woran er sich stückweise erinnert, für seinen betreuenden Arzt auf, für Geiger, seinen einzigen Freund, für den er auch ein Experiment ist. Sein biologisches Alter, sagt er, sei dreißig Jahre. Seine Liebe Anastasia hingegen, 93 Jahre alt, lebt noch. Ihre Enkelin bringt ihn zu ihr, aber sie erkennt ihn nicht mehr und stirbt nach kurzer Zeit. Er wird berühmt, er lebt mit Nastja, der Enkelin. Sie heiraten und erwarten ein Kind, aber kann das gut gehen?
– ­Sie werden das Buch, wie ich, atemlos und hoffnungsvoll lesen. Es ist wunderbar leicht geschrieben, der junge hundertjährige Mann wird Ihnen wie mir ans Herz wachsen: So viel Glück nach so viel Leid denken Sie, wie ich, wie schön – und das Ende? Ich darf und will es nicht verraten, aber es ist ein guter Schluss, es ist nicht nur ein Panorama der russischen Geschichte der letzten hundert Jahre, es ist auch ein immer gültiges menschliches Ende zwischen Schuld und Vergebung. Ein ungewöhnliches, sicher nachhaltiges, wenn auch nicht nachvollziehbares Werk.

Freitag, 24.04.2020

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