Wildes Holz - kultur 161 - Dezember 2019

Neue Triebe - Wildes Holz starten nach Schicksalsschlag wieder durch

von Thomas Kölsch

Die Blockflöte hat einen schlechten Ruf. Nach Generationen der musikalischen ­Früh­erziehung ist sie bei vielen angehenden Musikern verpönt, im Vergleich zu Klarinette, Oboe oder Querflöte ein Spielzeug ohne viele Möglichkeiten. Dabei ist dieser Instrumenten-Rassismus völliger Unsinn – und Wildes Holz das beste Beispiel dafür, dass Bock auf Block zu astreinen Ergebnissen führen kann. Seit mehr als 20 Jahren zieht das Trio um Deutschlands einzigen Diplom-Jazzblockflötis­­ten Tobias Reisige über die Kleinkunstbühnen der Republik, mischt dabei Klassik mit Folk, Rock und Jazz und begeistert mit jedem Ton aufs Neue. AC/DC, Kraftwerk oder Chick Corea? Geht alles. Wieder. Zum Glück.

Dabei stand die Band Ende vergangenen Jahres vor dem Aus, nachdem Gitarrist Anto Karaula im August 2018 unerwartet verstorben war. Ein schwerer Schicksalsschlag, erinnert sich Bassist Markus Conrads im Interview mit der kultur. „Wir drei waren – nicht nur durch Wildes Holz – eng befreundet und mussten Antos Tod erst einmal verarbeiten“, erinnert er sich. „Wir hatten für mindestens ein halbes Jahr alle Termine abgesagt und wussten zunächst nicht, wie die Zukunft aussehen sollte. Tobias und ich haben aber schnell realisiert, dass wir auf jeden Fall weiter Musik machen wollten.“ Und dann kam Djamel Laroussi. „Anto und ich kannten ihn schon aus unserer Zeit vor Wildes Holz, als wir uns in der Recklinghausener Jazz-Szene herumtrieben“, so Conrads. „In seiner Heimat Algerien ist er ja ein Superstar, der schon mehrere Nummer-1-Hits hatte, aber er ist auch schon mit Stevie Wonder getourt. Tobias und ich haben ihn zunächst nur gefragt, ob er uns helfen würde, eine CD fertig aufzunehmen, die wir mit Anto begonnen hatten.“ Doch daraus wurde mehr. Etwa 70 Auftritte haben die Drei inzwischen zusammen absolviert, mit fast komplett neuem Material. „Djamel bringt unglaublich viele ­Stilistiken mit, darunter nordafrikanische Einflüsse, die wir extrem spannend finden“, sagt Conrads. „Gleichzeitig versuchen wir derzeit, eigene Stücke mit mehr Tiefe zu spielen. Wir wollen das Publikum immer noch unterhalten und machen auch gerne mal etwas Quatsch, aber der Fokus liegt momentan eher auf der Musik als auf Entertainment.“ Dabei helfe Laroussis Einfluss sehr. „Er ist sehr präzise, was Rhythmus und Intonation angeht“, gesteht Conrads und lacht. „Wir haben früher eher mal Fünfe grade sein lassen, so lange wir Spaß hatten. Djamel fordert uns viel mehr, was uns aber auch sehr gut tut.“

Auf diese Weise haben sich Wildes Holz wieder gefunden, auch wenn eine Lücke bleiben wird. „Die Erinnerungen kommen aber vor allem abseits der Bühne“, betont Conrads. „Natürlich ist es mit Djamel etwas anderes, auch weil Tobias und ich in 20 Jahren so auf Anto eingespielt waren, dass sich das nicht einfach so ersetzen lässt. Die Spielfreude von Djamel ist aber ­an­steckend, seine Offenheit und seine Neugier.“ Derzeit bereitet das Trio sein traditionelles Weihnachtsprogramm vor, was für den Algerier eine besondere Herausforderung darstellt, wie Conrads amüsiert erklärt. „Er kommt ja nicht aus einem christlichen Kulturkreis und kennt daher viele unserer Weihnachtslieder nicht. Wenn er dann völlig fasziniert ist von ­'Kling Glöckchen, klingelingeling' und die Melodie oder die Harmonien lobt, ist das schon lustig, zumal Tobias und ich ja immer versucht sind, mit diesen Stücken Schindluder zu treiben. Ich denke aber, dass wir mal wieder eine gute Mischung zusammengestellt haben.“

Und danach? Mal sehen. „Wir sind gerade in einer Phase, in der sehr viele Ideen entstehen, andererseits wollen wir erst einmal unser aktuelles Programm aufnehmen und abschließen, bevor wir uns auf neues Material stürzen. Es gibt ja mehr als genug, die Blockflöte erlaubt tatsächlich mehr als man glaubt. Wenn der Kern der Komposition gut ist, eine schöne Melodie vorhanden ist und ein Stück nicht zu sehr auf einen Text angewiesen ist, dann können wir damit in der Regel auch arbeiten.“ Und Spaß haben, Gas geben, und den Ruf eines unterschätzten Instruments zumindest teilweise wieder herstellen. Wenn all das an einem Abend zusammenkommt, dann haben Wildes Holz ihre Mission erfüllt.

Mittwoch, 08.01.2020

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 15:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn