Louise Kemény - kultur 161 - Dezember 2019

Louise Kemény
Foto: Thilo Beu
Louise Kemény
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Louise Kemény: Pamina, Susanna, Sophie und Marzelline

Am Sonntag nach unserem Gespräch wird die junge Sopranistin ihr Debüt als Susanna in Figaros Hochzeit geben. Die witzige Inszenierung von Aron Stiehl gefällt ihr sehr und passt perfekt zu ihrem komödiantischen Talent. Mozarts Oper ist ihr sehr vertraut; die Barbarina hat sie bereits 2016 an der Niederländischen Nationaloper ­Amsterdam gesungen in der höchst unterhaltsamen Inszenierung von David Bösch unter der musikalischen Leitung von Ivor Bolton. Seit der Spielzeit 2018/19 gehört Louise Kemény zum festen Ensemble der Oper Bonn. Endgültig die Herzen des Publikums erobert hat die grazile Blondine zu Beginn der laufenden Saison als Sophie in Richard Strauss‘ Rosenkavalier.
Sie hat sich intensiv mit der Figur dieses Mädchens beschäftigt, das ohne jede Lebens- und Liebeserfahrung aus gesellschaftlichem Kalkül in die Ehe mit einem alten Schwerenöter getrieben werden soll. „Ich mag die vielen sehr präzisen psychologischen Details in der Inszenierung. Zum Beispiel den Moment, indem sie von der Erscheinung des jungen Brautwerbers so überwältigt ist, dass sie fast ohnmächtig wird und die silberne Rose fallen lässt. Ein bisher völlig unbekanntes Gefühl trifft sie wie ein Blitzschlag, aber sie begreift intuitiv immer mehr und entwickelt bald echtes Selbstbewusstsein.“ Außerdem hat die gebürtige Engländerin, die mittlerweile sehr gut Deutsch spricht, sich verliebt in Hofmannsthals Text. Denn bevor sie sich für eine professionelle Gesangsausbildung entschied, hat sie erst mal in Cambridge Literatur studiert.
Louise Kemény wuchs in London auf. Klassische Musik spielte in der Familie keine Rolle, Musikunterricht fand an staatlichen Schulen kaum statt. „Eine Patentante war jedoch ein überzeugter Opernfan und nahm mich regelmäßig mit in die Royal Opera und die English National Opera. Ich war sofort fasziniert von dem Zauber des Theaters. La Bohème und Carmen musste ich als Kind eigentlich gar nicht verstehen, um total berührt zu sein von der Musik und den Bühnengestalten. Alle Eindrücke waren neu, und ich wünschte mir, irgendwie involviert zu sein. Nicht unbedingt als Sängerin, sondern ganz allgemein. Dass ich mal in großen internationalen Häusern und bei wichtigen Festivals auftreten würde, habe ich nicht mal geträumt.“
Erst in der Oberstufe stand Musik regelmäßig auf dem Lehrplan. Louises Stimme wurde entdeckt und durch private Gesangsstunden gefördert. Nebenbei absolvierte sie eine Ausbildung am „Lyric Theatre ­Hammer­smith“, einem großen freien Kulturzentrum im Londoner Westen, und wirkte mit anderen Jugendlichen bei musikalischen Open-Air-Produktionen mit. „Die Unterscheidung zwischen Stadt- und Staatstheatern und privaten Bühnen gibt es so nur im deutschsprachigen Raum. Aber es ist toll, dass es hier so viele öffentlich geförderte Opernhäuser gibt. Das zieht natürlich viele Talente an und wirkt auf alle unglaublich anregend.“
Bonn gefällt ihr nicht nur als Stadt außerordentlich gut. „Das Ensemble ist super. Man kann von den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen eine Menge lernen, und alle arbeiten gemeinsam, ohne dass Altersunterschiede oder Nationalitäten etwas ausmachen.“
Zum Vorsingen in Bonn schlug ihr Agent sie vor, nachdem er sie in ­Glynde­bourne erlebt hatte. Schon während ihres Studiums sang sie dort im Chor und studierte dann 2014 als Cover die Serpetta in Mozarts La Finta Giardiniera ein. „Natürlich ist es frustrierend, wenn man eine Partie gelernt hat und nicht zum Zuge kommt. Deshalb gibt es bei dem ­Festival extra ‚Cover-Vorstellungen‘, in denen sich diese Sängerinnen und Sänger präsentieren können.“
Bereits in Cambridge hatte Louise in einer studentischen Operngruppe mitgewirkt und sich gleich an Debussys Mélisande gewagt. Nach ihrem Masterabschluss mit einer Arbeit über den Dichter John Dryden und das englische Theater in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wollte sie gründlich Gesang studieren. Weil es für ein neues Studium in England keine Stipendien gab, zog sie nach Schottland und absolvierte (quasi als ‚Ausländerin‘) ihren zweiten Master in Musik und Theater am Royal Conservatoire of Scotland in Glasgow. Von dieser lebendigen Kulturstadt schwärmt sie immer noch. Die vielseitige Künstlerin war engagiert in diversen kleineren Rollen an der Scottish Opera, sammelte Bühnenerfahrungen u. a. an der British Youth Opera und der English Touring Opera und sang große Solopartien in vielen Konzerten unter weltbekannten Dirigenten. Außerdem lernte sie noch Saxofon, war in Jazzclubs und als Straßenmusikerin unterwegs und arbeitete eine Zeitlang als Freiwillige für eine NGO als Englischlehrerin für Kinder in Kambodscha.
Für die karrierefördernden, prominenten Wettbewerbe fehlte der energiesprühenden Sängerin einfach die Zeit. Dennoch verzeichnet ihre Biografie etliche Preise, wobei sie selbst das Britten-Pears-Stipendium 2017 hervorhebt: „Eine Woche lang intensiv Lieder und Poesie mit der eigenen Stimme zu erforschen, war absolut großartig.“ In der Kunsttheorie und Theatergeschichte kennt sie sich bestens aus. Genregrenzen interessieren sie kaum: „Jazz z. B. hat mir nicht nur eine neue musikalische Sprache eröffnet, sondern hilft auch bei alter Musik und beim Improvisieren. Der Deutschbrite Händel etwa bringt einen irren Groove in seine barocke Klangwelt.“
Als kesses Girlie Romilda in Händels Xerxes, fabelhaft inszeniert von ­Leonardo Muscato und dirigiert von Rubén Dubrovsky, gab Louise Kemény ihren Einstand an der Bonner Oper: „Wir hatten unglaublich viel Spaß bei den Proben und waren sehr glücklich über den Riesenerfolg.“ Sie sang dann die Pamina in der Zauberflöte und die Gretel in Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel. „Beides sind wunderschöne Inszenierungen, die mir viel Freude machten.“ Anfang 2019 spielte sie die Prinzessin in der Jugendoper Die Schneekönigin und die 5. Magd in Strauss‘ Elektra. Ihre besondere Leidenschaft gehört ohnehin der Oper des 20. und 21. Jahrhunderts; mit großem Erfolg sang sie in ihrer Heimat Hauptrollen in mehreren zeitgenössischen Werken. Nicht geringer ist freilich auch ihre Begeisterung für alte Musik. Zu ihren zahlreichen Konzerthöhepunkten zählt sie Bachs Matthäus-Passion mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment in der Regie von Mark Padmore. „Es war eine sehr berührende Aufführung ohne Dirigent, mit der wir 2018 auch eine große Tournee durch halb Europa machten.“
Neben ihren vielen großen Konzertauftritten widmet sie sich intensiv dem Liedgesang. Ganz besonders liebt sie die Sopranpartie in ­Schönbergs Zweitem Quartett und zitiert gleich einen Satz aus Stefan ­Georges Gedicht Entrückung: „Der boden schüttert weiss und weich wie molke …“. „Genau dieses Bild erlebte ich ganz real auf unserer Hochzeitsreise an einem Salzsee in Bolivien.“ Louise Keménys Ehemann ist ebenfalls Musiker, singt im Queen’s Choir der Chapel Royal im St. James Palace und arbeitet im Management dieses traditionsreichen Klangkörpers. Seine Mutter ist übrigens die berühmte irische Mezzosopranis­tin Ann Murray. „Sie ist nicht nur einen fantastische Schwiegermutter, sondern auch eine Art Coach für mich. Ein paar Mal sind wir schon gemeinsam aufgetreten.“
Die Brexit-Diskussionen machen die sonst so muntere Sängerin „total traurig“: „Alle können dabei nur verlieren. Ich fühle mich als Europäerin. Mein Vorname ist französisch, mein ungarischer Nachname stammt von meinem jüdischen Großvater, der 1939 nach England floh.“ Mitte November beginnen schon die Proben für Beethovens Fidelio. In der Regie von Volker Lösch singt Louise Kemény die Marzelline. Die Rolle teilt sie sich mit ihrer Kollegin und Freundin Marie Heeschen. Louise wird Anfang 2020 pendeln zwischen Bonn und Karlsruhe, denn am Badischen Staatstheater verkörpert sie bei den Händel-Festspielen die Seleuce in der Oper Tolomeo. In Bonn stehen in dieser Saison dann noch die Primadonna in Kagels Staatstheater und kleinere Rollen in Brittens Death in Venice auf ihrem Programm. Louise Kemény ist stets hellwach unterwegs zu neuen Erfahrungen. Und macht uns neugierig auf die weitere Entwicklung ihres wunderschönen lyrischen Soprans.

Mittwoch, 08.01.2020

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