Walter Sittler - kultur 160 - November 2019

Unsterbliche Pointen - Walter Sittler liest Texte von Dieter Hildebrandt

von Thomas Kölsch

Die Bürde großer Kabarettisten ist es, dass ihre Pointen auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Zeit ihres Lebens bleiben sie Mahner, Rufer in der Wüste, deren Worte zwar gehört, aber nur selten befolgt werden. Und manche, wie Dieter Hildebrandt, wirken auch noch aus dem Grab heraus. Seit sechs Jahren ist der legendäre Kabarettist tot, doch seine Texte leben weiter – unter anderem durch den Schauspieler Walter Sittler, der einst auf Bitten von Hildebrandts Witwe dessen Letzte Zugabe eingelesen hatte und damit inzwischen auch überaus erfolgreich auf deutschen Bühnen unterwegs ist. Ein Wagnis, oder? Kann man jemanden wie Dieter Hildebrandt zurückkehren lassen? Offenbar ja. „Ich muss gestehen, am Anfang habe ich das für unmöglich gehalten“, gesteht Sittler im Interview mit der kultur. „Los ging es 2014, als ich gebeten wurde, bei einer Gedenk-Veranstaltung ein paar Passagen aus Die Letzte Zugabe vorzutragen, was ich natürlich gerne gemacht habe. Aber da saß ich dann, zwischen all den Kabarettisten, die Hildebrandts Weggefährten waren, und war schon ein bisschen angespannt. Als ich hinterher gefragt wurde, ob ich nicht daraus ein abendfüllendes Programm machen wolle, habe ich zunächst abgelehnt. 'Das geht nicht', habe ich gesagt, 'Ich kann seine Texte lesen, aber ich kann Dieter Hildebrandt nicht spielen'“. Offenbar doch. „Na ja, irgendwie schon. Immerhin gebe ich jetzt schon die 75. Vorstellung mit diesem Programm. Ich kann noch nicht einmal so genau sagen, was ich auf der Bühne eigentlich mache. Ich nehme Hildebrandt nicht als Rolle wahr, versuche aber, in sein Denken hineinzukommen und in seinen Duktus. Und ich verbeuge mich vor ihm.“

Es ist kein Zufall, dass Walter Sittler sich Dieter Hildebrandt verbunden fühlt: Beide verehren beziehungsweise verehrten Erich Kästner, dessen „frechen Verstand“ und literarische Leichtigkeit sie schätzen. Letzterer ist gar von seinem Vorbild gefördert worden, damals Anfang der 50er, als beide in der Kleinen Freiheit in München tätig waren. „Dieter Hilde­brandt hat sich nie über andere erhoben“, führt Sittler aus. „Er wunderte sich nur und führte dies dem Publikum vor. Dabei hat er nie behauptet, Recht zu haben – das hat er mit Kästner gemein.“ Und das sei auch einer der Gründe, warum die pointierten, satirischen Texte des Kabarett-Altmeisters bis heute wirken. „Sie verfügen über einen ganz besonderen Witz, bei dem die Klarheit nie verloren geht“, so Sittler.

Der 66-Jährige, der im November im Rahmen der Reihe „Quatsch keine Oper“ nach Bonn kommen wird, beschränkt sich in seinem Programm längst nicht mehr nur auf Auszüge der Letzten Zugabe, sondern hat es auch um einige ältere Stücke erweitert und gelegentlich sogar behutsam aktualisiert. Schließlich war Walter Sittler schon immer politisch, hat sich unter anderem beim Bürgerprotest gegen Stuttgart 21 engagiert; dabei ist er Dieter Hildebrandt und seiner Frau aufgefallen. So schließt sich der Kreis. Und jetzt? „Mein Blick auf das Geschehen in der Welt ist mit Hildebrandt und Kästner im Gepäck weitaus fokussierter geworden“, sagt er. „Ich betrachte die Ereignisse weitaus differenzierter und stelle andere Fragen als früher.“ Ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig das Hildebrandtsche Œuvre immer noch ist. Denn viele Missstände bestehen immer noch, auch wenn sich nach Ansicht von Walter Sittler einiges gebessert hat. „Die Gleichberechtigung von Frauen wächst langsam, aber immerhin stetig, und auch die Vielfalt der sexuellen Orientierungen wird stärker akzeptiert“, führt er aus. „In anderen Bereichen gibt es hingegen Rückschritte. Wir haben zum Beispiel die Leitplanken des Kapitalismus demontiert und das Geld über alles gestellt. Dagegen hat sich Dieter Hildebrandt immer gewehrt, und so lange wir da keine Kehrtwende hinbekommen, bleiben seine Texte zeitgemäß.“ Und der legendäre Kabarettist unsterblich. Ob er will oder nicht. „Oh, ich glaube, dass Dieter Hildebrandt gerne auch heutzutage noch auf die Bühne getreten wäre“, sagt Sittler und lacht. „Wahrscheinlich sitzt er irgendwo auf einer Wolke und schaut mir dabei zu, wie ich mich bemühe, sein Andenken lebendig zu halten. Ich hoffe, dass ihm das Spaß macht.“ Bestimmt.

Mittwoch, 01.01.2020

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 19.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn