Hans-Joachim Pieper - kultur 158 - Juli 2019

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Hans-Joachim Pieper - Philosoph und kommissarischer Rektor der Alanus-Hochschule

Kürzlich hielt er einen Vortrag „Europa und die Aufklärung. Zum 230. Jahrestag der Menschen- und Bürgerrechte“ in der Reihe „Kulturkalender“ der Volkshochschule Bonn in Zusammenarbeit mit dem Studium Universale der Universität Bonn. Seit rund 20 Jahren ist es ihm ein Anliegen, gesellschaftlich relevante philosophische Fragen über den engeren fachwissenschaftlichen Bereich hinaus an ein interessiertes Publikum zu vermitteln. Mehrere Jahre lang gehörte er zum Team der „Philosophischen Bücherschau“ im Bonner Kulturbistro Pauke, bei der von vier ­Philosoph*innen immer vier Neuerscheinungen und ein Klassiker vorgestellt und diskutiert wurden: „Komplexe Themen unterhaltsam und verständlich vorzustellen, ist eine faszinierende Aufgabe.“ Erfinder und Moderator dieses Formats war Markus Melchers, der mittlerweile über 250 Mal zum „Philosophischen Café“ in der Pauke eingeladen hat und mit seiner philosophischen Praxis „Sinn auf Rädern“ ein gefragter Gast bei zahlreichen öffentlichen und privaten Veranstaltern ist.
Professor Dr. Hans-Joachim Pieper bestritt mit ihm von 2014 bis 2016 auch die szenische Vortragsreihe „Die Bühne der Zwei“. Womit wir völlig entspannt schon beim Theater, seiner dialogischen Grundstruktur und Piepers vielfältiger Verbundenheit mit der Bonner Kulturszene angekommen sind. Eine Schiene führt dabei weit zurück in die Studienzeit. Der 1958 in Wesel geborene Theaterfreund wohnte in den 1970er Jahren zeitweise im selben Haus wie Udo Bielke, der jetzige Geschäftsführer der Theatergemeinde Bonn. „Das Konzept des anspruchsvollen und gleichzeitig unkomplizierten Zugangs zur Kunst gefiel mir. Viele Jahre war ich Abonnent, genoss die Aufführungen von Oper und Schauspiel und der wachsenden privaten und freien Szene“.
Hans-Joachim Pieper studierte an der Universität Bonn Philosophie, Neuere deutsche Literaturwissenschaft (vermutlich sind wir uns während meiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Literaturtheorie ein paar Mal begegnet) und Pädagogik. 1991 wurde er mit einer Arbeit über Edmund Husserls Phänomenologie promoviert. 1999 folgte die Habilitation mit einer Untersuchung zum Thema „Geschmacksurteil und ästhetische Einstellung“. Über sein besonderes Interesse an dem Schriftsteller Robert Musil und an dem Denker Immanuel Kant können wir hier nicht ausführlich reden. Piepers Arbeitsschwerpunkte sind erkenntnistheoretische und ethische Fragen sowie philosophische Ästhetik.
Nach mehreren Jahren als außerplanmäßiger Professor an der Uni Bonn lehrte er ab 2014 als Forschungsprofessor an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter, wurde 2016 als ordentlicher Professor für Philosophie im Fachbereich Bildungswissenschaft berufen und Ende 2018 ziemlich plötzlich zum kommissarischen Rektor gewählt. „Das war kein Sprung ins kalte Wasser, sondern eher einer ins heiße. Es geht nach zehn Jahren zunächst um die weitere staatliche Akkreditierung als Kunsthochschule. Das ist ein ganz normaler Vorgang, mit dessen Vorbereitung ich schon lange befasst war, aber im Detail ist das halt aufwendig. Manches muss umstrukturiert werden, ohne unser spezielles Profil zu beschädigen. Dazu gehören ein ganzheitliches Menschenbild, die Förderung von individueller Kreativität sowie die Freude am rationalen Denken und dem Engagement für das Gemeinwohl.“
Rund 24 Bachelor- und Masterstudiengänge gibt es derzeit an der Alanus Hochschule in den sechs Fachbereichen, außerdem besteht die Möglichkeit zur Promotion im Fachbereich Bildungswissenschaft. Verpflichtend für alle ist das Studium Generale, denn die Studierenden (in Alfter ca. 1.200) sollen ausdrücklich über die Grenzen ihres Hauptfachbereichs hinaus denken. Seit vielen Jahren ist die Hochschule Partner der Theatergemeinde Bonn. In deren begehrtem Ausstellungsprogramm haben Lehrende und Studierende bereits einige Male ihre Kunstwerke gezeigt. Mitglieder der Theatergemeinde erhalten 10% Rabatt auf die Teilnahmegebühren aller Kursangebote des Alanus Werkhauses, einer staatlich anerkannten Weiterbildungseinrichtung.
Im Diplomstudiengang Schauspiel, der mich natürlich besonders ­interessiert (einige Semester war ich im Studium Generale selbst als Dozentin für Theatergeschichte tätig), werden aktuell keine neuen Bewerber*innen angenommen. Warum? „Selbstverständlich bemühen wir uns weiter intensiv um die Finanzierung dieser kostenintensiven Ausbildung, in der zum Beispiel auch Einzelunterricht stattfindet“, erklärt Pieper. Ohne jetzt allzu sehr ins Detail zu gehen: „Die Hauptgesellschafterin der Alanus Stiftung, die Software AG-Stiftung mit Sitz in Darmstadt, hat ihr Förderkonzept geändert, es besteht beispielsweise die Tendenz, Gelder stärker projektbezogen einzusetzen. Aus diesem Grund finden derzeit Budget-Umschichtungen statt. Jedem Studierenden, der bei uns ein Studium aufnimmt, garantieren wir einen qualifizierten Abschluss. Um dies auch zukünftigen Studierenden zu gewährleisten, müssen wir ein neues Finanzierungsmodell schaffen.“
Die Schauspiel-Studierenden haben auf dem Hochschulgelände mit dem schönen „Hoftheater“ eine eigene, öffentliche Spielstätte. Außerdem gibt es zahlreiche Kooperationen mit Theatern und Hochschulen bundesweit. Beispielsweise mit dem Kulturzentrum Brotfabrik und dem Theater Bonn sowie mit dem Beethoven Orchester. „Da hat sich mit dem Amtsantritt von GMD Dirk Kaftan noch mal eine Menge getan.“ Alanus-Studierenden und -Absolvent*innen begegnet man auf Bonner Bühnen regelmäßig. Bei der Bonner Theaternacht 2019 traten sie wieder im Schauspielhaus auf und bestritten mit ihrer tollen Band „BaSch“ auch das Musikprogramm bei der Abschlussparty im Foyer des Opernhauses.
Die bildenden Künstler haben aus Teilen des Kupferdachs der in der Sanierung befindlichen ­Beethovenhalle spannende neue Objekte geschaffen und im Opernfoyer ausgestellt. Bevor die Bauarbeiten am „Bonner Loch“ begannen, griffen sie mit künstlerischen Aktionen ein, deren Ergebnisse bewusst kurzlebig waren. „Wir begreifen die Hochschule entschieden als multiperspektivischen Ort und die Werte der historischen Aufklärung als Quelle einer progressiven politischen Kultur. Die Freiheitsrechte unseres Gemeinwesens sind ebenso wenig relativierbar wie Solidarität und Empathie. Die Verbindung von Kunst und Gesellschaft trägt die Alanus Hochschule nicht nur im Namen; Ausbildung und Bildung sind hier untrennbar miteinander verknüpft. Die selbstbestimmte Entfaltung und Projekte zu öffentlichen künstlerischen Interventionen gehören zu unserem Programm.“
Für eigene Lehr-, Forschungs- und Publikationstätigkeiten bleibt ihm momentan nicht viel Zeit, gesteht Pieper, der gern Anzüge mit Weste trägt und nicht die milieuüblichen lässigen Outfits. 2018 hat er unter dem Titel „Bevor die Liebe geht“ ein schmales Buch veröffentlicht – mit Essays zu Liebe, Freundschaft und Miteinander. Die Vernetzung mit anderen Bildungseinrichtungen möchte er gern noch erweitern, insbesondere mit den Geistes- und Sozialwissenschaften, die im akademischen Ranking-Taumel, dem Bemühen um finanzielle Mittel und unter dem Zeichen des Zauberworts „Digitalisierung“ im allgemeinen Bewusstsein zunehmend an den Rand gedrängt werden. Wobei jedes Denken auch sinnliche und emotionale Bildung braucht und Technik und Naturwissenschaften der philosophischen und ethischen Reflexion dringend bedürfen.

Donnerstag, 05.09.2019

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