Callas - Gastspiel Ballet du Grand Théâtre de Genève - Oper Bonn - kultur 157 - Juni 2019

Zwischen Kult und Zwang

„In der Oper“ heißt die erste der acht Szenen. Die Instrumente werden gestimmt, das Ensemble erscheint in langen roten Gewändern mit weißen männlichen Torsi an den Armen. Die Pappmaché-Büsten können auch als Sitze dienen, zwischen denen sich ein elegantes junges Paar auf der Suche nach seinen Plätzen hindurchschlängelt. Um die manchmal bizarren Riten, die Machtverhältnisse und die unüberwindliche Faszination des Theaters geht es Reinhild Hoffmann in ihrem 1983 in Bremen uraufgeführten Werk Callas. Es ist keine getanzte Biografie des legendären Opernstars Maria Callas (1923 – 1977), sondern eine ­Aus­einandersetzung mit dem Divenkult und den diversen Abhängigkeiten zwischen Gesellschaft und Bühne.
Callas gilt als eines der wichtigsten Stücke des neuen deutschen Tanztheaters, das geprägt wurde von bedeutenden Choreografinnen wie Pina Bausch, Susanne Linke und Reinhild Hoffmann. Letztere war auch selbst nach Bonn angereist, wo Ende April an zwei Abenden ihre mit dem exzellenten Ballet du Grand Théâtre de Genève erarbeitete Version gastierte. Dreißig Jahre nach der Uraufführung hat sie mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes die Produktion am Theater Bremen rekonstruiert und 2017 mit der klassisch ausgebildeten Schweizer Compagnie neu herausgebracht. Im Original-Bühnenbild von Johannes Schütz, das eher an ein altes Kino erinnert, und mit den wunderbaren Kostümen von Joachim Herzog. Dennoch wirkt die Aufführung ganz frisch und angesichts von „#MeToo“ auch wieder hochaktuell.
Es ist kein feministisches Pamphlet, die Frauenfiguren in feuerroten Samtkleidern oder schwarzen Trikots werden gleichermaßen von Tänzerinnen und Tänzern verkörpert. Zur Bravourarie aus Lakmé (durchweg erklingt vom Band die Stimme der Callas) wirft die Solistin die Männerbüsten einfach um und versucht, sich einen eigenen Weg zu bahnen. „Zwei weiße Frauen“ kämpfen als verdoppelte Lady Macbeth um die Macht hinter den Kulissen. In „Dressur“ knallen Peitschen, damit aus der begabten Künstlerin ein Star wird. Auf dem blanken Deckel eines Flügels wird das Kunstgeschöpf zu Gildas „Caro nome“ aus Verdis Rigoletto in den Theaterhimmel gehoben. Die Sehnsucht nach eigenem Liebesglück hängt freilich in der Luft.
Mit der rebellischen „Carmen“ wird die Operndiva endgültig zur Puppe und zum Spiegel von Männerfantasien. Lucia di Lammermoors Wahnsinn ist eine fast schon logische Konsequenz. Tief zu Herzen geht die Szene „Tisch“ mit Orpheus‘ Klage um die verlorene Eurydike aus Glucks unsterblicher Oper. Da wird ein nobles Bankett zu Ehren der Starsängerin zelebriert, bevor es „In der Bar“ steil bergab geht in die Hölle mit Delibes‘ Glöck­chenarie, diesmal mit der Stimme der berühmt-berüchtigten ­Florence Foster Jenkins. Und so schwingt die Göttin des Gesangs schließlich auf einer Schaukel hin und her zwischen Rollenbildern und Eigensinn. Am Ende posieren alle wieder wie zuvor wie für ein Gesellschafts-Standbild. Nach einem pausenlosen, knapp zweistündigen Tanz-Ereignis mit bewegenden Bildern und vielen Einsichten in das Dasein von (Musik)-Theatergeschöpfen fulminanter Beifall aus dem ausverkauften Opernhaus.
Reinhild Hoffmann, die in Bonn 1993 Il Tabarro aus Puccinis Trittico inszenierte, führt in der kommenden Saison übrigens wieder in Bonn Regie bei einem außerordentlich spannenden Musiktheater-Projekt. E.E.-K.

Mittwoch, 28.08.2019

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