Jugend ohne Gott - Schauspielhaus - kultur 157 - Juni 2019

Jugend ohne Gott
Foto: Thilo Beu
Jugend ohne Gott
Foto: Thilo Beu

Zwischen Anpassung und Widerstand

„Alles Denken ist ihnen verhasst. Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein …“. Die Sicht des Erzählers auf die Jugendlichen lässt wenig Hoffnung. Horváth beschreibt in seinem 1937 erschienenen Roman hellsichtig eine verlorene Jugend. Es ist die Zeit zwischen zwei Weltkriegen, kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Es gibt überzeugte Anhänger der neuen Ideologie, Mitläufer und am Ende doch eine Gruppe, die auf Wahrheit besteht.
Der Regisseur Dominic Friedel hat Jugend ohne Gott mit 17 Schülerinnen und Schülern aus Bonn und der Umgebung inszeniert, die sich sehr intensiv mit dem Stoff befasst haben und ihn mit ihren heutigen Erfahrungen befragen. Am Anfang erscheinen sie, körperlich durch die Kostüme merkwürdig deformiert, in einer transparenten Box. Ein dampfender Brutkasten für die unseligen Geschöpfe, die scheinbar das eigene Denken aufgegeben haben. Auch ein Aquarium für das leitmotivische „Zeitalter der Fische“. Ein Schwarm, der mit dem Strom schwimmt, kalt und empfindungslos, ohne Moral und Werte. Und bissig, wenn der Lehrer die Position vertritt: „Auch die Neger sind doch Menschen“, was ihn politisch ins Abseits bringt. Der resignierte Erzieher nennt seine Zöglinge nur noch mit den Anfangsbuchstaben ihrer Namen: eine aggressive, gesichtslose Masse.
Die Inszenierung konzentriert sich auf das zentrale Thema und reduziert die diversen Handlungsstränge, die u. a. eine pubertäre Liebesgeschichte, einen Mordfall, theologische Debatten und Beschreibungen übler Zustände verknüpft. Als zutiefst verunsicherter Autor und Ich-Erzähler Horváth geistert der Profi-Schauspieler Sören Wunderlich durch die Szenerie. In Julian Marbachs Bühnenbild aus beweglichen Tribünen müssen die Darsteller selbst Hand anlegen, um daraus die Schauplätze vom Klassenzimmer bis zum Wehrsport-Zeltlager und zu bürgerlichen Zimmern entstehen zu lassen. Es ist hier mehr als eine technische Maßnahme, wenn sie immer wieder die Sicherheitsbremsen bedienen und die Podeste fixieren.
Christian Czeremnych beeindruckt als Lehrer (in kurzen Hosen) ebenso wie in den Rollen der Schüler T und Z. Die Jugendlichen treten häufig chorisch in Gruppen auf, zeigen aber auch individuelle Figuren. Sie bilden die Verbindung zwischen der beklemmenden Situation zu Beginn des „Dritten Reiches“ und der Gegenwart. Gegen rassistische und nationale Parolen setzen sie – befreit von den wulstigen Kostümleibern – ein starkes Kollektiv mit eigenen Texten, die für Freiheit und Toleranz plädieren. Ein einfacher Satz wie „Ich glaube an das Gute“ klingt hier gar nicht mehr naiv. Er steht für eine Generation, die nicht hoffnungs- und gedankenlos die Gegenwart einfach hinnimmt, sondern sich für eine bessere Zukunft einsetzt.
In der zweiten Vorstellung füllten überwiegend Schulklassen den Zuschauerraum und verfolgten das Geschehen konzentriert. Das gelungene Projekt sollte freilich auch in den Köpfen des erwachsenen Publikums etwas bewegen. E.E.-K.


Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause
Die weiteren Vorstellungen:
27.05. // 7.06. // 14.06.19
Empfehlenswert für Publikum ab 13 Jahren

Mittwoch, 28.08.2019

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