Kennen Sie die Milchstraße? - Kleines Theater - kultur 156 - Mai 2019

Kennen Sie die Milchstraße?
Foto: Kleines Theater Bonn
Kennen Sie die Milchstraße?
Foto: Kleines Theater Bonn

Ewig leuchtender Stern am Theaterhimmel

Irgendwo in den Galaxien muss es einen Fixstern geben für total verrückte Wanderer auf der Milchstraße, die in der lichtverschmutzten Welt sowieso nur noch in Wüstengebieten sichtbar ist. Möglich ist das Glück aber schon, wenn man sich zurückdenkt in die Zeit, wo junge Menschen als Kanonenfutter missbraucht wurden und später plötzlich doch wieder auftauchten. Mit dem Kriegsheimkehrer-Drama Kennen Sie die Milchstraße? begann im Januar 1959 die Erfolgsgeschichte des einige Wochen zuvor eröffneten und dann aus baupolizeilichen Gründen wieder geschlossenen Kleinen Theaters. Karl Wittlingers Tragikomödie war zu dieser Zeit eines der meistgespielten Stücke in der Bundesrepublik. Es blieb das einzige Bühnenwerk des mittlerweile so gut wie vergessenen Autors, das es überhaupt auf mehrere Inszenierungen brachte. Intendant Walter Ullrich ist der „Milchstraße“ über 60 Jahre lang treu geblieben. Beim ersten Mal standen in seiner Regie noch sein Vater Kurt Ullrich und der bekannte Schauspieler Gerd Croll auf der Bühne, zeitweise dann Vater und Sohn, und ab 1994 nun also Leo Braune und Walter Ullrich. Mit dem silbernen Jubiläum dieser Besetzung geht jetzt eine Ära zu Ende: Am Sonntag fand die letzte Premiere unter der Intendanz des Prinzipals Walter Ullrich statt.
Natürlich sind die Akteure des Zweipersonenstücks um ein Vierteljahrhundert gereift. Das Bühnenbild von Lutz Arkenberg erstrahlt aber frisch in leuchtendem Gelb, und dass man sich mit den Kostümen (Sylvia Rüger) nicht viel Mühe gegeben habe – das gehört halt schon zum Text. Denn das Ganze wird gespielt als angebliches Amateurtheater in einem Irrenhaus. Dorthin hat es Samuel Kiefer verschlagen, nachdem er im Zweiten Weltkrieg den Heldentod starb. Nicht so ganz, denn er überstand Gefangenschaft und weitere Gefahren, ist zwar statistisch tot, aber biologisch recht lebendig. Seine Verlobte hat nach seinem urkundlich bestätigten Ableben einen anderen geheiratet, seine Ländereien hat die Dorfgemeinschaft gierig und gerecht unter sich aufgeteilt. Insofern war Samuels Tod durchaus gemeinnützig.
Weil jedoch ein Mensch ohne Papiere bekanntlich nicht existiert, hat er den Pass eines gefallenen Fremdenlegionärs an sich genommen. Johannes Schwarz ist zweifellos biologisch tot, aber amtlich noch lebendig. Leider war dessen Vergangenheit nicht ganz lupenrein, weshalb er nun von der Polizei ­steck­brieflich gesucht wird. So kommt es, dass der Patient Sam alias Johannes nächtens durchs Fenster (Türen sind ihm unheimlich geworden) den Stationsarzt aufsucht. Der war vor seinem Wechsel zur Psychiatrie nämlich Schauspieler. Es liegt folglich nahe, den ­Anstalts­insassen (also dem Theaterpublikum) die Wahnsinnsgeschichte einfach szenisch zu erzählen.
Leo Braune macht das brillant, immer mit einem koketten Augenzwinkern zur schmerzhaften Absurdität der Geschichte und spielerischer Distanz zu der echten Person, die anscheinend von einem fernen Stern in ein fremdes Dasein fiel. Walter Ullrich verkörpert in schnellen Rollenwechseln mit dem ganzen Arsenal von Perücken, Bärten und Dialekten alle anderen Figuren, vom verständnisvollen Doktor im weißen Kittel bis zum jovialen Bürokraten, vom Italiener, der wahlweise mit katholischen Devotionalien oder hochprozentigen Getränken handelt, bis zu Umberto, der mit seiner Motorrad-Show Kirmesbesuchern das ­pri­ckelnde Vergnügen echter Lebensgefahr verkauft.
Sam kommt unter der Zirkuskuppel der himmlischen Milchstraße schon ziemlich nahe. Im irdischen Leben gibt es indes auch eine Milchstraße. Auf der wird ihn demnächst ein Freund begleiten. Mit ein bisschen Wahnsinn kann man nämlich auch im Diesseits nach den Sternen greifen. Es ist ja alles nur gespielt, allerdings von einem großartigen Schauspieler-Duo, das die Geschichte so berührend und humorvoll präsentiert, als sei sie gerade erst auf die Bühne geraten. Mit ‚seinem‘ Paradestück hat Ullrich noch mal gezeigt, dass seine Theaterkunst große Spuren hinterlassen hat. Rührung bei allen Beteiligten wie beim stehend applaudierenden Publikum und mindestens drei Sterne für die letzte Produktion des Hauses in dieser Konstellation.

Inzwischen ist es nach einigen Turbulenzen klar: Frank Oppermann hat den Vertrag mit der Stadt unterschrieben und wird das beliebte Kleine Theater weiterführen. Kein Bruch also, sondern ein ganz konkret durchdachter Traum mit ziemlich solider Bodenhaftung. E.E.-K.

Die letzten Vorstellungen:
5.05. // 6.05. // 16.05. // 28.05. // 29.05. // 1.-3.06. // 6.-7.06.19

Montag, 26.08.2019

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