Deep Time - Gastspiel Virpi Pahkinen Dance Company in der Oper Bonn - kultur 156 - Mai 2019

Mystik und Bildmagie

Eintauchen in die Tiefe der Zeit oder in die dunkle Energie des Universums – die gebürtige Finnin Virpi Pahkinen ist stets auf der Suche nach einer Verbindung von spiritueller Versenkung und körperlicher Bewegung. Sich selbst bezeichnet die vielfach ausgezeichnete Choreografin, Tänzerin, Musikerin und Autorin als Reisende und Dienerin des Tanzgottes. Mit ihrem bis auf ein paar dünne lange Zöpfe mönchsartig kahlgeschorenen Kopf wirkt sie selbst wie ein Kunstgeschöpf.
Burkhard Nemitz, Kurator der Gastspielreihe „Highlights des internationalen Tanzes“, sucht immer wieder nach interessanten neuen Ästhetiken und hatte deshalb am Donnerstag erstmals die im schwedischen Malmö residierende Virpi Pahkinen Dance Company nach Bonn eingeladen. Wobei ihm die Musikalität der Produktionen besonders am Herzen liegt. Bei Deep Time, uraufgeführt 2017 in Stockholm, sind lateinische Lieder der deutschen Dichterin, Komponistin und Gelehrten Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ein Leitfaden durch die Szenen zwischen ozeanischer Tiefe und himmlischen Höhenflügen. Was sicher auch einige Fans der mittelalterlichen Mystikerin ins fast ausverkaufte Opernhaus lockte.
Die schwedische Sopranistin Tua Dominique im weißen Gewand singt live und berührend das „Ave Maria“, diese Hymne an die Gottesmutter, die Eva und die Schlange besiegte. Später wird ihre Stimme elektronisch verstärkt im raffinierten Soundtrack von Jonas Sjöblom, der Marimba- und Hornklänge mit Technobeats und dem für Menschen normalerweise nicht hörbaren Echoortungszirpen von Fledermäusen kombiniert.
Pahkinen selbst im roten Feuervogel-Outfit und ihre sechs Tänzerinnen und Tänzer erscheinen wie bewegte Skulpturen. Hände, Arme und Füße formen originelle Gestalten zwischen Animalität und meditativer Selbstvergewisserung. Alles fließt im unfassbaren Kreislauf von Beschleunigung und Innehalten. Jede Figur bleibt indes im raschen Wechsel von ­Solomomenten, Duetten, Trios und Ensembles individuell kenntlich, unterstützt durch die reizvollen Kostüme der ungarischen Modeschöpferin Zita Merényi und das Lichtdesign von Tobias Hallgren.
Unter Scheinwerfer-Duschen untersuchen da vier seltsame Wesen den Meeresgrund. Vielleicht Fische, Krebse, Nixen, Seegeister. Aber sie können nicht nur schwimmen und kriechen, sondern auch schweben und fliegen. Im orangefarbenen Gewand spannt einer die romantischen Seelenflügel auf, während Drohnen lautstark den Himmel erobern. Es bleibt eine wundervolle Bilderwelt, in der vor sonnengelbem Hintergrund ein Quartett die Tradition des indonesischen Schattenspiels beschwört und mitunter die Rituale des japanischen Nô- und die freie Form des Kabuki-Theaters angedeutet werden. Keine Masken jedoch: Die deutlich von asiatischen Denkweisen inspirierte Choreografin zeigt in rund 60 pausenlosen Minuten echte Personen auf dem Weg von Ursprungskonstruktionen nach heute. Keine narrative Balletthandlung, keine stürmische Modern-Dance-Explosion, sondern eher ruhige Metamorphosen, die genau deshalb einen besonderen Sog entfalten. Faszinierter Beifall. E.E.-K.

Montag, 26.08.2019

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