Die Sache Makropulos - Oper Bonn - kultur 156 - Mai 2019

Die Sache Makropulos
Foto: Thilo Beu
Die Sache Makropulos
Foto: Thilo Beu

Wenn das Leben stehen bleibt

Erst im dritten Akt lüftet die Opernsängerin Emilia Marty ihr Geheimnis. Sie wurde vor 337 Jahren als Elina Makropulos auf Kreta geboren. Als sie sechzehn war, hat ihr Vater an ihr ein Elixier ausprobiert, das das Leben um dreihundert Jahre verlängern sollte. Die Zeit verging, Emilia blieb immer jung und schön. Ein Menschheitstraum, der zum Albtraum geworden ist. Nun lässt die Wirkung des Mittels nach, und sie erfährt zum ­ersten Mal, wie sich das Älterwerden anfühlt.
Eine Komödie seines Landsmanns Karel Capek diente dem tschechischen Komponisten Leoš Janácek als Vorlage für seine Ende 1926 in Brünn uraufgeführte Oper Die Sache Makropulos. Der Stoff ist auch mehr als 90 Jahre später angesichts der dauernden Lebensverlängerungs-Bemühungen noch hochaktuell. Janácek, der sich eingehend mit Sprachmelodien befasste, schrieb selbst das Libretto zu seinem Musikdrama. In Bonn hat man keine Mühen gescheut, um das Werk in der Originalsprache zu präsentieren. Weil wohl nur wenige hierzulande das Tschechische beherrschen, sind die deutschen Übertitel hier zum Verständnis dringend notwendig. Dennoch ist es nicht ganz einfach, der wie ein Krimi aufgebauten Handlung zu folgen, die langsam immer tiefer in das Lebensrätsel der Marty eintaucht. Die Inszenierung von Christopher Alden, die 2006 an der English National Opera London (dort allerdings auf Englisch) herauskam und auch schon in Prag zu erleben war, erzählt die Geschichte jedoch sehr klar und lässt sie in ihrer Zeit spielen, also im Jahr 1922. Der amerikanische Regisseur hat in Bonn mit dem ganzen Team auch noch mal intensiv geprobt und zeigte sich bei der Premiere sehr angetan von den Künstlern sowie der exzellenten Atmosphäre des Hauses.
Allen voran natürlich von dem Ensemble-Mitglied Yannick-Muriel Noah, die als Emilia Marty ihr glanzvolles Rollendebüt gab. Sie hat nicht nur die dafür notwendige kraftvolle dramatische Sopranstimme, sondern berührt auch in den lyrischen Passagen der ungemein anspruchsvollen Partie. Und sie ist eine fabelhafte Schauspielerin, die die unnahbare Diva und die von widersprüchlichen Gefühlen getriebene, verletzliche Frau gleichermaßen überzeugend verkörpert. Mit elegantem Hut und Pelzstola (Kostüme: Sue Willmington) erscheint sie im Gerichtssaal, begleitet von dem Rechtsanwalt Dr. Kolenatý, stimmlich und spielerisch perfekt wie immer: der Bass Martin Tzonev. Kolenatý soll Licht in einen bereits über hundert Jahre dauernden Erbschaftsprozess zwischen den Familien Prus und Gregor bringen. Merkwürdigerweise verfügt die nervös Zigaretten rauchende Marty über verblüffende Informationen. Sie weiß, wo wichtige Dokumente und das Testament des Barons Josef Ferdinand Prus zu finden sind. Er war liiert mit der damals sehr berühmten schottischen Opernsängerin Ellian MacGregor und vermachte vor seinem Tod 1827 sein Vermögen deren unehelichem Sohn Ferdinand Gregor. Emilia Marty kennt die Sachverhalte, als ob sie dabei gewesen wäre. Was auch wider alle Wahrscheinlichkeit stimmt, denn sie war einst die MacGregor und hatte noch etliche weitere Identitäten. Immer mit den Initialen E. M. und stets als Künstlerin.
Großartig agiert das riesig besetzte Beethoven Orchester unter der Leitung von Hermes Helfricht. Der blutjunge Dirigent (*1992), seit dieser Spielzeit Erster Kapellmeister an der Oper Bonn, hält hochkonzentriert alle Fäden der komplizierten Partitur in der Hand und leitet präzise die gesamte musikalische Klangreise, vom Fernorchester bei der Ouvertüre bis zu jedem einzelnen Chor-Mitglied. Beteiligt sind diesmal nur die Herren (Choreinstudierung: Marco Medved), verstärkt durch Statisten. Alle in grauen Bürokraten-Anzügen und seltsam mechanisch diensteifrig – dem Dichter Capek verdankt die Welt schließlich das Wort „Roboter“. Die Männer spielen ohnehin bloß Nebenfiguren, die um das leuchtende Zentrum der unsterblichen Frau kreisen.
Anfangs flattern Mengen von Papieren aus mehreren Jahrhunderten aus dem Schnürboden in Kolenatýs Kanzlei. Bürovorsteher Vitek (Christian Georg) versucht vergeblich, das Durcheinander zu ordnen. Derweil schwärmt seine Tochter Krista, selbst Sängerin am Stadttheater, von der Kunst und Schönheit der Emilia Marty. Kathrin Leidig gelingt ein anrührendes Porträt der schüchternen Krista, die angesichts des Opernstars an ihren eigenen Fähigkeiten zweifelt. Leider ist sie auch noch verlobt mit dem jungen Janek Prus (David Lee), der den Reizen der Diva ebenso verfällt wie der junge Albert Gregor (Thomas Piffka).
Das Bühnenbild vom Charles Edwards (Lichtdesign: Adam Silverman) strahlt die Kälte aus, die ­Emilias Gefühle erstarren ließen: Hohe Wände aus Marmor und Glas markieren die Anwaltskanzlei, den Gerichtssaal und schließlich das Hotelzimmer, in dem Emilia Janeks Vater Jaroslav Prus (großartig: Ivan Krutikov) eine Liebesnacht gewährt. Nur eine runde Wanduhr hoch oben durchbricht die Dominanz der Rechtecke und signalisiert die unerbittlich ablaufende Zeit. Der große schwarze Schreibtisch mutiert zum Bett, aber es bleibt eisig wie die von Blumengebinden überquellende Bühne nach dem triumphalen Auftritt der Marty. Das suggeriert eher eine Leichenhalle als ein Fest für den umjubelten Star.
Anjara I. Bartz macht gute Figur in der kleinen Rolle der schnippischen Putzfrau, die sich mit dem Maschinisten (Miljan Milovic) über die seltsame Sängerin unterhält, Susanne Blattert gibt deren Kammerzofe. Als komische Erscheinung glänzt Johannes Mertes in der Rolle des senilen Hauk-Šendorf, der in Emilia seine große Liebe Eugenia Montez wiedererkennt. Doch die Diva fertigt alle Verehrer rabiat ab. Endlich im Besitz des Lebensverlängerungs-Rezepts taumelt sie wie besoffen über die Bühne ihres herzlosen Daseins. Sie will ein Ende ihrer furchtbaren Einsamkeit, in der ihr alle Werte und Glücksmomente abhandenkamen: „In mir ist das Leben stehengeblieben.“ Sie will endlich sie selbst sein und keine Projektionsfläche für beliebige Männerphantasien. Doch das magische Papier klebt an ihren Händen und lässt sich nicht abschütteln, bis sie erschöpft zusammenbricht. Das fulminante Finale geht tief unter die Haut. Eine grandiose Leistung, die man auf keinen Fall verpassen sollte! Entsprechend überzeugter, langer Premierenbeifall, auch wenn es bei der bizarren Sache Makropulos (die Assoziation an Kafkas Prozess liegt nahe) keine eingängigen Melodien gibt, sondern vor allem existenzielle Rätsel. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden inkl. einer Pause
Die weiteren Vorstellungen:
4.05. // 19.05. // 26.05. // 31.05. // 19.06.19

Montag, 26.08.2019

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