Frankenstein - kultur 155 - April 2019

Frankenstein
Foto: Euro Theater Central Bonn
Frankenstein
Foto: Euro Theater Central Bonn

Düstere Vision vom künstlichen Menschen

Es ist kalt jenseits des nördlichen Polarkreises, wo der Forscher Robert Walton einen verwahrlosten, schwerkranken Mann an Bord seines Expeditionsschiffes aufnimmt. Es ist Victor Frankenstein, der in seinem Alchemisten-Labor einen künstlichen Menschen erschuf. Der ehrgeizige junge Genfer Naturwissenschaftler, der sich wie Gott nach seinem Ebenbild eine lebendige Kreatur formte, musste die unheilvollen Folgen seiner Hybris verkraften und sucht das in die Eiswüste geflohene schreckliche Wesen.
Es war kalt im Sommer 1816, als ein Vulkanausbruch in Indonesien Europa eine Wetterkatastrophe bescherte. Die aufgeweckte Britin Mary Godwin war 19 Jahre jung, unkonventionell und hochinteressiert an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, als sie bei einem Aufenthalt am Genfer See mit ihrem späteren Ehemann Percy Shelley und Freunden die legendäre Erzählung konzipierte, die als romantische Schauergeschichte zum literarischen Weltklassiker wurde.
Der Regisseur Jens Heuwinkel, der am Euro Theater Central schon mit großem Erfolg Emily Brontës Roman Wuthering Heights in der englischen Originalsprache auf die Bühne brachte, bleibt in seiner Inszenierung sehr nah an Shelleys Erzählfluss. Er behält auch die poetische Sprache des 1818 anonym unter dem Titel Frankenstein or The Modern Prometheus erschienenen Werks bei, das als erster ernsthafter Science-Fiction-Roman gilt. „Frankenstein“, Vorbild für zahlreiche populäre Adaptionen und Horrorfilme, kommt hier ganz ohne konkret sichtbares gruseliges Monster aus. Heuwinkel zeigt in der suggestiven Ausstattung von Agnes Treplin ein psychologisches Kammerspiel. Das nicht mehr zu bändigende Ungeheuer ist Teil von Frankensteins gespaltener Persönlichkeit. Das aus menschlichen Körperteilen zusammengesetzte und per Stromstößen belebte Geschöpf steckt in ihm selbst. Auf seinen Leib projizierte Videos (Sirpa Winter) lassen keinen Zweifel daran, dass sich hier eine Missgeburt seiner eigenen Halluzinationen verselbständigt hat.
Dennoch fließt echtes Theaterblut, wenn das unglückliche, einsame Retortenwesen seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Das vierköpfige Darstellerensemble, in London ­ge­castet aus allen Teilen Großbritanniens, spielt alle Figuren der dramatischen ­Ver­wicklungen. Allen voran ­David Craig, der den heiklen Wechsel zwischen Prometheus Frankenstein und seinem künstlichen Alter Ego überzeugend verkörpert. ­Peter Saracine gibt u. a. Victors verzweifelten Vater, Sam Thorne spielt den Erzähler Walton und den treuen Gefährten Henry Derval. Lucy Menzies glänzt u. a. als Victors innig geliebte Elisabeth, die leider die Hochzeitsnacht nicht überlebt.
Man muss kein ausgebildeter Anglist sein, um dem komplexen Geschehen zu folgen. Solides Business-Englisch reicht für die sprachlichen Feinheiten des Textes jedoch kaum. Aber die starken Bilder und die exzellenten Schauspieler sorgen dafür, dass der hochaktuelle Stoff niemanden kalt lässt. Herzlicher Premierenbeifall! E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden, inkl. einer Pause

Donnerstag, 08.08.2019

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