Marco Medved - kultur 154 - März 2019

Marco Medved
Foto: Thilo Beu
Marco Medved
Foto: Thilo Beu

Chordirektor des Theater Bonn - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Marco Medved

Gerade stehen die Proben zur Wiederaufnahme von Verdis Jérusalem auf seinem Programm. Gleichzeitig laufen die Proben zu Elektra. Strauss‘ Oper hat am 10. März Premiere. Allein im Februar gibt es vier große Produktionen im Repertoire, in denen der Opernchor eine wichtige Rolle spielt: Musikalisch so unterschiedliche Werke wie Lohengrin, Marx in London, Die Schneekönigin und Jérusalem. Verdis Oper I Lombardi alla prima Crociata, die frühere italienische Fassung des Stoffes, war übrigens die erste Musiktheater-Erfahrung des gebürtigen Mailänders Marco Medved. Damals war er neun Jahre alt und erinnert sich noch genau an die Aufführung und die Chöre in der Scala mit dem Dirigenten Gianandrea Gavazzeni (1909 – 1996) und José Carreras als Oronte.
Begonnen hat Medveds Leidenschaft für die Musik jedoch mit dem Klavier und durch die Familie. „Mein älterer Bruder spielte Klavier. Mir gefiel das so gut, dass ich mit vier Jahren auch privaten Unterricht bekam. Außerdem gab es in der Familie ein kleines Ritual. Mein Vater liebte klassische Musik. Jede Woche brachte er eine neue Platte mit, die wir dann immer sonntags gemeinsam hörten.“ Mit zehn Jahren wurde Medved Schüler am Mailänder Konservatorium. „Ich hatte vielfältige Interessen, wollte mehr Zeit für Sport haben und war ein begeisterter Leichtathlet. Meine Mutter hat mich regelrecht erpresst: „Wenn du doch nicht regelmäßig Klavier übst, bezahlen wir auch deinen Unterricht nicht mehr. Sie brachte mich selbst zur Aufnahmeprüfung für Nachwuchspianisten.“ Der kleine Marco gehörte zu dem runden Dutzend unter fast 400 Kandidaten, die einen Ausbildungsplatz im präakademischen Programm bekamen. Da fing alles an.
Neben Klavierstunden bedeutete das auch Unterricht in Tonlehre (sein Solfeggio-Diplom machte er mit dreizehn), Harmonie und Musikgeschichte. Er sang zudem im Kinderchor der Mailänder Scala, die nach und nach sein zweites Zuhause wurde. Parallel besuchte er ein klassisches altsprachliches Gymnasium und begann nach dem Abitur ein Studium der italienischen Literatur. Bis dann doch der Entschluss reifte, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Er studierte also Komposition, Klavier und Liedbegleitung am Konservatorium ­Giuseppe Verdi, der größten Musikhochschule Italiens, bestand das Abschlussexamen mit Auszeichnung und legte zudem sein Diplom als Konzertpianist ab.
„Trotzdem fehlte mir etwas, denn als Solist ist man immer einsam. Ich mag lieber die Ensemble-Arbeit und unmittelbare Kommunikation. Obwohl ich die herrlich verrückte Welt des Theaters ja schon erlebt hatte, war mir der Beruf des Korrepetitors noch ziemlich unbekannt. Bis einer meiner vielen wunderbaren Professoren, der auch Dirigent war, mich meine erste Opernproduktion – Rossinis komischen Einakter La Cambiale di Matrimonio – begleiten ließ. Diese kreative Tätigkeit gefiel mir sofort.“ Medved wurde an verschiedenen Theatern und bei Festivals als Korrepetitor engagiert, konnte mit vielen berühmten Sängerinnen und Sängern zusammenarbeiten und bildete auch die eigene Stimme weiter aus. Als besonders prägend nennt er eine einjährige Meisterklasse 2000/2001 bei der großen Sopranistin Magda Olivero (1910 – 2014).
Entscheidend wurde die Begegnung mit dem Komponisten und Regisseur Gian Carlo Menotti (1911 – 2007), der 1958 in Spoleto das „Festival dei due Mondi“ gründete. Dort hat Medved 2002 als Korrepetitor zum ersten Mal Lohengrin begleitet, der ihm seitdem immer wieder begegnete. Regie führte Menotti selbst und war von Medveds Leistung so angetan, dass er ihm einen Klavierauszug mit freundschaftlicher Widmung schenkte. Als bei den Proben von Menottis Opern The Medium und The Telephone der Dirigent wegen Krankheit ausfiel, sprang Medved ein. Menotti erkannte sofort seine Begabung und ermutigte ihn dazu, noch eine vierjährige Ausbildung als Orchester- und Chordirigent anzuschließen. Das Geld dafür verdiente sich Medved weiter als Korrepetitor und mit Konzerten. Als wichtigsten Lehrer in dieser Phase nennt er Maestro Franco Monego. „Ein begnadeter, aber äußerst strenger Chorleiter, der nie lobte. Wir nannten es ‚Steinigung‘, wenn alle Kommilitonen nach einem Auftritt eines Kollegen nur die Fehler benennen durften, aber nichts Gelungenes. Erst nach meinem Diplom und seiner Pensionierung sagte er mir endlich unter Tränen, dass ich sein bester Student gewesen sei.“
Von 2006 bis 2012 arbeitete Medved als Korrepetitor und Dirigent u. a. in St. Gallen, Basel und Spoleto. „Als Pianist in Italien aufgewachsen bin ich mit der Musik von Deutschen und Österreichern: Bach, Beethoven, Mozart, Schubert, Schumann. Lange bevor die deutsche Sprache mein zweites Heimat-Idiom wurde.“ Sprache ist ihm sowieso ein wichtiges Anliegen. „Es geht nicht nur um die Stimme, sondern auch um Stimmungen. Einerseits arbeiten wir an der präzisen Artikulation, andererseits an der Bedeutung jedes Satzes. Man muss ja wissen, was man sagt und spielt.“ Ungefähr die Hälfte der rund 40 fest angestellten Chormitglieder hat Deutsch als Muttersprache. In dieser Saison singen sie in fünf Sprachen: Neben Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch auch Tschechisch bei Die Sache Makropulos (Premiere am 7. April).
Von 2008 bis 2013 war Medved Chorleiter bei den Tiroler Festspielen Erl unter der Intendanz von Gustav Kuhn. Auf dem Programm standen fast alle Wagner-Opern, darunter auch Lohengrin. Er war noch in St. Gallen verpflichtet, als ihn 2012 ein unwiderstehliches Angebot erreichte. Giancarlo del Monaco, mit dem er schon mehrfach zusammengearbeitet hatte, inszenierte Lohengrin in Peking und engagierte Medved als Chorleiter. „Es war der allererste Lohengrin in China überhaupt. Natürlich war es fantas­tisch, einige Monate in dem riesigen, architektonisch spektakulären National Center of the Performing Arts ganz im Zentrum der Hauptstadt zu arbeiten.“
Von 2013 bis 2015 war Medved zunächst ­Chor­assistent und dann stellvertretender Chorleiter an der Kölner Oper. Seit der Spielzeit 2015/16 ist er Chordirektor an der Oper Bonn. Wie sehr er diesen Beruf liebt, wird ständig deutlich. „Der Chor ist für mich das schönste Instrument überhaupt. Ein Orchester hat Instrumente und Noten und muss nicht auswendig spielen. Beim Chor sind die Menschen selbst die Instrumente, was ja viel mehr bedeutet als nur die Stimmen. Jeder bringt seine ganze Persönlichkeit ein. Der Bonner Opernchor ist nicht nur musikalisch fabelhaft, sondern auch sehr spielfreudig.“ Im März wird Medved selbst zwei Vorstellungen der konzertanten Aufführung von La Gioconda dirigieren. Hier kommt wie bei mehreren anderen Produktionen noch der Extrachor hinzu. Auch das sind teilweise Profis oder ausgebildete Sängerinnen und Sänger, die nebenberuflich mitwirken.
„Wie im antiken Drama ist der Chor oft eine Art moralische Instanz, der Vermittler zwischen ­Schick­salsmächten und Akteuren sowie zwischen diesen und dem Publikum. Ein Chor funktioniert wie eine gute Gesellschaft, wo man Regeln respektiert, Disziplin und Freiheit verbindet, manchmal im Vordergrund steht und manchmal andere unterstützt.“ Natürlich gehört zu den Aufgaben eines Chordirektors auch eine Menge Organisationsarbeit. Alles muss mit der Theaterleitung abgestimmt werden, vieles wird schon zwei Jahre im Voraus geplant. Schon jetzt sind die Probenpläne bis zum Ende der Saison 2019/20 fast fertig.
„Jede Minute wird gebraucht. Ich verbringe mehr Zeit in der Oper als zuhause. Das immer neu Faszinierende ist jedoch die gemeinsame kreative Tätigkeit. Als Italiener vergleiche ich meine Arbeit gern mit der Bildhauerei, wo man aus einem Marmorblock mit Präzision und Sensibilität eine Skulptur herausmeißelt, die eigentlich schon da ist und nun nach Formung verlangt. Selbstverständlich wollen wir dem Publikum schöne Stunden schenken. Aber auch Kulturgeschichte weiterschreiben und die ganze Vielschichtigkeit menschlicher Fragen und Gefühle zeigen. Insofern verstehe ich uns als unverzichtbare Ärzte der Seele.“

Donnerstag, 01.08.2019

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