Daniel Stock - kultur 152 - Januar 2019

Daniel Stock
Foto: Thilo Beu
Daniel Stock
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Daniel Stock – Candide, der Menschenfeind und die Linie 16

Die Proben zu Warten auf Godot in der Werkstatt haben gerade begonnen. Daniel Stock spielt den Pozzo in der Inszenierung von Louise Voigt. „Sie hat ein interessantes Konzept, in dem Musik und Klänge eine wichtige Rolle spielen“, erklärt er. Premiere ist am 31. Januar. Viel Zeit zum Reflektieren seiner neuen Position in Bonn ist ihm bisher nicht geblieben. Denn der Start in die Spielzeit unter der neuen Leitung von Jens Groß war durchaus anstrengend. In gleich drei großen Produktionen hat er sich hier dem Publikum vorgestellt. Groß hatte er bereits während dessen Zeit als Chefdramaturg am Schauspiel Frankfurt kennengelernt. 2008 gastierte Stock dort in der Uraufführung der Stückentwicklung Kredit von Jan Neumann. Mit diesem Regisseur und Autor verbindet ihn seit dem Beginn seiner Berufslaufbahn eine enge Arbeitsbeziehung. Neumanns Pläne in Bonn waren mit ein Grund, warum Stock sich für den Umzug aus Bochum in die Bundesstadt entschied.
Acht Jahre lang gehört Stock zum festen Ensemble der renommierten Bühne im Ruhrgebiet. Deren Intendant Anselm Weber wechselte 2017/18 nach Frankfurt. Auf die Interimsintendanz von Olaf Kröck, mittlerweile Nachfolger von Frank Hoffmann als Leiter der Ruhrfestspiele, folgte im Sommer 2018 der Niederländer Johan Simons, der zuvor drei Jahre lang die Ruhrtriennale leitete. Wie meistens bei solchen Wechseln wurden in Bochum viele Verträge nicht verlängert, darunter auch die der ehemaligen Bonner Ensemble-Mitglieder Günter Alt, Roland Riebeling und Anke Zillich. Daniel Stock war beim Abschied von den Kollegen schon für drei Jahre nach Bonn verpflichtet.
Der Saisonbeginn mit der Titelrolle in Voltaires Candide war fulminant und bescherte ihm gleich eine Menge Zuspruch von Publikum und Kritik. Den neuen Hausregisseur Simon Solberg kannte er aus Frankfurt, hatte aber noch nicht mit ihm gearbeitet. „Ich mag auf der Bühne starke Formen, Tempo und auch das physische Sich-Verausgaben. Als wir ‚Candide‘ jetzt nach einer kurzen Pause wieder aufnahmen, habe ich schon gespürt, dass die Vorstellung körperlich viel Kraft kostet.“ Sportlich durchtrainiert erscheint der hochgewachsene, glatzköpfige Künstler sowieso und zitiert gern eine seiner einstigen Lehrerinnen an der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, wo er von 2001 bis 2004 seine Ausbildung absolvierte: „Es heißt nicht Schausteh oder Schausprech, sondern Schauspiel!“
Ein Instrument spielt er nicht, aber gesungen hat er immer schon gern und konnte sein Talent hier auch sofort beweisen. Insbesondere bei dem Überraschungserfolg von Linie 16. „Das war eigentlich ein Schnellschuss und entwickelte sich erfreulicherweise zum stabilen Repertoire-Stück. Bei den ersten Proben waren wir nur ganz wenige Leute, die gerade Zeit hatten. Einige kamen erst an den letzten Tagen vor der Premiere dazu, und es entstanden zusammen mit Solberg spontan neue Szenen. Musikalische Abende sind natürlich dankbar und machen Spaß. Wenn es dann gelingt und Publikum ins Theater lockt – umso besser. ­Aus­lastungszahlen sind bestimmt nicht das Allerwichtigste, aber politisch doch ein Argument. Irgendwas knallhart durchzuziehen und damit Häuser leer zu spielen, hat wenig Sinn. Man muss irgendwie die Waage halten zwischen dem eigenen Kunstverständnis und Entertainment. Wir Schauspieler sind keine Erfüllungsmaschinen, Reibungsflächen bleiben notwendig.“
Daniel Stock wurde 1979 in Kassel geboren, die Familie war kulturell vielseitig interessiert. „Meine Mutter hat seit ihrem 15. Lebensjahr ein Theater-Abo. Wir gingen mit der Schule natürlich auch ins Staatstheater, das bis 1991 von Manfred Beilharz geleitet wurde. Nachhaltige Spuren hinterließ das bei mir aber nicht. Meine Englischlehrerin hat mich dann animiert, in der Theater-AG mitzumachen. Ich merkte dann, dass es mir Spaß machte. Der Regisseur einer Off-Theatergruppe sprach mich an und holte mich in sein Ensemble.“ Nach Abitur und Zivildienst arbeitete er als Praktikant, Hospitant und Regieassistent in Kassel unter der Schauspieldirektion von Armin Petras. „Das hat mich total fasziniert. Am meisten beeinflusst hat mich 1999 Petras‘ heftig umstrittene Nora-Inszenierung. Louise Voigt wirkte da übrigens als Kinderstatistin mit.“
Zum Vorsprechen für eine Schauspielausbildung überredete ihn sein Freund Maxim Mehmet. In Potsdam klappte es auf Anhieb. „Die Geduld für viele Bewerbungen hätte ich kaum aufgebracht. Aber es ging schnell, und wir hatten wirklich tolle Dozenten. Der Schauspielstudiengang in Babelsberg war damals noch ganz klassisch aufs Theater ausgerichtet, filmische Arbeiten kamen erst im dritten Studienjahr dazu.“ Bereits während des Studiums gastierte Stock am Berliner Maxim-Gorki-Theater und in Aachen. In ein paar Kino- und TV-Produktionen war er im vergangenen Jahrzehnt auch zu erleben. Aber sein eigentlicher Wirkungsort ist ohne Zweifel die Bühne.
Sein erstes festes Engagement führte ihn 2005 ins baden-württembergische Aalen. „Das ist das kleinste Stadttheater Deutschlands. Wir waren ein junges Ensemble mit gerade mal fünf Schauspielern. Wir machten viele Uraufführungen, die zwei Jahre dort waren eine tolle Zeit.“ In Aalen begann Stocks Zusammenarbeit mit Jan Neumann, den er neben David Bösch, Christina Paulhofer und Sebastian Schug als für ihn besonders prägend nennt.
Nach Gastengagements u.a. am Schauspiel Frankfurt wechselte Stock 2008 für zwei Jahre nach Heidelberg, wo er etliche große Rollen spielte und nebenbei seine sängerischen Fähigkeiten als Richard III. in der Show Dirty Rich (nach Shakespeare) zeigte. 2009 wurde er für seinen „Iwanow“ (nach dem gleichnamigen Tschechow-Drama (Regie: Sebastian Schug) von Theater Heute als Nachwuchsschauspieler des Jahres nominiert. 2010 folgte gleich eine weitere Nominierung für seinen Bruno in Hauptmanns Ratten (Regie: David Bösch) in Bochum, wo er sich in vielen Rollen profilierte. „Selbstverständlich freut man sich über gute Kritiken und die positive Wahrnehmung der eigenen Arbeit. Mit der Zeit lernt man freilich auch, nicht alles zu nah an sich herankommen zu lassen und mit weniger angenehmen Reaktionen umzugehen.“
Klar hat ihm der begeisterte große Artikel in der FAZ zu Molière/Enzensbergers Menschenfeind gefallen. Stock spielt den Alceste in dieser „als Komödie verkleideten Tragödie“, der rigoros jede Oberflächlichkeit verweigert, bis er selbst wie gehäutet dasteht. „Ausverkaufte Vorstellungen sind super. Mich freut’s aber vor allem fürs Bonner Schauspiel insgesamt, wenn es überregional Anerkennung erhält. In der irritierenden Bonner Diskussion um das Stadttheater brauchen wir das Echo über die lokalen Medien hinaus. Ein Teil des Ensembles hat hier schon eine eigene Geschichte, der neue Teil wächst jetzt immer mehr damit zusammen.“
Seit diesem Sommer wohnt Daniel Stock mit seiner Familie in der Bonner Südstadt. Die Pendelei zwischen Ruhrgebiet und Rhein hat er schnell drangegeben, weil das fast gar keine Zeit mehr ließ für seine beiden Söhne (5 und 8 Jahre alt). Bonn findet er spannend („Städte an Flüssen sind Städte mit Hoffnung“): „Die Stadt wirkt recht saturiert, aber total lebendig. Sie ist historisch vielschichtig und aus diversen Blickwinkeln international. Es gibt ein kultiviertes Bürgertum, viele junge Familien und eine Menge Studierende. Inhaltlich und ästhetisch ist das eine interessante Herausforderung.“ Genau in seinem Spielraum zwischen Candides brutal aufgeklärtem Optimismus, Alcestes kompromisslosem Pessimismus und einer unterhaltsamen Szenerie im öffentlichen Nahverkehr, wo echter Metropolengeist musikalisch lustvoll auf Provinz stößt.

Mittwoch, 30.01.2019

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