Die Orestie - Schauspielhaus - kultur 150 - November 2018

Die Orestie
Foto: Thilo Beu
Die Orestie
Foto: Thilo Beu

Schrecken ohne Hoffnung

Die guten Geister sind gestrichen. Keine Eumeniden mehr und keine Athene, die mit einem göttlichen Machtwort dem Gewaltkreislauf ein Ende setzt. Aischylos’ Orestie aus dem Jahr 458 vor Christus ist die einzige vollständig erhaltene antike Tragödien-Trilogie. Ein mythischer alter Fluch lastet auf den Nachkommen des Tantalos: In jeder Generation werden sie eigene Familienmitglieder umbringen. Schuld, Mord, große Leidenschaften – ein blutiges Menschenschlachthaus. Aber das Werk gilt auch als Gründungsmythos der athenischen Demokratie. Denn am Ende steht ein Freispruch, der die archaischen Rachegesetze durchbricht und die Rechtsprechung in die Hände der Bürger legt.
Diesem optimistischen Schluss misstraut die Inszenierung von Marco Štorman, die sich somit einschreibt in die Befragung der Errungenschaften der Aufklärung, die das Thema der ­ers­ten Spielzeit unter der Schauspieldirektion von Jens Groß ist. Štorman und die Dramaturgin Male Günther habe für ihre Fassung die schöne, klare Übersetzung von Walter Jens benutzt, deren flüssige Verse vom ganzen Ensemble sehr gut verständlich gesprochen werden. Natürlich wird auch viel getobt und gebrüllt, aber allzu wüst geht es dann doch nicht zu auf der Bühne von Jil Bertermann: eine tief in den Boden reichende graue Felsenlandschaft, gern mit viel Bühnennebel verdüstert.
Als „Chor der Zeiten“ kommentiert Bernd Braun zusammen mit dem Musiker Moritz Löwe – beide im heutigen schwarzen Anzug – das Geschehen, mal distanziert ironisch, mal emotional betroffen. Wer nicht alle Namen der Geschichte gleich einordnen kann, findet Hilfe im Programmheft-Glossar. Agamemnon (Wolfgang Rüter als gebrochener Held) kehrt siegreich heim aus Troja. Seine Frau Klytaimnestra teilt inzwischen Thron und Bett mit Aigisth (als schnöseliger Möchte-Gern-Herrscher: Christian Czeremnych) und erschlägt ihren Gatten. Sophie Basse gelingt es eindrucksvoll, die alten und neuen Gründe ihrer Tat zu benennen, an der sie selbst irre zu werden scheint.
Als Kriegsbeute hat Agamemnon, dessen sterbliche Überreste bald in einer Plastikfolie landen, die Seherin Kassandra mitgebracht, hier verkörpert von Daniel Breitfelder. Nur mit einem Slip bekleidet gibt er den grausigen Visionen und dem nackten Wahnsinn eine androgyne Stimme, bis er zwischen dem ihn hautnah bedrängenden Mörderpaar den Tod findet. Eine kurz auftauchende Kettensäge kommt zwar nicht zum Einsatz, aber einige Leichen sind zu entsorgen in dem bösen Spiel der göttlichen Mordaufträge. Als zaudernder Zweifler überzeugt Sören Wunderlich in der Rolle des Orest, zum Muttermord angestachelt von seiner Schwester Elektra (Sandrine Zenner) und dem Geist des Vaters, dann bis zum Irrsinn verfolgt von den unsichtbaren wütenden Erinnyen.
Bei Aischylos verwandeln die sich im dritten Teil in wohlgesinnte Geister. Davon bleibt hier so gut wie nichts übrig. Die von der Regie nicht sonderlich plausibel geführten dramatischen Figuren tauschen ihre zeitlich seltsam undefinierte Kleidung (Kostüme: Bettina Werner und Rabea Stadthaus) gegen elegante heutige Abendroben und stehen rum wie bei einem Diplomatenempfang. Aus dem Bühnenboden fährt ein Wachturm hoch, der wie aus vergangenen DDR-Zeiten anmutet. Bei der fast zweieinhalb Jahrtausende alten Utopie einer aufgeklärten bürgerlichen Zivilgesellschaft scheint weiterhin Skepsis geboten zu sein. Statt der gehorsam verehrten blutrünstigen Götter herrscht nun die kalte Magie von Big Brother und alles ausspähenden Netzgiganten. Keine schöne Vorstellung, die einen ziemlich ratlos zurücklässt. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
2.11.// 18.11. // 5.12. // 15.12. // 20.12.18

Montag, 21.01.2019

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