Mondscheintarif - Theater die Pathologie - kultur 149 - Oktober 2018

Mondscheintarif
Foto: Katrin Birkhölzer
Mondscheintarif
Foto: Katrin Birkhölzer

Luftiger Sommernachtstraum

Egal ob Festnetz oder mobil: Telefone können Marterinstrumente sein und eigentlich ganz normale Menschen dazu bringen, sich seltsam zu verhalten. Zum Beispiel die wirklich sehr hübsche Cora Hübsch. Großstadt-Single, jung genug, um noch von der großen romantischen Liebe zu träumen. Alt genug, um zu wissen, dass Verliebtsein die reinste Hölle sein kann. Jetzt wartet sie auf einen Anruf ihres Traummanns: Dr. med. Daniel Hoffmann. Während die Uhrzeit sich zu einer gefühlten Ewigkeit dehnt. Cora nutzt sie zum Erzählen: Das große Drama von Liebes- und Trennungsschmerz, einsamer Größe und kleinen Ausrutschern.
Mit einem solchen hat es angefangen: Cora als „Begl.“ (bei heutigen Einladungen genderneutral für „Begleitung“) ihrer besten Freundin Johanna bei einer Filmpreisverleihung. Champagner und ein Hummer, der unversehens von Coras Teller flog und Hoffmann zu Fall brachte. Was einen kurzen Blick in dessen blaue Augen zur Folge hatte und einen längeren Wutanfall von Carmen, als deren „Begl.“ er erschienen war. In der Regie von Maren Pfeiffer spielt Anne Scherliess hinreißend die an sich selbst zweifelnde Cora. Es ist ein spätsommerlich leichter Monolog, fein gewürzt mit heiterer Selbstironie, einem Schuss naiver Melancholie und erfrischenden Spritzern aus der populären Ratgeberliteratur. Eine perfekte Mixtur, die auf die Sinnfrage allen weiblichen Daseins hinausläuft: Was zieh ich an bei einem Rendezvous mit potenziell intimem Ausgang? Mit flankierenden Maßnahmen wie Coolness, eindrucksvoller kultureller Bildung, Small-Talk-Themenfindung (am besten vorsorglich notiert auf Karteikarten) fürs entscheidende Date beim besten Italiener der Stadt. Das kann hier natürlich nur das „Schumann’s“ in der Bonner Südstadt sein und bei gutem Wetter dessen Garten.
Mit Mondscheintarif nach dem 1999 erschienenen Bestseller von Ildikó von Kürthy hat sich das Theater die Pathologie zum ersten Mal aus dem Keller nach draußen gewagt und eine winzige Open-Air-Bühne installiert. Das ist atmosphärisch zwar reizend, akustisch jedoch angesichts der nahe vorbeidonnernden Güterzüge und der Restaurantgeräusche grenzwertig. Auf den hinteren Plätzen wird das sensible Sprachgeflecht mit den klug eingesponnenen musikalischen Kommentaren eher zum Stummfilm.
In einer lauen Sommernacht mondsüchtig im Pyjama und modisch gruseligen ­Winter­pantoffeln endlich den Weihnachtsbaum zu entsorgen, kann jedoch zu recht hübschen Begegnungen führen. Das alte Spiel von Liebe und Zufall funktioniert jedenfalls weiter trotz ­Smart­phones und Flatrates. Ein ­ge­glückter One-Night-Stand mit den üblichen Verwirrungen aus Schmerz und Seligkeit. Frei nach dem ultimativen Gesetz von „Sex and the City“: Der Richtige ist eine Illusion. Leb stattdessen deine eigene Realität.

Spieldauer ca. 70 Minuten, keine Pause
Je nach Temperatur und Feuchtigkeit finden die Aufführungen draußen oder drinnen statt.
Die nächsten Vorstellungen:
4. + 8.11.18

Donnerstag, 17.01.2019

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