Der Kaiser von Atlantis - Werkstatt - kultur 149 - Oktober 2018

Der Kaiser von Atlantis
Foto: Thilo Beu
Der Kaiser von Atlantis
Foto: Thilo Beu

Tod-Verweigerung

Der Untertitel Oder die Tod-Verweigerung spricht für sich und kann nicht gelesen werden, ohne Assoziationen an die Entstehung des Werkes. Der 1898 in Österreich-Ungarn geborene und in Prag ausgebildete Komponist Viktor Ullmann wurde 1942 wegen seiner jüdischen Vorfahren im Nazi-Vorzeige-KZ Theresienstadt interniert und schrieb dort einen beträchtlichen Teil seiner bis heute erhaltenen Werke. Darunter die Kammeroper Der Kaiser von Atlantis, die zu seinen Lebzeiten nicht mehr zur Uraufführung kam, weil er im Oktober 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde. Dort starb kurz danach auch sein Librettist Peter Kien, wahrscheinlich an einer Infektion.
Es geht um einen würdigen Tod im Grauen der Lebensvernichtung. Nachdem der Tod dem Herrscher über das legendäre Reich Atlantis den Dienst verweigert hat, verkündet der Tyrann die Unsterblichkeit. In der Werkstatt des Theater Bonn ist nach vielen Jahren wieder eine echte Musiktheater-Produktion zu erleben, ermöglicht durch die Kooperation mit dem ­Beethovenfest Bonn.
Ausstatter Helmut Brade hat eine Landschaft aus schwarz nummerierten weißen Koffern auf die Bühne gebaut. Weiß wie ein Leichentuch wirkt der Boden. Die ­Regisseurin Seollyeon ­Konwitschny lässt im Prolog den Komponisten selbst als Häftling auftreten, der dem Lagerkommandanten kurz die Handlung der Oper vorstellt. Der feiste Nazi erschießt den Künstler, der sich daraufhin in den Tod verwandelt. Der Bassbariton Leonard Bernad im weißen Anzug singt und spielt diese Figur eindrucksvoll. Ganz in Schwarz thront dagegen der Kaiser (großartig: der Bariton Giorgos Kanaris), bewaffnet mit Notebook und Smartphone, auf einem Koffer. Ein moderner Diktator, der längst jeden Kontakt zu seinen Untertanen verloren hat. Stets dienstfertig steht ihm der Trommler zur Seite, hier verkörpert von einer Frau im dunklen Business-Kostüm (mit eleganter Altstimme: Charlotte Quadt).
Famos agieren auch der Tenor Christian Georg als Harlekin und Soldat und die junge Sopranistin Rose Weißgerber als Mädchen Bubikopf. Das ganze Ensemble bewältigt auch die gesprochenen Passagen des expressiven Textes (nachlesbar im sehr informativen Programmheft) vorzüglich.
Nicht ganz einfach ist die Akustik in dem kleinen Theaterraum. Die Musiker des Beethoven Orchesters sind auf der linken Bühnenseite platziert und spielen unter der äußerst sorgfältigen Leitung des jungen neuen ­Ersten Kapellmeisters Hermes Helfricht die vielfarbige Theatermusik mit hinreißendem Elan. Ullmanns eigenwillige Instrumentierung ist der Not geschuldet: Er nahm das, was im Lager verfügbar war. Fein herausgearbeitet werden hier die diversen Anspielungen und Zitate in der Musik.
Kaiser Overall lässt den Krieg aller gegen alle proklamieren. Der Tod fühlt sich entehrt und lässt niemanden mehr sterben, selbst nach der Vollstreckung von Todesurteilen. Auf dem Schlachtfeld treffen sich ein Soldat und Bubikopf. Da sie einander nicht töten können, müssen sie sich verlieben. Überall herrscht Chaos, die Macht des Kaisers zerfällt. Bis der Tod ihm einen Deal anbietet: Er nimmt seine Arbeit wieder auf, sofern der Diktator bereit ist, als erster zu sterben.
Zwischen das dritte und vierte Bild der rund einstündigen Oper hat die Regie die Klaviersonate Nr. 2 „27. April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann (1905 – 1963) eingebaut. An dem Tag wurde der Komponist Zeuge des Evakuierungsmarsches aus Dachau und sah die gequälten, unterernährten Menschen, die erschossen wurden, wenn sie nicht mehr laufen konnten. Hartmanns knapp halbstündige Sonate ist der wütende, voller bissiger Zitate ­steckende Trauergesang eines Überlebenden und wurde bei der Premiere mit leidenschaftlicher Energie gespielt von dem kanadischen Pia­nis­ten Ben Cruchley (in späteren Aufführungen übernimmt Julia Strelchenko den Part). Der Einschub ist inhaltlich absolut plausibel, dramaturgisch jedoch problematisch. Trotz der präzis durchchoreografierten Mitwirkung zweier ‚Bühnenarbeiter‘ dauert das Hin- und Herschieben des Flügels eine Weile und löst die Spannung zeitweise in Heiterkeit auf.
Zu Herzen geht dagegen die Abschiedsarie des Kaisers, auch wenn es nicht nötig wäre, dass er noch durch die ersten Zuschauerreihen geht. Ein hübsches Hoffnungszeichen ist das neu aus einem Blumentopf sprießende Pflänzchen.
Insgesamt jedoch sicher eine Aufführung, die die Aktualität von Ullmanns Oper beweist. Entschieden empfehlenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden, keine Pause
Die letzten Vorstellungen:
12. und 22.10.18

Donnerstag, 17.01.2019

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