Holger Kraft - kultur 147 - Juni 2018

Holger Kraft
Foto: Thilo Beu
Holger Kraft
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Holger Kraft - Robert, Wangel, ein Investor und Jelineks Wut

Aktuell hat er viel zu tun. Am Abend nach unserem Gespräch spielt er wieder den Investor und ein paar andere Figuren im Bonnopoly-Sumpf und am Tag darauf geht er als Einstein wieder baden mit den Physikern. Außerdem laufen gerade die Endproben zu Elfriede Jelineks Wut. Holger Kraft ist sehr begeistert von der Arbeit mit dem Regisseur Sascha Hawemann, der zum ersten Mal in Bonn inszeniert. „Natürlich gibt es auch in diesem Text keine festgeschriebenen Figuren. Aber das Stück ist sehr viel klarer als Abraumhalde, das ja als Sekundärdrama zu Nathan konzipiert ist und dann assoziative Bögen mit zum Teil ziemlich kryptischen Anspielungen schlägt. Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir Vertrauen in Jelineks Text gewannen. Sehr geholfen haben uns Schauspielern das Bühnenbild und die Kostüme. Wir haben dann bei allen Vorstellungen wieder Neues entdeckt.“ Die kurzweilige Inszenierung von Simone Blattner kam fast auf den Tag genau ein Jahr vor Wut heraus, das mit den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt deutliche Bezugspunkte hat.
Für den Schauspielerberuf entschied sich Holger Kraft erst relativ spät. Als Schüler war er passionierter Hockey-Spieler in der Opelstadt Rüsselsheim, wo er 1971 zur Welt kam. „Unsere Herren-Mannschaft spielte in der 1. Bundesliga und war mehrfach Deutscher Meister. Mit 16 bestritt ich mein erstes Bundesliga-Spiel und träumte schon von Olympia. Für die Nationalmannschaft hat’s dann aber doch nicht ganz gereicht.“ Kurz vor dem Abitur mit dem Leistungsfach Sport wirkte Kraft mit in einer Schultheater-Gruppe. Sein erstes Stück war Tankred Dorsts Komödie Der gestiefelte Kater oder Wie man das Spiel spielt nach Ludwig Tieck. „Wir waren eine große Gruppe von verschiedenen Schulen. Erstaunlich viele, mit denen ich immer noch Kontakt habe, wählten künstlerische Berufe.“
Kraft engagierte sich weiter in freien Theaterprojekten und verdiente sein Geld bei der Lufthansa. „Als Bodenpersonal, oft am Check-in-Schalter am Frankfurter Flughafen. Als LH-Mitarbeiter konnte ich billig fliegen, was ich gern nutzte, weil ich andere Kontinente kennenlernen wollte. Es klingt irgendwie romantisch, aber als Backpacker in Costa Rica lernte ich meine Frau kennen, eine Agrarwissenschaftlerin aus Montreal. Wir sind dann zusammen weiter gereist.“ Die gemeinsame Tochter ist mittlerweile 15 und zweisprachig (Deutsch und Englisch) aufgewachsen. Die Familie wohnt in der Nähe von Rüsselsheim.
Das Theater ließ ihn dennoch nicht los, so dass er sich schließlich für eine Schauspielausbildung entschloss. Nach einigen Vorsprechen bekam er 1996 einen Studienplatz an der renommierten Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig und absolvierte dort 2000 sein Examen. Zu seinen jüngeren Kommilitonen dort gehörte u.a. Sören Wunderlich. Krafts erstes festes Engagement folgte am Theaterhaus Jena unter der Leitung von Claudia Bauer, die in der kommenden Spielzeit erstmals in Bonn inszenieren wird. In ihrer Regie spielte er u.a. in Fight Club nach dem Roman von Chuck Palahniuk und dem gleichnamigen Film sowie in Triumph der Provinz von Felicia Zeller, die er zu den für ihn besonders prägenden Autorinnen zählt. Ebenso wie Marc Becker, dessen Fußballstück Wir im Finale 2004 in Jena uraufgeführt wurde. Regie führte ­Christian von ­Treskow, der ihn später nach Wuppertal holte. In Jena lernte Kraft seine heutige Bonner Kollegin Sophie Basse und die Regisseurin Alice Buddeberg kennen. Unter anderen auch mit Basse gründete er 2007 in seiner Heimatstadt Rüsselsheim das unabhängige interdisziplinäre Theater „sechzig90“, zu dem später neben Buddeberg auch ­Daniel Breitfelder stieß.
Von 2007 bis 2009 arbeitete Kraft am Theaterhaus Stuttgart und danach drei Jahre lang am Wuppertaler Schauspiel. „Es war schon ziemlich bitter, dort gleich mit Schließungsplänen konfrontiert zu werden. Immerhin ist die Schauspielsparte nicht ganz verschwunden.“
Kraft arbeitete dann eine Zeitlang frei, gastierte an verschiedenen Bühnen, war in TV- und Kinoproduktionen zu sehen und lehrte an der Akademie der Darstellenden Kunst in Ludwigsburg. „Bonn kam ganz unerwartet, aber ich habe meine Zeit hier noch keine Sekunde bereut. Viele Leute hier kannte ich schon; es gibt so ein menschliches Grundvertrauen im Ensemble, was auch viel Energie spart.“ Kraft gastierte 2016 als Karrierejurist Johannes bei der Uraufführung von Thomas Melles Bilder von uns. Die Werkstattproduktion in der Regie von Alice Buddeberg wurde zu mehreren wichtigen Theaterfestivals eingeladen. Seit der Spielzeit 2016/17 ist Kraft fest am Schauspiel Bonn engagiert und bleibt gern weiterhin hier.
Seinen Einstand gab er in der Uraufführung von Fritz Katers Love you, Dragonfly, wieder in der Regie von Buddeberg. „Ein echtes Geschenk war der große Monolog von Robert/Roberta.“ Mit dieser tragikomischen Transgender-Vision eroberte er das Bonner Publikum in den Kammerspielen im Sturm. Sehr erfolgreich war auch Ibsens Frau vom Meer, in der er den Doktor Wangel verkörperte. „Inszenierungen von Martin Nimz hatte ich schon als Student gesehen und war sehr glücklich, nun erstmals mit ihm zu arbeiten.“
Zu Beginn der laufenden Spielzeit folgte Bonnopoly. „Fast fertig erarbeitet hatten wir das schon vor der Sommerpause bei Saunatemperaturen in unserem Beueler Probenraum. Der Regisseur Volker Lösch fordert auf der Bühne extreme Genauigkeit, was ziemlich anstrengend ist. Großartig fand ich die Leistung des Autors Ulf Schmidt, der sich durch Mengen von Material arbeiten musste. Zumal jeder Satz juristisch überprüft werden musste. Auf das Ergebnis dieser Mühen bin ich tatsächlich stolz.“
Er spielt noch den Einstein in Dürrenmatts Physikern in der Regie von Simon Solberg. Sehr interessierte ihn auch Der letzte Bürger von Thomas Melle, den er schon seit einigen Jahren kennt. Er verkörperte den scheinbar fest im Leben stehenden Sohn Jasper. „Leider haben wir das Stück nur sechs Mal gespielt.“
Holger Kraft ist ein Schauspieler, der kritisch hinschaut und gern andere Sichtweisen untersucht: „Wir müssen an die Wurzeln der Gesellschaft gehen und uns dafür nicht entschuldigen oder als Bittsteller auftauchen. Was man auf der Bühne sagt und tut, hat eine Relevanz, die sich sicher nicht in jeder Vorstellung vermittelt. Aber eine Gesellschaft verliert sich selbst, wenn sie 2.500 Jahre Theater und Literatur aufgibt. Die Forderung, dass Kultur sich finanziell selbst tragen soll, ist nicht nur völlig unrealistisch, sondern eine fatale Missachtung des bürgerschaftlichen Engagements und der vielfältigen ehrenamtlichen Arbeit. Sie kappt die Vielfältigkeit in der Auseinandersetzung mit uns selbst, die aber in einer modernen, selbstbewussten Gesellschaft unerlässlich ist. Beim Sport ebenso wie bei der Kultur, die doch zusammen viel zur friedlichen Gestaltung unseres Gemeinwesens beitragen. Letztlich sind die Strukturen im Sport und im Theater ziemlich ähnlich.“ Erst mal steht am 17. Mai die Premiere von Jelineks Wut auf seinem Programm. Für das freie Bühnenprojekt „sechzig90“ bleibt ihm aktuell wenig Zeit. Sowieso steht es auf der Kippe, da ein neues Domizil gefunden werden muss. Man ist aber zuversichtlich, dass dies gelingt. Außerdem muss der bekennende Fußballfan Holger Kraft am 19. Mai nach Berlin ins Olympiastadion. Seine Dauerkarte bei Eintracht Frankfurt teilt er sich mit seinen Geschwistern, aber beim Pokalfinale will er selbst live dabei sein.

Dienstag, 15.01.2019

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