Wut - Kammerspiele - kultur 147 - Juni 2018

Wut
Foto: Thilo Beu
Wut
Foto: Thilo Beu

Furioses Kunststück

Sie schreibt immer verzweifelt um ihr Leben. Radikal ironische Textflächen mit messerscharfer Verbalfolter und furchtlosen Attacken gegen die Dummheit, politisches Wohlwollen und so ziemlich alles, was uns sonst noch in Rage bringen sollte. Elfriede Jelineks neuere Stücke sind keine Dramen, sondern assoziative Sprachblöcke, aus denen die Regie sich ein szenisches Konzept herausfiltern muss.
In den Bonner Kammerspielen erscheint anfangs vor dem Vorhang die Szene mit dem zusammenbrechenden Paddelboot aus Jacques Tatis Die Ferien des Monsieur Hulot, das dann für einen Wal gehalten wird. Dazu erklingt Charles Trenets Chanson „La mer“.
Ein herrlich böser Witz, mit dem der Regisseur Sascha Hawemann seine Version von Elfriede Jelineks Wut einleitet. Und gleich den Ausgangspunkt ihrer sprachgewaltigen Empörung klar macht: Die tödlichen Anschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar 2015.
„FUREUR“ steht in riesigen Lettern auf der Bühne von Wolf Gutjahr. Es sind bespielbare Buchstaben-Räume, und das abgetrennte EUR rollt ab und zu monumental in den Vordergrund. Obwohl das Geld als Motor allen Unheils diesmal nicht die Hauptrolle spielt in Jelineks rasendem Sturmlauf gegen die weltweite Gewalt und ihre historischen Keimzellen. „Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus“, heißt es am Anfang der Ilias. Die großartige Laura Sundermann zelebriert schon vor dem roten Samtvorhang mit Jelinek-Frisur und grauem Pelzmantel (Kostüme: Ines Burisch) eine sprachlich virtuose Zorn-Arie.
Die Erzählung von der blinden Wut des ­He­rakles ist zwar ebenso gestrichen wie Medeas Rache. Die mythologische männliche Drachensaat des Kadmos kommt später jedoch vor. Die Stärke von Hawemanns bildstarker Inszenierung (Dramaturgie: Jens Groß, der ab der ­nächs­ten Spielzeit die Schauspieldirektion übernimmt) liegt freilich darin, dass er die wahnsinnige assoziative Textflut der Autorin kanalisiert hat. Also aus dem derzeit an diversen Bühnen gespielten Werk, das 2016 an den Münchner Kammerspielen seine Uraufführung erlebte, wirkliche Szenen baut und mit seinem exzellenten fünfköpfigen Ensemble echte ­Thea­terfiguren entwickelt.
Philipp Basener (der originelle Schauspieler verlässt leider Bonn), Christoph Gummert (demnächst fest in Bonn engagiert) und Holger Kraft spielen ebenso energisch wütende Terroristen wie verwilderte Wutbürger, die ihren Frust an einem Schrottauto rauslassen. Als Hooligans hocken sie in dem kaputten Fahrzeug und geben per Video Macho-Sprüche von sich, inkl. Nacktarsch am Fenster. Derweil hängt Johanna Falckner kopfüber bei ihnen im Wagen. Gekränkte persönliche Eitelkeiten treffen auf blinden Gewaltrausch, die Lust der Täter vermischt sich mit den Leiden der Opfer. Die Beschreibung der Funktionsweise eines Maschinengewehrs wird zu einem zynischen Kabinettstück, Theaterblut spritzt reichlich. „Wir sehen recht gern den Todeskampf anderer Völker, die nicht mehr benötigt werden“ – nur einer der fast beiläufig fallenden brutalen Sätze mit Verstörungspotenzial. „Körper, Sport, Krieg, Medien“ und „Unser Gott ist der Größte“, skandiert die Truppe fröhlich. Denken muss das geneigte Publikum schon selbst.
Eine Szene führt in die Zeit des Algerienkriegs, dessen Folgen nun junge, in Frankreich aufgewachsene Nordafrikaner aufstacheln. Eine im Grunde harmlose Karikatur ihres historischen Religionsstifters erleben sie als Attacke auf ihre persönliche Integrität: Wenn mein Gott lächerlich gemacht wird, trifft es mich direkt. Die aufgeklärte säkulare Gesellschaft hat versagt. In einer plakativen Satire erscheint Jesus mit seinem Kreuz, die Juden vertritt Woody Allen, Herr Mo ist anderweitig beschäftigt. Der friedlich fette Buddha, hierzulande beliebt als bequemer Ausweg aus dem monotheistischen Denken – nein danke. Klappt trotz Nuckeln an seiner großen Brust und weiter unten auch nicht.
Die wütende Elfriede darf jeder mal spielen. Im niederösterreichischen Mürzzuschlag, wo sie zur Welt kam, bettelt die kleine Elfie auf Knien um die Zuwendung ihrer strengen Mama, die sich im braven Bikini auf Autohauben räkelt. Papa ist abgehauen. Das Speiseeis, nach dem das Kind verzweifelt lechzt, ist eine klebrige Falle. So fängt’s im kleinen Familienkreis an und wächst weiter bis zum Amoklauf gegen alles, was ins eigene Weltbild nicht passt. Holger Kraft zitiert auf Schwedisch den Text von Jelineks Literatur-Nobelpreisurkunde und verfällt dann in eine skurrile Fantasiesprache. Trotz der famosen Sprechkultur der Darsteller muss man nicht jedes Wort verstehen und allen intellektuellen Seitensprüngen folgen. Man darf mitunter durchaus lachen angesichts der grotesken Widersprüche, die uns dauernd heimsuchen. Furioser Premierenbeifall für das ganze Inszenierungsteam, insbesondere für Johanna ­Falckner und Laura Sundermann, die nach dieser Saison neue Wege gehen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Die letzten Vorstellungen:
2.06.// 9.06. // 13.06. // 21.06.18

Dienstag, 15.01.2019

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