Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Matthias Breitenbach - kultur 145 - April 2018

Matthias Breitenbach
Foto: Thilo Beu
Matthias Breitenbach
Foto: Thilo Beu

Professor Fließ, Parzival Pech und Tischlermeister Otto Quangel

Mit der Regisseurin Sandra Strunz hat er schon häufig zusammengearbeitet. Sie holte ihn in der vergangenen Saison als Gast nach Bonn für ihre Inszenierung der Buddenbrooks. Matthias Breitenbach spielt in der erfolgreichen Produktion, die in diese Spielzeit übernommen wurde, den windigen Hamburger Kaufmann Grünlich und die bayerische Frohnatur Per­maneder. Also die beiden tragikomischen Männer an der Seite von Tony Buddenbrook, die zum Niedergang der Familie einiges beitragen. „Ich mag Romanbearbeitungen für die Bühne ganz gern, weil die Figuren in der Erzählung schon präsent sind. Aber man muss die Dialoge natürlich ins Spiel übertragen. Eine fünffache Negation in einem Thomas-Mann-Satz funktioniert als geschriebener Text, aber auf der Bühne reicht auch eine doppelte.“
Zum Theater kam der 1963 in Frankfurt/Main geborene Schauspieler wegen einer elementaren Neugier auf Menschen. Er wuchs in einer christlich geprägten Handwerkerfamilie in einem hessischen Dorf auf. Auf Wunsch seines Vaters absolvierte er eine Tischlerlehre, beherrscht also selbst den Beruf des Otto Quangel, den er nun in Falladas Jeder stirbt für sich allein verkörpert. Seinen Zivildienst leistete er in einer Behinderten-Einrichtung in Hamburg. „Das brachte mich zu den Grundfragen nach der Verbindung von Körper, Geist, Gefühlen und Sehnsüchten. Unter der Intendanz von Peter Zadek ging ich dann öfter mit Freunden ins Schauspielhaus und begriff langsam, dass es nicht um Repräsentation geht, sondern um die Wucht des Daseins. Ich habe mich dann völlig naiv an der Hamburger Schauspielschule beworben.“ Neben der Schauspielausbildung belegte er zusätzlich Tanzkurse vom Ballett bis zum Modern ­Dance. „Die Atemtechnik beim Tanz ist völlig anders als beim Schauspiel. Dennoch habe ich viel mitgenommen für das Denken von Körperlichkeit und Bewegung im Raum.“
Sein erstes Engagement bekam Breitenbach 1988/89 in der sechsstündigen Ilias von Hansgünther Heyme, einer Koproduktion der Theater Düsseldorf und Essen. Es folgten dann einige Jahre in der freien Szene. „Besonders fasziniert hat mich die Arbeit am Theater am Turm in Frankfurt. Es ging und geht mir immer um das Ausloten von Möglichkeiten. Auf der Bühne ist alles möglich und passiert genau jetzt. Geprobt wird vor der Premiere. Bei der Vorstellung übt man nicht. Hier zählt die unmittelbare Wahrnehmung. Die Impulse kommen über das Zuhören, nur dadurch bleibt das Ganze lebendig.“ Beeindruckt hat ihn die Regisseurin und Dramaturgin Gabriella Bussacker, die ab 2000 unter der Intendanz von Tom Stromberg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg tätig war. Bis 2005 war Breitenbach dort fest engagiert. Stromberg und den Regisseur Stefan Pucher, mit dem er auch schon am Theater Basel zusammenarbeitete, hatte er am TAT kennengelernt.
„Ganz irre war die Uraufführung von Jérôme Bels The Show Must Go On zur Spielzeiteröffnung 2000. Es war die letzte von vier Premieren an einem Tag und ein Rieseneklat. Das Publikum tobte und wollte sein Eintrittsgeld zurück. Die Produktion blieb aber bis 2005 im Repertoire. Bel hat es später noch mit seiner eigenen Company einstudiert und uns immer wieder zum Mitmachen eingeladen. So reiste ich mit ihm zu Tanz­festivals in ganz Europa, Israel und Südkorea.“
Nach der Zeit in Hamburg war Breitenbach einige Jahre fest am Zürcher Theater am Neumarkt engagiert. „Ich habe mir aber vertraglich ausbedungen, mindestens eine Produktion woanders machen zu dürfen.“ In Zürich arbeitete er dann zum ersten Mal mit Sandra Strunz, die er bereits aus Hamburg kannte und die jetzt in Bonn Jeder stirbt für sich allein inszeniert. Sie holte ihn 2006 für ihre Inszenierung von Kleists Familie Schroffenstein ans Stadttheater Freiburg unter der Intendanz von Barbara Mundel. In Freiburg gastierte er noch häufiger, ebenso wie in etlichen anderen Städten. „Ich habe mir ein Netzwerk von Regisseuren aufgebaut. Mich interessiert vorrangig, wer es macht. Erst dann, was und welche Rolle. Es ist toll, wenn man sich kennt und vertrauensvoll miteinander arbeitet.“
Am Theater am Neumarkt hat er 2010 auch mitgewirkt in der Offenbach-Operette Die Banditen in der Regie von Sebastian Baumgarten. 2012 machte er sogar einen Ausflug in die Oper und spielte in Koblenz den Bassa Selim in Mozarts Entführung aus dem Serail in der Regie von Marcus Lobbes und lieferte zur Ouvertüre sogar eine kleine Bauchtanzeinlage. Mit diesem Regisseur hatte er 2010 schon in Dortmund gearbeitet, bei den Persern des Aischylos ganz allein den Chor gespielt. Unter den vielen Produktionen, in denen er mitwirkte (seit 2000 durchschnittlich vier pro Jahr), nennt er besonders Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss in der Regie von Thomas Krupa am Grillo Theater Essen. Am Essener Schauspiel war Breitenbach ebenfalls zu Gast in Krupas Inszenierungen von Anna Karenina und Der Sturm. Einen Abstecher ins Off-Theater machte er 2015 noch mal am Stuttgarter Theater Rampe mit der Zwillingsgeschichte Eugen & Eugen, entwickelt von ihm selbst zusammen mit dem vielseitigen Theatermacher Leopold von Verschuer. Außerdem verbindet ihn seit fast drei Jahren eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit der jungen Regisseurin Anna-Elisabeth Frick.
Seit Beginn dieser Spielzeit ist Breitenbach fest am Schauspiel Bonn engagiert. Er spielt den Fleischfabrikanten Cridle in Die heilige Johanna der Schlachthöfe, inszeniert von Laura Linnenbaum, und den aus Berlin mit seiner jungen Familie aufs Land geflohenen Soziologie-Professor und Naturschützer Gerhard Fließ in Unterleuten, inszeniert von Jan Neumann. Neu kennengelernt hat er hier ebenfalls die Regisseurin Clara Weyde, die in der Werkstatt die Uraufführung von Supergutman auf die Bühne brachte. Breitenbach spielt in dieser keineswegs brotlosen ­Farce den stets hilfsbereiten Weltverbesserer Parzival Pech, der Gerechtigkeit für alle anstrebt und sich zum Superhelden der Menschenfreundlichkeit aufschwingt. „Die Probenarbeit mit dem ganzen Team war wunderbar entspannt“, findet er und freut sich schon auf die Vorstellung kurz nach unserem Gespräch.
Am nächsten Tag probt er wieder Jeder stirbt für sich allein. „Am Schlimmsten ist die Angst in der damaligen Gesellschaft, die in dem Roman kongenial beschrieben wird“, meint er. „Otto Quangel ist ja ein schwieriger Typ, wortkarg und unfähig, seine Gefühle zu äußern. Aber gerade dadurch ist er in der Lage, seinen ganz persönlichen Widerstand zu leisten. Ich mag besonders die Begegnung mit seinem Mithäftling ­ Dr. Reichhardt, der ihm erklärt, dass es nicht um den Erfolg einer Aktion geht, sondern um uns selbst und die Bewahrung des Anstands.“
Matthias Breitenbach hat seit rund 25 Jahren nebenbei auch in zahlreichen TV- und Kino-Produktionen mitgewirkt, darunter in diversen „Tat­orten“. Er sieht sich jedoch weitaus stärker im Theater verankert als im Film. „Am Set arbeitet man tendenziell für sich. Man kommt mit einem fertigen Text und liefert an ein paar Drehtagen etwas ab. Ins Theater kommt man anfangs mit einem ungelernten Text und versucht dann, alles gemeinsam herauszufinden. Klar würde ich gern mal bei Godard einfach nur so vor der Kamera durchs Bild laufen. Mit aller Ernsthaftigkeit nutzlos zu sein, ist wunderbar.“ Nach der laufenden Saison wird Breitenbach wieder weiterziehen: „Sicher mit tränenden Augen, denn ich fühle mich in Bonn sehr wohl.“ Aber er braucht stets neue Freiräume für seine spielerische Erforschung von Möglichkeiten.

Donnerstag, 06.12.2018

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