Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Angelika Schmidt - kultur 144 - März 2018

Angelika Schmidt
Foto: Thilo Beu
Angelika Schmidt
Foto: Thilo Beu

Die ausgezeichnete Souffleuse am Schauspiel Bonn

Ganz sicher sind wir natürlich nicht, aber wahrscheinlich ist sie die erste Souffleuse, die einen Theaterpreis für ihre Tätigkeit bekam. Im Sommer 2017 erhielt Angelika Schmidt den Sonderpreis der Freunde der Kammerspiele. Im September sendete dann die WDR-Lokalzeit Bonn einen Beitrag über sie, den man immer noch im Netz anschauen kann. Dort wurde auch klar, dass sie viel mehr zu tun hat, als bei den Vorstellungen abends mit dem Textbuch auf den Knien (das von vielen bevorzugte Notenpult mit Lampe lehnt sie strikt ab) in der ersten Zuschauerreihe zu sitzen und zu helfen, wenn jemand auf der Bühne einen ‚Hänger‘ hat. Sie ist bei den Proben dabei (im kurzen TV-Film ging es um Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe), geht mit den Schauspielern deren Texte durch und denkt jeden gesprochenen Satz mit. Es kann auch passieren, so der Schauspieler Rolf Mautz, dass sie bei der Betonung eines Wortes ihre Zweifel mit leicht hochgezogener Augenbraue signalisiert.
Seit 37 Jahren arbeitet Angelika Schmidt nun als Souffleuse. Das Wort stammt aus dem Französischen: „souffler“ bedeutet flüstern, hauchen, atmen. Letztes Jahr beim Festival in Avignon gab es sogar ein Theaterstück aus Portugal, das die langjährige Souffleuse des Nationaltheaters Lissabon zur Hauptfigur machte: „Sopro“ (frz. souffle), der lebendige Atem des Theaters. Der Beruf, für den es keine Ausbildung gibt, verschwindet langsam. Kleinere Theater können sich eine entsprechende Stelle ohnehin nicht leisten, vieles hat sich durch den technischen Fortschritt erledigt. Manche Einspringer, die das Stück nicht von Anfang an geprobt haben, spielen ihre Rolle mit Knopf im Ohr und erhalten Texthilfe aus dem Off. In der Oper wird die anspruchsvolle Aufgabe, sofern sie überhaupt vorgesehen ist, meist von ausgebildeten Sängerinnen übernommen, in Bonn z.B. von Stefanie Wüst.
Den traditionellen Souffleurkasten vorn in der Bühnenmitte, in den man nur mit einer sicheren Klaustrophobie-Resis­tenz klettern konnte, benutzt man heutzutage kaum noch. Souffliert wird für das Publikum unsichtbar aus einer Gasse am Bühnenrand oder wie beim Bonner Schauspiel meistens aus der ersten Reihe. Außerdem nennt man es geschlechtsneutral „Soufflage“. Obwohl Männer in der Position recht selten sind. Was jedoch weniger mit Machtstrukturen zu tun hat als mit der weiblichen Stimmlage, erklärt Angelika Schmidt. Sie hat übrigens in München Unterricht in Sprecherziehung und Stimmbildung genommen bei der legendären Schauspiellehrerin Ellen Mahlke, zu deren Schülern u.a. Hermann Lause, Gert Voss und der später in Bonn tätige Wolfgang Jaroschka gehörten.
Die gebürtige Hamburgerin Schmidt absolvierte zunächst in ihrer Heimatstadt eine Ausbildung zur Verlagskauffrau, arbeitete in der Anzeigenabteilung eines großen Zeitschriften-Verlags und gestaltete Druck­vorlagen. „Ich habe noch mit Setzern gearbeitet, bevor dann die Elektronik immer mehr das Handwerk bestimmte.“ Schöne Bücher liebt sie immer noch über alles, begeistert sich für die Textgestaltung und Sprache insgesamt. Einige Strichfassungen von Dramen, die sie auf der Bühne besonders beeindruckten, hat sie sich sogar eigens in Leinen mit in Gold geprägtem Titel binden lassen. Außerdem hegt sie einen fabelhaften Schatz von Programmheften, der sie bei allen Umzügen begleitete.
„Meine Liebe zum Theater ist tatsächlich der Liebe geschuldet. Mein damaliger Freund war Regieassistent und bekam ein Engagement am Münchner Residenztheater. Ich zog also 1980 in die bayerische Hauptstadt und fand eine Stelle beim Langenscheidt-Verlag, was meinem Interesse an Sprachen sehr entgegenkam. Aber das Theater hatte mich da schon total gepackt. Mit 24 Jahren übernahm ich meine erste Soufflage bei Sartres Die schmutzigen Hände. Als der Darsteller des Hugo mit der Pistole in der Hand plötzlich verstummte und ich anfangs viel zu leise seinen Text flüsterte, begriff ich: Soufflieren ist der Umgang mit der ­Schreck­sekunde. Es kam mir vor wie Minuten, aber der Kollege fand die minimale dramatische Retardierung sogar ganz gut.“
Am ‚Resi‘, das damals noch einen Souffleurkasten benutzte, begann ihre Faszination für den Dichter Ödön von Horváth. Kasimir und Karoline in der Regie von Frank Baumbauer gehörte zu den ersten Produktionen, die sie komplett begleitete. Sie schwärmt von der Arbeit mit Ingmar Bergman, der 1981 eine Trilogie aus Ibsens Nora, Strindbergs Julie und den eigenen Szenen einer Ehe auf die Bühne brachte. In München lernte sie viele berühmte Regisseure und Schauspieler kennen. Es war der kürzlich verstorbene Hans-Michael Rehberg, der ihr den guten Rat gab: „Schau bitte konzentriert ins Textbuch und nicht auf die Bühne, denn wir verlassen uns vor allem auf dein Gehör.“ Zu ihrem Münchner Freundeskreis gehörte auch der diskussionsfreudige junge Student Christoph Schlingensief, der das Staatstheater für komplett überflüssig erklärte.
1982 wechselte Angelika Schmidt ins kleinere Freiburg unter der Intendanz von Manfred Beilharz, wo sie bereits 1983 den nun seit vielen Jahren in Bonn engagierten Schauspieler Wolfgang Rüter und viele andere kennenlernte, die später hier für Aufsehen sorgten, wie z.B. Monika Kroll. Von 1984 bis 1988 war Schmidt am Schauspiel Frankfurt tätig. „Unter der Intendanz von Günther Rühle begann eine sehr spannende, hochpolitisierte Zeit mit tollen Erfahrungen.“ Eher zufällig bewarb sie sich 1989 für eine freie Stelle am Staatstheater Darmstadt, wo Klaus Weise gerade die Schauspieldirektion übernommen hatte. „Weise und sein Chefdramaturg Burkhard Nemitz prüften mich bei einer Probe zu Minna von Barnhelm und waren offenbar zufrieden“. Schmidt zeigt mir beim Kaffee alte Fotos von Weises Tartuffe 1989 und von Miss Sara Sampson 1990 in der Regie von Lore Stefanek mit einem sehr komischen Rolf Mautz als Mellefont.
Mit Weises Team zog sie 1992 nach Oberhausen und ist immer noch begeistert von seiner dortigen Eröffnungsinszenierung Der Prinz von Homburg, der künstlerischen Aufbruchsatmosphäre und der Energie, die die mittelgroße Ruhrpott-Stadt plötzlich in den Fokus des deutschen Theatergeschehens rückte. „Weise setzte konsequent aufs gesprochene Wort, schloss die Musiktheatersparte, was viele Leute schmerzte, und baute ein originelles Ensemble auf. Jeder Wechsel ist ein Einschnitt. Das war auch so, als unsere zusammengewachsene Truppe 2003 von Oberhausen nach Bonn zog. Und 10 Jahre später wieder so, als Nicola Bramkamp hier die Schauspielleitung übernahm. Ich war überwältigt von dem offenen Gesprächston und dem fantastischen jungen Ensemble. Klar: Die haben einen ganz anderen Erfahrungshorizont, was mich wiederum neugierig macht.“
Metropolis und Herz der Finsternis in der Regie von Jan-Christoph Gockel mochte sie besonders, ebenso wie die Arbeiten von Sandra Strunz. Sie hat schon deren Inszenierung von Buddenbrooks souffliert und probt jetzt seit zwei Wochen Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada. Das heißt bei der leidenschaftlichen Leserin: Sie lebt zeitweilig in einer besonderen Textwelt und hat deren Sprache quasi schon eingeatmet, um dann mit den Menschen auf der Bühne jeden Hauch einer Störung sofort zu spüren. „Anfangs konnte ich nachts gar nicht einschlafen, bevor ich alle Akte eines Dramas mit mir selbst durchgesprochen hatte. Nach ungefähr 140 soufflierten Stücken bedrängen mich die Sätze nicht mehr so stark. Aber die Liebe zu den Wörtern und ihrer ständig wechselnden Bedeutung ist geblieben.“ Deshalb freut sie sich schon auf neue Wortfelder wie in Jelineks Wut und die kommenden Spielpläne in Bonn, wo sie inzwischen länger wohnt als an all ihren früheren Theaterstationen.

Donnerstag, 06.12.2018

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