Marie Heeschen - kultur 143, Februar 2018

Wunderland
Foto: Thilo Beu
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Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Marie Heeschen: Musetta, Ella, Barbarina und Musik zwischen allen Zeiten

Gut eine Stunde nach unserem Gespräch wird die junge Sopranistin wieder als Ella auf der Bühne stehen in der spannenden Familienoper Geis­territter. Das blitzgescheite, selbstbewusste Mädchen, das dem kleinen Ion gegen die üblen Gespenster beisteht, gefällt ihr sehr. „Sängerisch ist die Rolle nicht so furchtbar anspruchsvoll“, erklärt sie. „Aber spielerisch macht die Inszenierung großen Spaß. Schon bei den Proben hatte das ganze Team viel Vergnügen. Kindertheater hatte ich vor meinem Engagement in Bonn noch nicht gemacht, hier dann gleich ziemlich viel.“
Am Anfang stand die Uraufführung von Wunderland nach dem Klassiker von Lewis Carroll. „Bei dieser schönen Produktion auf der Probebühne im Opernhaus stimmte einfach alles. Vor allem waren wir sehr nah am jungen Publikum und konnten ganz direkt spüren, wie es mitging auf die Reise ins Reich der Fantasie.“ Marie Heeschen sang die neugierige Alice, die dort seltsamen Gestalten begegnet. Im Sommer 2017 folgte dann ihre erste Hosenrolle: der Birk in Ronja Räubertochter nach dem Roman von Astrid Lindgren, der zu Maries Lieblings-Kinderbüchern gehört. In der kommenden Spielzeit wird sie die Gerda verkörpern in Die Schneekönigin. Das Auftragswerk im Rahmen des Kooperations-Projekts „Junge Opern Rhein-Ruhr“ wurde 2016 in Duisburg uraufgeführt und dann in Bonn neu einstudiert.
Musiktheater steht zwar momentan im Zentrum ihrer Arbeit, aber die vielseitige Sängerin bewegt sich gern in verschiedenen Genres und zwischen den Epochen. BRuCH heißt das Neue-Musik-Ensemble, das sie 2013 gemeinsam mit drei Musikerinnen gründete, die sie beim Studium in Köln kennenlernte. „Der Name setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben unserer Nachnamen, hat mit dem kleinen ‚u‘ aber auch programmatischen Charakter. In der ungewöhnlichen Besetzung Flöte, Cello, Klavier und Gesang erforschen sie musikalische Brüche im 20./21. Jahrhundert, arbeiten mit etablierten zeitgenössischen Komponisten und entwickeln neue Werke mit Nachwuchs-Musikern. 2014 gewann das Ensemble den 2. Preis beim Karlsruher Wettbewerb für die Interpretation zeitgenössischer Musik. Die jungen Künstlerinnen gastierten bundesweit bei diversen Festivals und haben mehrere Rundfunkaufnahmen eingespielt. „Ein tolles Erlebnis war 2015 eine Intensiv-Arbeitswoche mit Helmut Lachenmann in seinem Haus am Lago Maggiore.“ Neben verschiedenen Auszeichnungen erhielt BRuCH für die Saison 2017/18 ein Stipendium des Deutschen Musikrats, das ihnen insbesondere Konzert-Auftritte ermöglicht. „Geldpreise sind natürlich toll, aber wichtiger ist die Unterstützung bei der Vermittlung unserer Ideen und Programme.“
Von der Neuen zur Alten Musik ist es für Marie Heeschen nur ein kleiner Sprung. Ebenfalls 2013 gründete sie mit vier Kollegen (Cello, Cembalo, zwei Violinen) das auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Ensemble Paper Kite. Der Name leitet sich her aus einem Brief des britischen Gelehrten Samuel Johnson an den Komponisten Georg Friedrich Händel. Nur ein Papierdrachen könne seiner Musik bis über die Wolken folgen. Paper Kite will das deutsche und italienische Kantatenrepertoire des 17./18. Jahrhunderts neu beleben, gewann etliche Auszeichnungen und brachte 2017 seine erste CD mit dem Titel felice un tempo heraus.
Angefangen hat die in Hamburg geborene und aufgewachsene Sängerin in einer Jazz-Band. Als Kind lernte sie Geige und Blockflöte, besuchte ein Gymnasium mit Musikschwerpunkt, fiel als Solistin im Schulchor auf und entschied sich mit 17 Jahren auf Empfehlung ihrer Lehrer für eine klassische Gesangsausbildung, anfangs privat und nach dem Abitur an der Musikhochschule Lübeck. „Es ist ein relativ kleines Institut, wo alle sich kennen und bei den Hochschulproduktionen mitmachen, im ersten Jahr in der Statisterie, im zweiten als Chorist und dann in Solo-Partien. Im Schauspielunterricht lernte ich eine Menge – Theaterspielen gefällt mir sowieso.“ Ihre erste große Rolle in Lübeck war die Galatea in Händels Acis und Galatea.
Nach dem Bachelor-Examen 2011 studierte sie weiter an der Hochschule für Musik und Tanz Köln u.a. bei Christoph Prégardien und Lioba Braun, absolvierte diverse Meisterkurse bei prominenten Professorinnen und Professoren und hat mittlerweile einen Master-Degree in Operngesang sowie einen in Neuer Musik. An der Folkwang Universität Essen bereitet sie gerade ihr Konzertexamen mit dem Schwerpunkt zeitgenössische Kammermusik vor. Sie gastierte als Sängerin z. B. bei den Händel-Festspielen Halle und war 2014/15 Mitglied des Jungen Ensembles am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Riesenspaß machte ihr dort 2016 die Rolle der Adele in der Fledermaus, in der Fassung für Salonensemble von Franz Wittenbrink. Bei der Premiere hatte sie schon einen Vertrag mit der Oper Bonn, wo sie bei der Wiederaufnahme von Rossinis Barbiere di Siviglia als Berta engagiert war – noch als Studentin im Rahmen der Bonner Kooperation mit der Kölner Musikhochschule. Ihr Debüt als festes Bonner Ensemble-Mitglied gab sie zum Spielzeitbeginn 2016/17 als erotisch-kokette Musetta in Puccinis La Bohème. „Das war eine echte Herausforderung“, gesteht sie. Als großes Glück empfand sie es, dass die Theaterleitung ihr dann gleich die Papagena in Mozarts Zauberflöte anvertraute. Als Jürgen Roses zeitlos bezaubernde Inszenierung 1996 herauskam, war Marie Heeschen noch nicht mal ein Teenager.
Aktuell probt sie die Barbarina in Figaros Hochzeit (Premiere am 28.1.) und singt in einigen Vorstellungen auch schon die große Partie der ­Susanna, derzeit ihre Traumrolle. In kleineren Partien war sie zu erleben in Othmar Schoecks Penthesilea – „Mit dem Regisseur Peter ­Konwitschny arbeiten zu dürfen, war großartig“ – und in der vergangenen Saison in Brittens Peter Grimes. Ihre erste Mutterrolle singt sie als ägyptische Königin Teje in Echnaton von Philip Glass (Premiere am 11.3.). Angesichts der vielen Proben und Vorstellungen bleibt ihr momentan kaum Zeit für Liederprogramme und Konzerte. Im Repertoire hat sie u.a. Beethoven-Lieder, Schuberts Winterreise, Schönbergs Pierrot lunaire und als besonderes Lieblingsstück die Kafka-Fragmente von György Kurtag. Die hat sie bereits im Bonner Theater im Ballsaal präsentiert und wird im Mai damit in Kiel auftreten. Im Dezember wirkte sie mit beim Adventskonzert des Philharmonischen Chores Bonn, Werke von Bach stehen regelmäßig auf ihrem Programm.
Irgendwann gern mal auf der Bühne verkörpern möchte sie Alban Bergs Lulu.
„Natürlich sind die Gesangstechniken bei der Oper anders als bei ba­rocken Kantaten oder bei experimenteller neuer Musik, wo ich manchmal auch bloß sprechen muss. Mich reizt die Ausdrucksvielfalt der menschlichen Stimme und die Erforschung von Klangwelten quer durch die Epochen.“ Zunächst macht sie sich ganz entspannt auf in die Welt der englischen Geisterritter und braucht weder Perücke noch aufwändige Maske, um sich schnell in ein elfjähriges Mädchen zu verwandeln.

Donnerstag, 02.08.2018

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