Unterleuten - Kammerspiele - kultur 142 - Januar 2018

Unterleuten
Foto: Thilo Beu
Unterleuten
Foto: Thilo Beu

Brüchige Dorfidylle


Es kracht gewaltig zwischen den alten und neuen Bewohnern des brandenburgischen Dorfes Unterleuten. Als ein Windparkbetreiber am Ortsrand Land kaufen will, brechen verschüttete und frische Konflikte auf, die die Labilität der Idylle zum Vorschein bringen. Die erfolgreiche Schriftstellerin Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren und seit 2007 in einem Dorf im Landkreis Havelland zu Hause, kennt die Verhältnisse aus eigener Anschauung. Als gelernte Juristin beobachtet sie mit geschärftem Blick die aktuellen Verwerfungen. Ihr 2016 erschienener umfangreicher Roman Unterleuten führt vor, dass es keine Wahrheit gibt, sondern immer nur Perspektiven. In Jan Neumanns Inszenierung in den Kammerspielen funktioniert das mit einem klugen dramatischen Kunstgriff. Alle Figuren springen vom unmittelbaren Spiel immer wieder in eine Erzählhaltung, sprechen dann von sich in der dritten Person und öffnen Rückblicke in ihre Vergangenheit.
Regisseur Neumann, der selbst auch Stücke schreibt, und die Dramaturgin Johanna Vater haben das Gesellschaftspanorama in ihrer Bühnenfassung auf eine bitterkomische Farce reduziert mit schräg überzeichneten Typen. Schauplatz ist die „Speise- und Tanzgaststätte Märkischer Landmann“, aus deren Holzvertäfelung und vergilbten Tapeten der alte DDR-Mief zu dringen scheint (Bühne und Kostüme: Dorothee Curio). Zehs Sozialstudie könnte auch in anderen ländlichen Gemeinden spielen, aber die Zuspitzung ist gebunden an den fiktiven Ort zwischen Berlin und Neuruppin mit seinen Wendeverlierern und -gewinnern.
Das achtköpfige Ensemble präsentiert rund zwanzig Personen. Für psychologische Tiefendimensionen bleibt da keine Zeit, mit skurrilen Perücken und schnellen Kostümwechseln verquicken sie verschiedene Identitäten. Auf zwei kleinen Wirtshausbühnen im Hintergrund können die beiden alten Hauptkontrahenten auch mal große Reden halten. Im Zentrum der Geschichte agiert Rudolf Gombrowski, Sohn einer Großgrundbesitzerfamilie, deren Vermögen verstaatlicht wurde. Nach der Wende machte er aus der maroden LPG die Ökologica GmbH, den größten Arbeitgeber des Ortes. Max Moor, ausgebildeter Schauspieler, bekannt als TV-Moderator und selbst Ökolandwirt in Brandenburg, verkörpert nach langer Bühnenabstinenz solide den jovialen Strippenzieher, der sich ein Netzwerk aus Abhängigkeiten aufgebaut hat, aber seine Traumata aus der Vergangenheit nicht los wird.
Bernd Braun spielt beeindruckend den verletzten, zutiefst mit Gombrowski verfeindeten Sturkopf Kron, einst kommunistischer Parteichef des Dorfes. Wolfgang Rüter gibt den Bürgermeister Arne Seidel, von Gombrowskis Gnaden in die Position gehoben, und (bewaffnet mit einer Nebelmaschine) den Underdog Bodo Schaller, der als Fahrzeugmechaniker auf seinem Grundstück notorisch Autoreifen verbrennt. Was die aus Berlin geflüchtete Akademikerfamilie Fließ zur Weißglut treibt. Gerhard Fließ (als witzige Karikatur eines ökokonservativen Intellektuellen: Matthias Breitenbach) hat seine Soziologieprofessur aufgegeben, um sich ganz dem Naturschutz, speziell der vom Aussterben bedrohten Vogelart Kampfläufer, zu widmen. Seine Frau und ehemalige Studentin Jule hat derweil nur ihr Baby im Blick. Blinkende Windmaschinen direkt vor dem sorgsam gepflegten Häuschen im Grünen wären für das Paar die ultimative Ka­tastrophe.
Laura Sundermann spielt neben der verhuschten Jule auch die anderen Westfrauen. Vor allem die ehrgeizige Pferdezüchterin Linda Franzen, die clever jede Chance nutzt, um an die Grundstücke zu kommen, die ihr für den Aufbau ihres Betriebes fehlen. Emotionen sind nicht ihr Ding, ihr geistiges Fitness­programm bezieht sie aus dem Ratgeber „Mein Erfolg“. Das Buch gibt es tatsächlich, allerdings verfasst von Juli Zeh unter dem Pseudonym Manfred Gortz. Die attraktive Linda spielt raffiniert mit bei den Machtkämpfen im Dorf und umgarnt sogar den Immobilienhai Konrad Meiler aus Ingolstadt. Wilhelm Eilers stellt die einzige Figur, die mit Unterleuten rein zufällig zu tun hat, schon im Prolog vor dem Vorhang vor. Aus einer Laune heraus hat Meiler dort billig viel Land erworben, das sich durch den Windpark in eine echte Goldgrube verwandeln ließe.
Wirklich berührend in dem ganzen Spiel um Geld und Einfluss ist ­Lydia Stäubli, die gleich mehrere Generationen von Ostfrauen verkörpert. Sie spielt die verwirrte alte Witwe Hilde Kessler, die einst Gombrowskis Sekretärin war, Krons tüchtige Tochter Kathrin, die als Pathologin in der Kreisstadt-Klinik arbeitet, aber ihrer Heimat treu blieb. Ebenso wie ihrem Vater, der sie allein aufzog, nachdem sich seine Gattin in den Westen abgesetzt hatte. Stäubli spielt auch Schallers kesse Tochter Miriam, die zwar bei ihrer Mutter in Berlin lebt und gerade ihr Abitur macht, aber regelmäßig auf ein Bier bei ihrem Vater vorbeikommt. Seine komödiantische Wandlungsfähigkeit beweist erneut Philipp ­Basener als eloquenter Herr Pilz, Marketingleiter der Firma Vento Direkt, als Computer-Freak Frederik Wachs, Lindas weltfremder Lebensgefährte, und Meilers drogensüchtiger Sohn.
Nach der Pause macht sich blaue Farbe breit auf den kleinkarierten Hemden und sandigen Gummistiefeln der Dorfbewohner. Die Verwirrung steigt, als im Krieg jeder gegen jeden plötzlich Krons kleine Enkelin Krönchen verschwindet. Geht es nach merkwürdigen ‚Unfällen‘ und vermuteten Verbrechen schon bis zur Entführung unschuldiger Kinder? Nicht wirklich, aber die Gerüchteküche dampft, bis Gombrowski aufgibt und in der Trinkwasseraufbereitungs-Anlage verschwindet. Eine klassische Brunnenvergiftung, wenn auch ohne ernste gesundheitliche Folgen unter den Leuten. Immerhin hat Gombrowski hier das letzte Wort: „Wenn ich in Unterleuten eins gelernt habe, dann dass jeder Mensch ein eigenes Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends recht hat.“

Der spannende „Nah-Ost“-Krimi überzeugt mit seinem satirischen Zugriff und vor allem mit einem exzellenten Darsteller-Ensemble. Entsprechend herzlicher Premierenbeifall. E.E.-K.

Spieldauer ca.3 Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
30.12.17 // 6.01. // 18.01. // 7.02.18

Dienstag, 13.02.2018

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