Dirk Kaftan - kultur 141 - Dezember 2017

Dirk Kaftan
Foto: Thilo Beu
Dirk Kaftan
Foto: Thilo Beu

E. Einecke-Klövekorn trifft Dirk Kaftan,
den neuen Bonner Generalmusikdirektor

Noch konnte der umtriebige Dirigent nicht die ganze Bonner Kulturszene erkunden, denn sein Terminplan zu Beginn seiner Amtszeit war mehr als voll. Am 7. September das Eröffnungskonzert zum 650-jährigen Jubiläum von Pützchens Markt mit dem Beethoven Orchester Bonn und der rheinischen Kult-Band Bläck Fööss, am 9. September die Eröffnungsmatinee des Beethovenfestes in der Kreuzkirche, am 16. September dort die konzertante Aufführung von Dallapiccolas Il prigioniero, am 17. September das Theaterfest in der Oper, am 22. September das erste Freitagskonzert im WCCB, am 15. Oktober die Premiere von Penthesilea, am 22. Oktober das erste Konzert der Reihe Um Elf in der Uni-Aula, am 31. Oktober die Reformationsgala Luther – teuflisch gut im Telekom Dome.
„Wir haben das Programm des Beethoven Orchesters um ca. 30 % ausgeweitet“, erklärt Dirk Kaftan beim Gespräch in einem kleinen Bad Godesberger Café. „Ca. 70% unserer Arbeit sind aktuell Kooperationen mit diversen Partnern.“ Das liegt natürlich auch an der Sanierung der historischen Beethovenhalle. Wobei der Generalmusikdirektor sich schon sehr darauf freut, dass das BOB dann im ehemaligen Studio einen festen Probenraum bekommt, der auch als Kammermusiksaal genutzt werden kann. Dennoch sind Kooperationen und die Entdeckung neuer Spielorte für ihn viel mehr als eine kurzfristige ‚Notlösung‘. Das Spiegelmotiv prägt nicht nur das schöne Programmheft der laufenden Konzertsaison. Kaftan versteht das Orchester und die Musik als Spiegel der Gesellschaft. „Wir haben uns im Vorfeld verschiedenste Orte in der ganzen Stadt angeschaut. Wir wollen ja präsent sein für die gesamte Bevölkerung und nicht nur das traditionelle Konzertpublikum erreichen. Das selbstverständlich auch, aber es geht vor allem darum, zu Entdeckungsreisen einzuladen und Menschen jeden Alters und jeder Herkunft ­dabei mitzunehmen.“
So entstand z.B. die dreiteilige Reihe Grenzenlos, die am 25. November im Hotel Kameha Grand mit „Lieder ohne Grenzen“ startet. Im Januar 2018 folgt „Vielfalt der Lieder“ unter Mitwirkung der multiethnischen, türkischstämmigen Band Kardes Türküler im Telekom Forum, im Juni „Open Philharmonics“ im Telekom Dome, wo neben den Profis des BOB auch interessierte Amateurmusiker mitwirken. Die drei Konzerte dirigiert Kaftan selbst. Die drei Konzerte „Vor Ort“ in der Kleinen Beethovenhalle Muffendorf geben in Zusammenarbeit mit dem Dirigentenforum des in Bonn beheimateten Deutschen Musikrates den „Maestros von morgen“ Gelegenheit, sich am Pult des BOB vorzustellen.
Eher Club-Atmosphäre ist angesagt bei „Neue Musik“ im BaseCamp. „Das originelle Hostel in Dottendorf mit ausrangierten Camping- und Bahnschlafwagen fand ich im Internet und nutzte es dann regelmäßig bei meinen Aufenthalten in Bonn, während ich noch in Graz engagiert war. Aus der zweitgrößten Stadt Österreichs bin ich nicht mit fliegenden Fahnen weggezogen, sondern in aller Freundschaft. Die neuen Aufgaben in Bonn haben mich gereizt, weil die Stadt mit ihren scheinbaren Widersprüchen ungemein anregend ist. Bonn ist international und hat gleichzeitig gewachsene dörfliche Strukturen. Natürlich ist es toll, an Beethovens Geburtsort zu arbeiten und mit einem wunderbaren Orchester sowohl in Konzerten als auch in der Oper Ideen zu gestalten. Hier sind gerade jetzt viele Dinge möglich, die Impulse geben können für die Zukunft der klassischen Musik. Wobei ich einengende Begriffe eigentlich nicht mag: Egal, ob die Komposition aus dem 18. oder 21. Jahrhundert stammt – mir geht es um ihre Relevanz für heute. Im Idealfall soll jedes Konzert und jedes Musiktheater eine Geschichte erzählen, die uns ganz gegenwärtig betrifft.“
Von Bonn ist es nicht weit zu seinem Heimatort Wittlich. Geboren wurde Dirk Kaftan 1971 in Marburg, wuchs aber in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt auf. Er lernte an der dortigen Musikschule Trompete und Klavier, musizierte in fast allen örtlichen Institutionen vom Musikverein bis zur Jazzband, bildete sich bei renommierten Pianisten weiter und bekam mit gerade mal 18 Jahren eine Stelle als Korrepetitor am Theater Trier. Und traf zum ersten Mal den heutigen Bonner Generalintendanten ­Bernhard Helmich, der von 1992 bis 1995 dort als Dramaturg tätig war.
„In Trier hat mich der Theater-Virus befallen“, erzählt Kaftan. „Ich hatte als Schüler vielleicht zwei Opern gesehen. Aber zu erleben, wie nach langer Arbeit mit Sängern und Orchestermusikern ein Stück schließlich auf die Bühne kommt, hat mich echt gepackt. Anfangs wollte ich Tonmeister werden, entschied mich dann aber doch für ein Dirigierstudium an der Musikhochschule Detmold. Meine erste eigene Produktion war ein freies Projekt mit den dortigen Kommilitonen: Die Kammeroper Der Kaiser von Atlantis, die Viktor Ullmann in Theresienstadt komponierte, kurz bevor er 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde.“
Während seines Studiums arbeitete Kaftan als Korrepetitor am Theater Bielefeld, wurde nach dem Examen 2. Kapellmeister in Münster, anschließend 1. Kapellmeister in Bielefeld, Dortmund und Graz. Ab 2009 war er Generalmusikdirektor in Augsburg und ab 2013 Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters und der Oper Graz, wo er seinen Einstand mit Schönbergs Gurre-Liedern gab. Gastengagements führten ihn an zahlreiche große Opernhäuser in Deutschland, Europa und Asien, Konzertdirigate an die Pulte bedeutender Orchester auf allen Kontinenten. Bereits 2011 erhielt er von der Zeitschrift Opernwelt eine Nominierung als Dirigent des Jahres, 2015 wurde er vom Land Steiermark der Republik Österreich mit dem „Karl-Böhm-Interpretationspreis“ für seine Ver­dienste um die Weiterentwicklung des Grazer Orchesters ausgezeichnet.
„Ich habe den Beruf wie ein Handwerker gelernt und deshalb keine besonderen Vorlieben. Mir ging es von Anfang an um eine große Bandbreite. Es gibt immer Phasen, in denen man sich mit bestimmten Werken oder Epochen auseinandersetzt. Barockmusik überlasse ich allerdings lieber den Spezialisten, die das besser können.“ Sein umfangreiches Musiktheater-Repertoire reicht von der Operette über die großen Opern von Mozart, Wagner, Verdi und Puccini bis zu Luigi Nonos Intolleranza, mit der er 2013 in Augsburg für Aufsehen sorgte. Von der internationalen Kritik gefeiert wurde 2015/16 die Grazer Produktion von Bohuslav Martinus Opernrarität Die griechische Passion. Die CD-Aufnahme erhielt u.a. den Preis der Deutschen Schallplatten-Kritik.
Nach dem fulminanten Erfolg von Othmar Schoecks Penthesilea arbeitet Kaftan nun an der musikalischen Leitung der neuen Produktion von ­Mozarts Le nozze di Figaro (Premiere am 28.1.18). Und muss nach unserem Gespräch sofort los zur Probe für das Freitagskonzert (10.11.) mit der weltberühmten Geigerin Midori. Dass eins seiner Grazer Projekte „B9“ hieß, hat mit der hiesigen Bundesstraße jedoch nichts zu tun. Sondern mit „Beethoven für alle“, vermittelt durch die Götterfunken der 9. Sinfonie des Genies, das vor bald 250 Jahren in Bonn das Licht der Welt erblickte. Dirk Kaftan mag die labyrinthischen Spiegelungen und dynamischen Querverweise in musikalischen Werken, eitle Selbstbespiegelung ausdrücklich nicht. In seiner Hand wird der Dirigierstab deshalb selbst zum Instrument, das tänzerisch über die Takte hinaus Geschichten evoziert, während sein Körper am Pult energisch vibriert. Zuschauen und Zuhören sind da gleichermaßen spannend.

Dienstag, 16.01.2018

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