Penthesilea - Oper Bonn - kultur 140 - November 2017

Penthesilea
Foto: Thilo Beu
Penthesilea
Foto: Thilo Beu

Atemberaubendes Musiktheater


Der Premierenbeifall war fulminant für das Musiktheater-Ereignis, mit dem der neue Bonner Generalmusikdirektor Dirk Kaftan seinen Einstand an der Oper gab. Dabei ist die relativ selten gespielte Penthesilea des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck (1886 – 1957) wahrhaftig keine leichte Kost. Für sein 1927 uraufgeführtes Werk hat er das Libretto selbst verfasst und dabei Kleists gleichnamiges Trauerspiel radikal gekürzt. Geblieben ist Kleists exzessive Sprache, in der sich die Blankverse zu einem explosiven Gemisch verdichten. Schoeck konzentriert sich in seinem Einakter ganz auf die beiden Hauptfiguren Penthesilea und Achill.
Sie liebt ihn, und er liebt sie. Die Amazonenkönigin, gekränkt durch ihre Schwäche für den Anführer des feindlichen Heeres, obwohl ihr eine persönliche Liebeswahl nach dem strengen Gesetz der Mütter verboten ist, mehr noch gekränkt durch die Schwäche des Geliebten, der sich ihr zum Schein unterwirft, muss das Objekt ihres erotischen Begehrens töten. Ihn sich in einem kannibalischen Blutrausch einverleiben, weil er sie auf seine männliche Weise besitzen will.
Goethe wandte sich schaudernd ab, nachdem Kleist ihm sein Stück „auf den Knien seines Herzens“ zu Füßen gelegt hatte. Entsetzen ist das Leitmotiv des Werkes, auch in Schoecks kongenialer Vertonung. In der Inszenierung des Regie-Großmeisters Peter Konwitschny sitzt das Beethoven Orchester hinten auf der Bühne, so dass man sehen kann, wie die Klänge entstehen. Es gibt keine Tutti-Violinen, die dominierenden tiefen Streicher liefern die düster-fahlen Töne. Die Bläser sind üppig besetzt (allein zehn Klarinetten), das Schlagzeug heizt die kriegerische Stimmung an. Chor und Extrachor unter der Leitung von Marco Medved agieren aus dem Zuschauerraum bzw. von der zwischen Orchester und Bühne platzierten Publikumstribüne aus.
Die Raumkonzeption des weltweit berühmten Ausstatters Johannes ­Leiacker ist einfach genial. Die Bühne ist ein weit nach vorne in den Zuschauerraum gebautes Rechteck, das einen Boxring (tatsächlich nicht rund, sondern eckig) suggeriert. Einziges Mobiliar sind die zwei Konzertflügel, die Schoecks Partitur vorsieht. Sie werden ständig verschoben, dienen als Kampfwagen, Versteck und Liebesbett. Die beiden Bühnen-Pianisten Lucas Huber Sierra und Meri Tschabaschwili sind über ihre ­Tastenkunst hinaus Akteure des Geschehens. Weil dessen realistische Bebilderung kaum Sinn macht, lässt die Regie es ganz. Keine Videos, wenig Requisiten, strikte Reduktion auf die komplexen Vorgänge.
Grandios präsentiert sich das neue Ensemble-Mitglied Dshamilja Kaiser in der Titelrolle. Die Mezzosopranistin ist nicht nur stimmlich souverän allen Klippen gewachsen, sondern spielt auch mit vollem Körpereinsatz die stolze, emotional ungemein verletzliche, zwischen Zärtlichkeit und Gewalt schwankende Frau. Der Bariton Christian Miedl ist als Achilles sängerisch und spielerisch ein ebenbürtiger Partner. Weniger der legendäre griechische Superheld, eher ein naiver Narziss mit langem Blondhaar, der in seinem patriarchalischen Weltbild festhängt und das Abenteuer mit Penthesilea als reizvolle Abwechslung vom Kriegsgeschäft bei Troja begreift. Einen großen Strauß roter Rosen bringt er mit zum Rendezvous, ohne begriffen zu haben, was das Rosenfest im Amazonenreich bedeutet.
Ceri Williams mit ihrer tiefen Mezzostimme ist eine kaum zu übertreffende Oberpriesterin, die Sopranistin Aile Asszonyi eine wunderbar sensible Prothoe, die Ensemble-Mitglieder Kathrin Leidig und Marie ­Heeschen glänzen als Meroe und Erste Priesterin, Johannes Mertes als Diomedes. Die exzellenten Chorsolisten, insbesondere die sechs Amazonen, können wir hier nicht alle nennen. Unbedingt erwähnenswert ist, dass viel rezitativisch gesprochen wird wie in der alten Form des Melodrams. Und zwar so perfekt raumfüllend, dass man nur staunen kann.
Ein näselnder Bote mit Alphorn ist einfach komisch. Die Inszenierung ­leistet sich nämlich trotz des ernsten Stoffes viel ironische Distanz. Immer wieder rennen die Chormitglieder auf die Bühne, greifen aufgeregt ein oder lümmeln sich am Bühnenrand. Bis hin zum Finale, wo ein paar Leute wütend das Weite suchen. Wohlgemerkt: gespielte Zuschauer, nicht die echten, die alle fasziniert bis zum Ende blieben und dem gesamten Team begeistert applaudierten.
Vom Schlachtengetümmel und blutigen Wahnsinn berichten Kleists Drama und Schoecks Oper mit dem Stilmittel der Mauerschau. Konwitschnys Regie treibt das klug noch einen Schritt weiter. Nach ihrem rauschhaften Liebesmord erscheint Penthesilea ernüchtert im schwarzen Samtkleid als Konzertsängerin und lässt den Schrecken als pure Musik verklingen.
Alle Fäden des komplexen Musiktheaters, das seine Theatralität stets bewusst macht und genau deshalb so tief unter die Haut geht, hält Dirigent Kaftan mit fabelhafter Präzision fest im Griff. Am Pult des großartig spielenden Orchesters weckt er nicht nur die schillernden Farben und die geballte Wucht der Musik, sondern wird zu einer eigenen Figur und zum vitalen Energiezentrum der gesamten Szenerie.
Die überwältigende Intensität der Vorstellung sollte man sich nicht entgehen lassen. Am besten sogar einen Perspektivwechsel wagen und beim zweiten Besuch einen der Plätze zwischen Orchester und Bühne wählen. E.E.-K.
Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause
Die Letzten Vorstellungen:
29.10. // 12.11. // 19.11. // 2.12. // 14.12.17

Freitag, 12.01.2018

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