Wilhelm Eilers - kultur 139 - Oktober 2017

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifftWilhelm Eilers: Capulet, Konsul Buddenbrook und Fleischkönig Mauler

Die Kammerspiele kennt er aus seiner Jugendzeit. Denn Wilhelm Eilers, 1964 in Freiburg geboren, wuchs in Bad Godesberg auf und machte sein Abitur am Nicolaus-Cusanus-Gymnasium. Dort wirkte er in einigen Schultheater-Aufführungen mit. Z.B. in der damals gerade uraufgeführten Polit-Farce Hohn der Angst von Dario Fo, mit der die Gruppe auch im Rheinischen Landesmuseum auftrat. Seit der Spielzeit 2016/17 ist Eilers Mitglied des Bonner Schauspiel-Ensembles und gab hier seinen Einstand als Capulet in Shakespeares Romeo und Julia in der Regie von Laura Linnenbaum. Er kennt sie schon seit seiner Zeit am Schauspiel Frankfurt, wo er von 2003 bis 2009 engagiertwar. Sie war dort Regieassistentin bei einer Inszenierung der Buddenbrooks (Regie: Cilli Drexel), in der Eilers den Thomas spielte. In der erfolgreichen Bonner Inszenierung in der Regie von Sandra Strunz verkörperte er nun dessen Vater Konsul Jean Buddenbrook, der vergeblich die großbürgerliche Familienfassade aufrechterhalten will, den Tanz in den Untergang jedoch nicht aufhalten kann.
Am Tag unseres Treffens kommt Eilers gerade von einer Probe zu Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe (Premiere am 22.9.). In Linnenbaums Inszenierung spielt er den Pierpont Mauler.
„Ehrlich gesagt, bin ich kein großer Brecht-Fan. Ich mag dieses Belehrende nicht. Die ‚Johanna‘ halte ich jedoch für ein tolles Stück. Vor allem wegen der Sprache, die ja Schillers ‚Jungfrau‘ bis in Details parodiert. Das Drama ist eine Art pathetische Satire. Die Figur des Mauler ist keineswegs eindimensional und hat eine spannende Entwicklung. Er lebt in ständiger Angst um seinen Besitz und ist fasziniert von der jungen Frau, die nur ein paar Cent am Tag verdient und ihm völlig angstfrei begegnet. Mauler gewinnt und verliert, ist ohne Geld sogar für die Heilsarmee nichtsmehr wert und zerfleischt sich in seiner selbstgewählten Welt.“
In die Welt der Geheimdienste tauchte Eilers ein bei demRecherche-Projekt BND – Big Data is Watching you von Simon Solberg. „Eine Stückentwicklung ist immer riskant.Wir haben bis zumletztenMoment noch Passagen geändert, zumal die realen Ereignisse uns ja dauernd überholten.
Glücklicherweise sind wir eine sehr homogene Truppe.“
Mit Solberg hat Eilers u.a. schon 2014 in Köln zusammengearbeitet. In dessen schriller Inszenierungvon Schillers Kabale und Liebe, die beim jungen Publikum regelrecht Kultstatus gewann, spielte er den Präsidenten. Damals war Jens Groß noch Chefdramaturg amKölner Schauspiel. Der designierte Bonner Schauspielchef holte ihn dann ins hiesige Ensemble. Eilers rechnet nicht damit, dass es zur nächsten Spielzeit einen radikalen Wechsel geben wird, wie er ihn in seiner Laufbahn schon mehrfach erlebte.
Nach dem Abitur zog er 1985 nachWien, bewarb sich am renommierten Max-Reinhardt-Seminar und bekam auf Anhieb einen Studienplatz.
„Ende September waren die Aufnahmeprüfungen, am 1. Oktober begann das Semester. Ich hatte gar nicht so weit gedacht und musste mich erst mal um eine Wohnung und die Finanzierung des Studiums kümmern. Ein bisschen privilegiert war man mit dem Max-Reinhardt-Studentenausweis aber durchaus.“ 1988 bestand er sein Diplom mit Auszeichnung.
Auf Rat seiner Lehrer entschied er sich gegen ein Engagement als Eleve am Burgtheater und ging ans städtische Theater Ulm, ein traditionsreiches Dreisparten-Haus. „Als junger Protagonist in einem überschaubaren Ensemble macht man da alles. Morgens zwei Kindervorstellungen, abends ‚Hamlet‘, am nächsten Tag Operette.
Dabei lernt man, sich freizuspielen.“
1990 wechselte er unter der Interims-Intendanz von Hans-Peter Doll nach Frankfurt. Als der zuvor in Bonn tätige Peter Eschberg dort 1991 Intendant wurde und fast das gesamte
Personal auswechselte zog er mit Doll weiter nach Braunschweig.
„Nach dem Mauerfall überschwemmten Theaterleute aus dem Osten den Markt. Im Westen drehte sich das Intendantenkarussell immer schneller. Eine politische Sparwelle überflutete die Kultur. Ich machte eine Pause und verwirklichte meinen Jugendtraum, ein Jahr lang durch Amerika zu reisen.“
Danach wollte er in den Osten und spielte unter der Intendanz von Wolfgang Engel, den er aus Frankfurt kannte, vier Jahre lang am Schauspielhaus Leipzig. Dort lernte er den Regisseur Armin Petras kennen, mit dem er inzwischen mehr als zehn Inszenierungen machte. Er gastierte 2000 am Staatstheater Hannover als Franz Moor in Petras‘ Version von Schillers Räubern, wobei er den Dramaturgen Jens Groß kennenlernte, 2001 in dem höchst erfolgreichen Sommernachtstraum am Münchner Residenztheater.
Von 1999 bis 2001 war Eilers unter der Intendanz von Thomas Langhoff fest engagiert am Deutschen Theater Berlin und unter der Intendanz von Armin Petras von 2009 bis 2013 am Maxim-Gorki-Theater. Als freier Schauspieler arbeitete er an diversen großen deutschsprachigen Häusern von Hamburg bis Basel mit zahlreichen namhaften Regisseurinnen und Regisseuren. Am Nationaltheater Mannheim war er zudem als Bassa Selim in Mozarts Entführung aus dem Serail (Regie: Jens-Daniel Her-zog) zu erleben und 2013/14 sogar als Gott in KeithWarners Inszenierung von Verdis Nabucco an der Deutschen Oper Berlin. „Der Riesenapparat Oper ist jedoch nicht meine Welt“, gibt er zu. „Obwohl es aufregend ist, mit großem Orchester und Chor auf der Bühne zu stehen und die Musik imganzen Körper zu spüren. Als Student habe ich das zumerstenMal erlebt,
als ich inmitten der Musiker als Sprecher mitwirkte bei Arthur Honeggers dramatischem Oratorium Johanna auf dem Scheiterhaufen. Womit wir wieder bei dem Stoff sind, der mich aktuell beschäftigt.“
Nebenbei hat er in etlichen Filmen und TV-Produktionen mitgewirkt, sieht das heutige Fernsehprogramm aber äußerst kritisch.
„Es ist längst kein echter Arbeitsmarkt mehr für Schauspieler und gesellschaftlich völlig irrelevant. Die ganzen Shows und Serien sind furchtbar langweilig. Es wird unglaublich viel gekocht und in einemMonat mehr gemordet als in Deutschland im ganzen Jahr.“ Deshalb hat Eilers zusammen mit seinen ehemaligen Studenten an der Leipziger Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Eric Stehfest und Lorris Andre Blazejewski, in Berlin eine unabhängige Film-Produktionsfirma gegründet. Ihr Projekt „Station B 3.1“ beschäftigt sich mit Sucht und Abhängigkeit und wird u.a. von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung unterstützt. Die Hälfte der geplanten 16 Kurzfilme ist schon fertig und auf YouTube zu besichtigen. Es ist eine künstlerisch anspruchsvolle Recherche-Serie ohne moralisch erhobenen Zeigefinger. Stehfest, bekannt aus der RTL-Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten, hat im Frühjahr seinen autobiografischen Roman 9 Tage wach veröffentlicht, der wochenlang ganz oben auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. „Vielleicht machen wir daraus irgendwann ein Theaterstück“, überlegt Wilhelm Eilers. Auch wenn er jetzt nach Bonn zurückgekehrt ist – sein Lebensmittelpunkt bleibt in Berlin, wo er mit Frau und Tochter wohnt. Und voller Begeisterung mitarbeitet an einem gesellschaftlich wirklich relevanten Medien-Unternehmen.

Freitag, 24.11.2017

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