Der Garten der Lüste - Gastspiel Compagnie Marie Chouinard (Kanada) in der Oper Bonn - kultur 139 - Oktober 2017

Hieronymus Bosch vertanzt

Das berühmte Triptychon bleibt rätselhaft. Anfangs ist in der tänzerischen
Interpretation der Compagnie Marie Chouinard aus Kanada die
Außenseite zu sehen: Das Bild einer Erdscheibe, die in einer durchsichtigen
Kugel schwebt. Dann wird es aufgeklappt und fährt als riesige Projektion
nach vorn. Die zehn Tänzerinnen und Tänzer bringen die vielen
Szenen des Mittelteils in Bewegung. Nackte weiße Leiber präsentieren
das utopische friedliche Liebesparadies im „Garten der Lüste“. Auf zwei
runden Tafeln zu beiden Seiten werden wie durch Lupen einzelne Bildmotive
nah herangeholt. Es entsteht ein visuell faszinierendes Zusammenspiel
zwischen den oft überdimensionalen Darstellungen von
Früchten und Tieren und den tanzenden Körpern, die sich schließlich in
einer großen transparenten Kugel vereinen.
Auf die Lebensfülle und unschuldige Erotik folgt die Hölle des rechten
Flügels. Dort tauchen zahlreicheMusikinstrumente auf. Die ohrenbetäubende
Musik des Komponisten Louis Dufort entspricht der sichtbaren
akustischen Folter. Boschs Schreckensszenario mit seinen gespenstischen
Schimären, Albtraumgestalten und endlosen Qualen zeigt die
dunkle destruktive Seite der Triebe. Hilflos zappeln die Tänzer zwischen
Begehren und teuflischer Brutalität.
Die Choreografin Chouinard, die diesesWerk zu Boschs 2016 in allerWelt
gefeiertem 500. Todestag schuf, kehrt am Ende gegen die Leserichtung
zum Anfang zurück, dem Garten Eden. Gott – hier in Gestalt Christi – erschuf
Adam und gab ihm Eva zur Gefährtin. In Chouinards feministischer
Interpretation übernehmen die Tänzerinnen abwechselnd die Rolle des
Schöpfers im roten Gewand. Ob die weibliche Dominanz den Unheilskreislauf
hätte verhindern können, bleibt indes fraglich. Auf den seitlichen
Rundtafeln erscheinenweibliche Augen – eins blau, eins grün –mit
einemironischen Lächeln. Die Tänzer scheinen wiedermit demlangsam
zurückfahrenden Bild zu verschmelzen, aus dem heraus sie auf eine 75-
minütige fantastische Reise gingen. Das vielfarbige Gemälde mit seinen
verschlüsselten Allegorien schließt sich. Was bleibt, ist eine tänzerisch
brillante Untersuchung des Blicks auf die Schöpfung. Naturgemäß auch
für die Zuschauer nicht einfach. Aber bei den beiden fast ausverkauften
Vorstellungen im Opernhaus mit beeindrucktem Beifall belohnt.
E.E.-K.

Freitag, 24.11.2017

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