Der Fall Luther - Kleines Theater Bad Godesberg - kultur 139 - Oktober 2017

Der Fall Martin Luther
Foto: Kleines Theater Bonn
Der Fall Martin Luther
Foto: Kleines Theater Bonn

Das Verfahren des Reformators

Martin Luther hat einen Albtraum. Er steht vor Gericht. Angeklagt, die durch seine Lehre zum Aufstand getriebenen Bauern verraten zu haben und mitschuldig zu sein an der blutigen Niederschlagung ihrer Revolte.
Der Prozess hat so nie stattgefunden, gibt aber die Möglichkeit, in vielen Spielszenen das Leben des großen Reformators Revue passieren zu lassen.
Der Fall Luther von Karlheinz Komm, uraufgeführt zu Luthers 500. Geburtstag 1983 an der Landesbühne Rheinland-Pfalz in Neuwied, ist nun zum Jubiläum des Thesenanschlags zu Wittenberg 1517 im Kleinen Theater Bad Godesberg neu zu besichtigen.
Regisseur Lajos Wenzel vermeidet geschickt alles Lehrstückhafte der Verhandlung und setzt auf schnelle dramatische Stimmungswechsel.
Ausstatter Christian Baumgärtel hat dafür mit wenigen variablen Bühnenelementen einen Raumgeschaffen, der in seiner Schlichtheit das Geschehen mitträgt. Gelbliche Farbspritzer überall suggerieren den schweren Lehm der Getreide- und Schlachtfelder und assoziieren militärische Camouflage-Optik. Hinter einem
transparenten Lamellenvorhang, auf demgelegentlich Motive aus Hieronymus Boschs Albtraumvisionen erscheinen, lauert ein Schattenchor der vielen Figuren, die LuthersWirken unterschiedlich beleuchten.
Schnelle Kostümwechsel markieren nicht nur die Personen, sondern auch die historisch ferne Zeit, die gerade durch den Verzicht auf mutwillige Aktualisierungen unmittelbar in die Gegenwart reicht.
Jürgen Clemens spielt überzeugend den Sohn eines aus einfachen Verhältnissen aufgestiegenen Bergmanns, der seinem Sprössling ein Jura-Studium ermöglichte und tief enttäuscht dessen plötzlichen Wandel zum Augustinermönch ablehnte. Clemens ist dieser von Ehrgeiz und Eitelkeit nicht ganz freie Theologe Dr. Martin Luther, der unversehensin einen politischenMachtkampf gerät, obwohl er nur das unverfälschte Evangelium predigen wollte und die weltlichen Machenschaften, insbesondere die lukrative Ablasspraxis der InstitutionKirche scharf angriff. Ein zweifelnder Nachdenker, standhafter Moralist,
kein Sozialrevolutionär.
Karl-Heinz Dieckmann gibt u.a. den jovialen Beichtvater des jungen
Gelehrten, hat einen brillanten Auftritt als frommer Ablasshändler
Tetzel („Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer
springt“) und glänzt alsmit allen diplomatischenWassern gewaschener
Kardinal Cajetan beim Reichstag zu Augsburg. Josef Hofmann
läuft nach diversen anderen Rollen bei der Beweisaufnahme nach der
Pause als unerbittlicher Ankläger zu großer Form auf. Felix Höfner
sorgt als Richter für die Ordnung der Zeugenaussagen. Konstantin
Hertel spielt vornehmlich die jugendlichen Feuerköpfe aus dem Milieu
der Studenten und Bauern.
Dominique W. Güttes als von entlaufenen Mönchen vergewaltigte
Magd Grete zeigt die dunkle Seite des Aufstands. Juliane Ledwoch als
schmerzversteinerte Gräfin von Helfenstein bewegt Luther 1525 zu
seiner Streitschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten
der Bauern“. Hat der sprachgewaltige Bibelübersetzer, dessen
Lehren durch Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse ein Massenpublikum
erreichten, das Bauernmassaker bei Frankenhausen mitverschuldet?
Zog er sich zurück, nachdem man ihm die Folterinstrumente gezeigt hatte, mit denen Kirche und Feudalismus ihre Gegner zum Schweigen brachten?
Die Aufführung zeigt einen Menschen mit Stärken und Schwächen, inkl. wüster Invektiven gegen Papst, Juden, Türken, Frauen. Aber am Ende auch seine Vision einer hierarchischen Weltordnung, die längst aus den Fugen geraten war, als er neue Glaubenswege suchte.
Nach gut zwei spannenden Stunden langer, herzlicher Premierenbeifall für das Inszenierungsteam und das vielseitige Schauspiel-Ensemble. Für das Kleine Theater ein perfekter Saisonstart!
E.E.-K.

Dienstag, 14.11.2017

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