Ivan Krutikov - kultur 138 - Juli 2017

Ivan Krutikov
Foto: Thilo Beu
Ivan Krutikov
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Ivan Krutikov
- Schaunard, Enrico Ashton und Ezio

Die Entscheidung für den Sängerberuf hat der russische Bariton sich nicht leicht gemacht. Er studierte zunächst Germanistik, Philosophie und interkulturelle Kommunikation an der Universität von Welíki Nowgorod, wo er 1984 zur Welt kam. „Bitte nicht verwechseln mit der Metropole Nischni Nowgorod östlich von Moskau. Meine Heimatstadt liegt im Nordwesten und ist eine der ältesten Städte Russlands. Es gibt dort viele historische Kirchen, Klöster und berühmte Glockenspiele. Der Komponist Rachmaninow hat sich davon inspirieren lassen zu seinem großen Chorwerk Die Glocken (nach einem Text von Edgar Allan Poe), das ich sehr liebe.“ 2011 hat Ivan ­Krutikov bei einem Konzert am Konservatorium St. Petersburg die Bariton-Solopartie in diesem Stück gesungen.
„Mein Lieblingsspielzeug als Kind war ein altes Patefon, eine Art Grammophon mit Kurbel, aber ohne Trichter. Ich habe begeistert nachgesungen, was ich auf den Schallplatten hörte: vor allem russische Lieder und Romanzen. Als ich 17 war, hat meine Mutter ein Klavier gekauft – für eine alleinerziehende Frau eine große Ausgabe. Sie hat mich immer unterstützt und mir viel Freiheit für eigene Ideen ermöglicht.“ Sprache, Literatur und Geschichte interessierten ihn sehr, Musik eher als Freizeitbeschäftigung. Seine akademische Diplomarbeit schrieb er über „Phonosemantische Aspekte der Übersetzung von Opernlibretti“ und erwog eine Universitätslaufbahn. Nebenbei hatte er jedoch 2005 schon ein Gesangs-Grundstudium am staatlichen St. Petersburger Konservatorium N.A. Rimski-Korsakov begonnen. „Das Studieren an drei Fakultäten – Linguistik, Philosophie und Operngesang – war zeitweise ziemlich stressig. In der Musik musste ich mir vieles ganz neu erarbeiten, was die anderen Studierenden schon konnten. Aber ich mag es, Schwierigkeiten zu überwinden. Hinzu kommt, dass der Sängerberuf in Russland von vielen als ‚unmännlich‘ angesehen wird. Es war meine Mutter, die mich ermutigte, trotz allem diese Laufbahn einzuschlagen.“
In St. Petersburg besuchte er bis 2012 zahlreiche Meisterklassen u.a. bei Elena Obraztsova, Vladimir Chernov, Neil Shicoff und Roman Trekel. Außerdem sammelte er erste Bühnenerfahrungen in szenischen und konzertanten Hochschul-Produktionen. 2010/11 z.B. sang er den maurischen Arzt Ibn-Haka in Tschaikowskys selten gespielter Oper Jolantha, 2012 den Giorgio Germont in Verdis La Traviata. Im Frühjahr 2018 wird er diese Partie bei der Wiederaufnahme von Andreas Homokis beliebter Inszenierung auch in Bonn verkörpern.
Sein erstes Festengagement führte ihn 2012 für zwei Spielzeiten ans Michailowsky-Theater St. Petersburg. Er sang dort diverse kleinere Partien, u.a. den Donald in Billy Budd. In Bonn ist er jetzt wieder in einer Britten-Oper zu erleben: Er spielt in mehreren Vorstellungen den Apotheker Ned Keene in Peter Grimes.
2014 war er als Gast engagiert am staatlichen Primorsky Theater in Wladiwostok, einem 2013 eröffneten hochmodernen, riesigen Opern- und Balletthaus. Krutikov sang dort große Rollen wie den Tonio in I Pagliacci und den Escamillo in Carmen. Letzteren wird er in der kommenden Saison auch in Bonn verkörpern in der erfolgreichen Inszenierung von Carlos Wagner, die 2011 an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg ihre Premiere feierte und im Rahmen einer Kooperation nun hier auf die Bühne kommt.
Nach der Zeit im fernen Osten Russlands zog es Krutikov zurück nach Europa und weiter in den Westen. In der Spielzeit 2015/16 war er Ensemblemitglied am Stadttheater Pforzheim, wo er in der Titelrolle von Verdis Nabucco sein Debüt gab und überregional auf sich aufmerksam machte. Die Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“ lobte seinen „leuchtend-klangschönen Bariton“ und seine darstellerischen Qualitäten. „Es war eine riesige Produktion, bei der alle Sparten sowie ein ‚Bürgerchor‘ mitwirkten“, erzählt Krutikov. Die Pforzheimer Aufführung gastierte mit großem Erfolg auch in zahlreichen anderen Städten des Landes Baden-Württemberg. Zugute kam ihm bei der Rollengestaltung, dass er sich gern intensiv mit den Stoffen der Werke beschäftigt. Neben den sängerischen Aufgaben interessiert ihn stets der historische Hintergrund.
„Für mich bedeutet der Text ebenso viel wie die Musik. Ich möchte immer alles genau verstehen, also nicht nur die vordergründige Handlung, sondern auch den Sinngehalt, die mitgedachten Konnotationen und die prosodischen Elemente. Ideal ist es, wenn ich alles begründen kann, was ich auf der Bühne mache.“ Deshalb schwärmt er geradezu von der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Will Humburg und dem Regisseur Dietrich Hilsdorf bei Verdis Attila. „Beide sind unglaublich belesen und untersuchen das semantische Feld jeder Note und jeder Silbe.“ Für die Interpretation der Figur des Ezio hat Krutikov sich in die Biografie des römischen Feldherrn vertieft und eine Menge über das Leben des Komponisten gelesen. „Das Ganze ist ja ein psychologisch fundiertes Politdrama, bei dem sich verschiedene historische Schichten überlagern. Ich singe und spiele am liebsten echte Charaktere und keine postdramatischen Konstrukte. Mein Anliegen ist es, mit der Musik Kraft und Gefühle ‚plas­tisch‘ zu machen. Es kann eine kleine körperliche Geste sein, die man im Publikum kaum sieht, aber trotzdem als Beweggrund wahrnimmt. Mein Schauspiellehrer am Konservatorium war überwiegend beim Film engagiert und achtete auf präzisen Ausdruck. Auch wenn ich in der letzten Reihe stehe, versuche ich so zu agieren, als ob die Kamera auf mich gerichtet wäre.“
Seit der Spielzeit 2016/17 ist Krutikov fest in Bonn engagiert. Vorgestellt hat er sich hier als Schaunard in La Bohème. Den Marcello hatte er bereits in Pforzheim gesungen und verkörperte die Partie in dieser Saison dort zeitweise parallel zu seinen Auftritten hier. „Es war ziemlich kompliziert, sich in sehr unterschiedlichen Inszenierungen in zwei Figuren desselben ­Stücks wiederzufinden.“ Den Enrico Ashton in Donizettis Lucia di Lammermoor sang er ebenfalls schon in Pforzheim, bevor er hier die Partie übernahm.
Am besten fühlt der junge Bariton sich derzeit im klassischen italienischen Repertoire und freut sich darüber, hier von seinen erfahrenen Kollegen viel zu lernen. Bei der Wiederaufnahme von Madama Butterfly im Dezember wird er den Konsul Sharpless übernehmen. Eine Traumrolle wäre Carlo Gérard in Andrea Chénier von Umberto Giordano. Natürlich würde er gern irgendwann auch in den großen russischen Opern auftreten. Seine Frau, die Mezzosopranistin Dina Krutikova, lebt inzwischen auch in Bonn und fühlt sich hier sehr wohl. „Sie kritisiert mich ganz ehrlich; wir studieren viel gemeinsam. Klar, dass wir hoffen, auch mal zusammen aufzutreten.“ Im Moment möchte Ivan Krutikov, der fast perfekt Deutsch spricht, aber vor allem neue Erfahrungen machen und Verschiedenes ausprobieren. Wissbegierig ist er nicht nur als Künstler, sondern auch politisch: „Ich möchte immer wissen, was passiert. Vor allem Tatsachen, was ja angesichts der west-östlichen ‚Fake News‘ nicht einfacher geworden ist.“

Dienstag, 12.09.2017

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