Frau vom Meer - Kammerspiele (Theater Bonn) - kultur 136 - Mai 2017

Die Frau vom Meer
Foto: Thilo Beu
Die Frau vom Meer
Foto: Thilo Beu

Sehnsucht und Grauen


Es ist kalt in der kleinbürgerlichen Welt am Fjord, in die der brave Doktor Wangel die junge Ellida geholt hat. Es schneit, während seine Töchter Kunstblumen auf die graue Beton-Trümmerlandschaft vor dem Haus werfen. Das Grab ihrer verstorbenen Mutter soll die Blütenpracht schmücken. Für ihre neue Stiefmutter, die nur wenig älter ist als sie, haben die Mädchen nur Verachtung übrig.
Der Regisseur Martin Nimz und der Dramaturg Jens Groß haben Ibsens 1889 uraufgeführtes Drama gründlich reduziert und gehen auch sonst ziemlich frei mit dem Text-Material um. Im eindrucksvollen Bühnenbild von ­Se­bastian Hannak scheint der verwüs­tete Meeresboden nach oben gestiegen zu sein und langsam das Haus in Besitz zu nehmen, wo neues Leben einziehen sollte.
Mareike Hein, barfuß im weißen Nachthemd (Kostüme: Jutta Kreischer), geistert traumverloren durch eine Szenerie, die ihrer Sehnsucht nach dem offenen Meer und der Freiheit zur Selbststimmung massive Grenzen setzt. Sie erscheint merkwürdig abwesend, während sie Susan Sontags Geschichte von den Robben erzählt, die manchmal nachts ihr Fell ablegen und wie ganz gewöhnliche Menschen aussehen. Fast durchsichtig schwebt das Meerwesen Ellida, als Tochter eines Leuchtturmwärters mit Wind und Wellen aufgewachsen, durch die fremde Schattenwelt. Sie ist wie die schöne Robbenfrau aus dem Märchen, der ein Mann mutwillig das Fell stahl, so dass sie schutzlos einer Welt ausgeliefert ist, die für sie wie ein ferner, trostloser Planet erscheint. Ist das alles nur ihr Albtraum? Ist der fremde Seemann, dem sie einst auf den Klippen ewige Treue versprach, eine Projektion ihres Grauens vor dem Leben auf dem Festland und ihrer ozeanischen Sehnsucht? Ihr Verlangen nach dem bewusstlosen Glück der Fische, die im salzig-frischen Meerwasser stumm unterwegs und niemandem Rechenschaft schuldig sind?
Holger Kraft als tapferer Frauenversteher Wangel hat seine liebe Not mit der Meerfrau, die er ins Familiennetz fing und die ihm nach und nach entgleitet. Lena Geyer spielt wunderbar differenziert seine solide geerdete, antiromantische Tochter Bolette, die aus dem Schlammgewässer nur noch raus will, die Welt über ihre Bücher hinaus erforschen und wissen, warum Fische trotz aller biologischen Verwandtschaft doch keine Menschen sind. Das Geschäft mit ihrem alten Lehrer Arnholm (hervorragend als unerschütterlicher Menschenfreund: Benjamin Grüter) wird vermutlich in einer Ehe enden, die vielleicht noch Auswege ermöglicht.
Lara Waldow ist Bolettes kokette kleine Schwester Hilde, die gern einmal ein liebes Wort von ihrer jungen Stiefmutter gehört hätte und gegen Ende spielerisch eine Pistole aus ihrem Stiefel holt. Hilde wird sich den Männern nicht mehr beugen. In ihr steckt bereits das destruktive Potenzial der neuen Generation. Bolette und Hilde: zwei Emanzipations-Modelle oder -Illusionen, während Ellida schwankt, als ob sie in Wirklichkeit nirgendwohin gehörte.
Als eitler kleiner Möchtegern-Künstler Lyngstrand glänzt Daniel Gawlowski. Wie er allen Frauen naiv den Hof macht, mit seiner tödlichen Krankheit flirtet und Leben aus den weiblichen Träumen saugt, ist tragikomisch wie vieles in der Inszenierung, die bürgerliche Lebensentwürfe und Freiheits-Fantasien hart aufeinander prallen lässt.
Miteinander reden alle kaum, sind selbst bei intimen Dialogen weit voneinander entfernt und sprechen wie Schatten ihrer selbst (das Licht von Sirko Lamprecht verdient ein Sonderlob) nach vorn, als müssten sie imaginäre Zuschauer von ihrer gefährdeten Exis­tenz überzeugen. Meerfrau Ellida verschwindet zusehends in den Videoprojektionen (Thors­ten Hallscheidt) von abgestorbenen Seefarnen, während die Jugendlichen jubelnd den Dampfer begrüßen, der den fremden Mann zurückbringt, den sie begehrt und vor dem sie sich fürchtet. Der eiserne Vorhang schließt sich zur Pause, als sei schon vorbei, was danach erst seine ganzen Schrecken entfaltet.
Das Haus ist ­verschwunden; ­Bolette, Hilde und Lyngstrand genießen die Sonne am grauen Strand. Auf umgestürzten Stühlen behaupten die Männer ihr patriarchalisches Weltbild. Als Arzt und Gatte gibt der verzweifelte Wangel seine Ellida schließlich frei, damit sie selbst über ihr Schicksal entscheiden kann. Völlig verstört steht sie zwischen den Trümmern ihrer Sehnsucht und weiß nicht, wohin mit ihren Erwartungen. Der Fremde, dem sie sich tief verbunden fühlt, erscheint nicht. Die erlösende Heimkehr ins Biedermeier-Glück ist kaum noch denkbar. Die schöne Robbenfrau, Frau vom Meer will zurück in ihr nasses Element. Ob sie fortschwimmt oder an Land bleibt, lässt die Inszenierung offen.
Das großartige Ensemble verleiht indes jeder der sechs Figuren ein facettenreiches Profil. Langer, überzeugter Beifall auch bei der sehr gut besuchten zweiten Vorstellung. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2¼ Std. inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
20.05. ? 26.05. ? 10.06. ? 22.06. ? 28.06. ? 07.07.17

Donnerstag, 31.08.2017

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