Es kann nur einer Sieger sein (Fringe-Ensemble) - Theater im Ballsaal - kultur 134 - März 2017

Es kann nur einer Sieger sein (Fringe-Ensemble)
Foto: Thomas Morsch
Es kann nur einer Sieger sein (Fringe-Ensemble)
Foto: Thomas Morsch

Erfolgreiches Sterben


Das Premierendatum 20. Januar 2017 war tatsächlich purer Zufall. Der an diesem Tag inaugurierte neue Präsident der USA wäre mit dem Titel Es kann nur einer Sieger sein aber gewiss einverstanden gewesen. Die Story des neuen Stücks des lettischen Theater-und Drehbuchautors, Schauspielers und Filmemachers Ivo Briedis ist ebenso simpel wie bizarr: Eine kleine Werbeagentur hat den Auftrag für eine Kampagne zur Sterbehilfe erhalten. Nur mit den Alten und Kranken ist das Geschäftsmodell leider nicht rentabel. Den auf Englisch gerappten Slogan „Euthanasie für alle“ hält der Boss immerhin für einen ausbaufähigen kreativen Ansatz. Wie wär‘s mit „Death is the New Life“ (klingt ein bisschen zu sehr nach Selbstmord-Terrorismus) oder kurz und knapp „NRP“ (Now Rest in Peace), verbunden mit der Aufforderung „Just Do It“ und entsprechenden Vertragsunterlagen frei Haus? Inkl. Che-Guevara-Button, damit’s nach Revolte aussieht und nicht nach Niederlage.
Gleichzeitig sucht ein General nach der optimalen Lösung für die Ausschaltung des menschlichen Selbsterhaltungsinstinkts. Reichtum, Einfluss, Macht, Sieg, Zerstörung der Konkurrenz – militärische Vokabeln sind präsent im Kampf um die vorderen Positionen in der global vernetzten Welt. Briedis‘ These lautet schlicht und böse: „Frieden ist Krieg“. Die Propaganda-Maschinerie produziert derweil Notsituationen, optimistische Visionen und ‚elastische‘ Wahrheiten. Der Regisseur Frank Heuel und sein Fringe-Ensemble machen daraus eine irritierende Performance zwischen Realität und Illusion. Ein wiederkehrendes Motiv ist der General als Gliederpuppe in dem Stop-Motion-Film, den Briedis zusammen mit dem Videokünstler Peteris Kimelis 2016 in Riga drehte. Bühnen- und Kostümbildnerin Annika Ley holt die leblose Marionette zurück in eine andere Gegenwart und konfrontiert die technische Animation mit echten Schauspielern.
In einer Szene erscheinen Maria Munkert und Laila Nielsen live auf der Bühne und per Video vor grüner Regenwaldkulisse mit romantischem Wasserfall. Nichts ist so, wie es scheint in dieser Mischung aus digitalisierter und wirklicher Präsenz. Andreas Meidinger (nebenbei auch zuständig für das diffizile Sound-Design) beweist in jeder Situation seine sprachliche und darstellerische Souveränität. Wobei Darstellung hier wörtlich zu begreifen ist, denn die Bühnenfiguren sind immer auch Projektionen. Das winzige Studio der Sterbe-Utopisten: Eine von angestellten Graffiti-Künstlern bemalte Kulisse. Die Intensivstation fürs sanfte Wegdämmern ins Jenseits: Per Livestreaming im Netz zu verfolgen bis zum letzten Atemzug.
Den einsamen alten Mann am Ende spielt Regisseur Heuel selbst. Und zwar so, dass es einem kalte Schauer einjagt. Auf die schöne Wohnung warten schon die treusorgenden Nachkommen. Zumal der Sterbehilfevertrag bereits unterschrieben ist. Ein wenig Geduld noch, dann wird der rechtzeitige Tod zur sozialen Pflicht. Denn die Welt verlangt nach Siegern. Der Rest bleibt nach ca. 70 konzentrierten Minuten im bes­ten Sinn fragwürdig. Bei der Uraufführung im ausverkauften Ballsaal verdienter langer Beifall für das Bühnen-­Ensemble und den anwesenden Autor.

Weitere Vorstellungen in Bonn sind geplant. Im Mai ist die Produktion mit lettischen Schauspieler/innen in Riga zu erleben.
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Unser Tipp: „Fremdkörper“ am 11./12. März im Theater im Ballsaal.
Eine Prostituierte wartet in ihrer Eigentumswohnung auf Kundschaft. Ein Obdachloser wartet in der Unterführung am Bahnhof auf das Ende der Nacht. Ein Bodybuilder steht auf der Bühne und wartet auf das Urteil der Jury. Der Bonner Autor Lothar Kittstein hat mit diesen drei Menschen jeweils ein Interview geführt. Seine Textfassung offenbart ein Mosaik menschlicher Sehnsüchte und Ängste. Im Mittelpunkt steht der menschliche Körper. In der Regie von Frank Heuel spielen Maria Munkert und Andreas Meidinger.
Das ca. 60-minütige Stück wurde im April 2016 im Dialograum St. Helena uraufgeführt im Rahmen des Projekts „Leibeigenschaften“, veranstaltet u.a. vom Katholischen Bildungswerk Bonn, dem Evangelischen Forum und der Theatergemeinde Bonn. E.E.-K.

Donnerstag, 31.08.2017

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