Ulrike Folkerts - kultur 133 - Februar 2017

Annäherung an Grass:
Ulrike Folkerts liest zusammen mit Clemens von Ramin und Schlgzeuger Stefan Weinzierl aus „Die Blechtrommel“

von Thomas Kölsch

„Eigentlich mache ich um große Wälzer immer einen großen Bogen“, gesteht Ulrike Folkerts lachend. „Ich bin keine schnelle Leserin, lasse mir gerne Zeit, und einen Monat für ein Buch ist mir eigentlich zu viel. Deshalb habe ich immer einen großen Bogen um Grass gemacht.“ Bis jetzt. Denn seit kurzem widmet sich die Schauspielerin, die viele nur als „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal kennen, in einem ganz besonderem Programm dem berühmtesten Roman des 2015 verstorbenen Schriftstellers: Der Blechtrommel. Zusammen mit dem Rezitator Clemens von Ramin und dem Schlagzeuger Stefan Weinzierl nimmt sie sich des Schick­sals von Oskar Matzerath an, jenem seltsamen, scheinbar ewigen weil ab dem dritten Geburtstag nicht mehr wachsenden Kind, das als Protagonist des Meisterwerks fungiert. „Ich darf ja die Passagen lesen, in denen Oskar aus der Innensicht heraus erzählt“, erklärt Folkerts. „Diese Perspektive finde ich unglaublich reizvoll, weil Oskar eine einzigartige Sicht auf den in seiner Jugend aufkommenden Nationalsozialismus und das Kleinbürgertum besitzt.“

Die ursprüngliche Idee für diese Art von Lesung stamme von Stefan Weinzierl, betont Folkerts. „Der hat damals Clemens von Ramin angesprochen, und der wiederum hat mich überzeugt. Er und ich haben vor Jahren bei einem Film zusammengearbeitet, Clemens damals noch als Tonmeister. Er wollte unbedingt Sprecher werden, und so habe ich ihm ein paar Kontakte vermittelt. Ein ganz lieber Mensch mit einer fantastischen Stimme. Als er mir das Konzept erklärte, war ich sofort fasziniert und habe mich auf diesem Wege Grass wieder angenähert.“ Zumal der Text auch heute noch aktuell ist. „Wir leben in unruhigen Zeiten“, sagt Folkerts. „In ganz Europa stellen wir einen Rechtsruck fest, bei dem eigentlich alle Alarmglocken schrillen müssten. Schlimm finde ich dabei, dass wir alle Menschen kennen, mit denen man sich eigentlich gut versteht und die dann auf einmal Positionen etwa gegenüber Flüchtlingen vertreten, bei denen man sich nur noch wundern kann.“ Eine „Aura des Miefs“ hat Hans Magnus Enzensberger dies einst genannt, ein ideologischer Dunstschleier, der vieles entweder vernebelt oder erstickt.

Auch Oskar Matzerath ist kein Unschuldsengel. „Er hat schlechte Vorbilder“, entschuldigt Folkerts dies und lacht. „In manchen Situationen kann ich mich aber schon gut in ihn hineinversetzen. Vor allem wenn er seine Stimme erhebt, weil er nicht kriegt, was er will – dieses Rumpelstilzchen-Verhalten kenne ich von mir selbst auch.“ Andererseits hat sie sich auf diese Weise auch schon des öfteren durchgesetzt: „Ich bin sowohl beim Tatort als auch im Jedermann (2005 und 2006 war Folkerts bei den Salzburger Festspielen die erste Frau in der Rolle des Todes; Anm. d. Red.) in eine Männerdomäne hineingekommen und habe diese trotz mancher Kontroversen geöffnet“, bekräftigt die 55-Jährige. „Beides hat mir sehr viel gebracht, ebenso wie diese Lesung. Durch sie lerne ich wieder einen ganz anderen Bereich von Sprache kennen, und auch wenn ich mitunter immer noch an diesen Bandwurmsätzen hängenbleibe, die scheinbar ohne Punkt immer weiter und weiter gehen, habe ich doch inzwischen einen ganz anderen Zugang zu Autoren wie eben Grass mit ihrer bildgewaltigen Sprache. Außerdem macht es einfach riesigen Spaß, mit Clemens und Stefan auf der Bühne zu stehen.“ Was eine Stimme eben alles ausmachen kann. „Ja“, lacht Folkerts, „aber die Fähigkeit von Oskar, Glas zu zerschreien, möchte ich trotzdem nicht haben. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich lieber die Bezaubernde Jeanny.“ Wäre auf jeden Fall ein charmantes Projekt für die Zukunft. Und bis dahin? „Erst einmal drehen wir jetzt einen weiteren Tatort, danach geht es mit der Blechtrommel weiter“, sagt Folkerts. „Und zwischendrin lese ich zur Entspannung Nino Haratischwilis Roman Das achte Leben“. Einen Wälzer mit rund 1200 Seiten? Da hat die Beschäftigung mit Grass wohl einiges bewegt.

Donnerstag, 13.04.2017

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