Schwanensee - Gastspiel Bolschoi Ballett Belarus - Oper Bonn - kultur 132 - Januar 2017

Beseelter Spitzentanz


Schwanensee ist geradezu ein Synonym für klassisches Ballett. Das Bonner Gastspiel mit dem Bolschoi Ballett Belarus könnte fast süchtig machen nach Tschaikowskys berühmtem Meisterwerk. Das liegt nicht nur an dem stupenden tänzerischen Können der großen Truppe aus Minsk, die sich auch als Kulturbotschafter Weißrusslands versteht. Die Inszenierung des künstlerischen Leiters Juri Trojan, der am ersten Abend in Bonn zum langen Applaus auch selbst auf die Bühne kam, erzählt das romantische Märchen vom Sieg der Liebe über die bösen Mächte zutiefst berührend. Das Schöne daran: Die bekannten ‚Nummern‘ der traditionellen Choreografie von Petipa, Iwanow und Gorsky wirken bei aller technischen Brillanz nicht mechanisch, sondern sozusagen ‚beseelt‘. Allen voran Oleg Jeromkins Prinz Siegfried, dessen kraftvolle Grand Jetés und luftige Pirouetten die verwirrten Gefühle des jungen Mannes ausdrücken, der einem geheimnisvollen Zauber verfallen ist. Primaballerina Ljudmilla Chitrowa ist als weiße Schwanenkönigin Odette das überirdisch zarte Traumwesen, dem die Elemente Luft und Wasser als Lebensraum geblieben sind. Kalt verführerisch dagegen erscheint sie dagegen als schwarze Odile, die Siegfried kokett in ihren Bann zieht, während sein Herz nach der unglücklichen Odette verlangt. Der vom bösen Zauberer Rotbart (als perfider Dämon: Anton Krawtschenko) heimlich gelenkte schwarze Pas de deux ist frostig-glühende Leidenschaft mit Gänsehaut-Effekt.
Viel dazu bei trägt die vom Opernorchester des Minsker Staatstheaters eingespielte Musik, die hier zwar leider ohne Nennung des Dirigenten und der Solisten (Geige und Harfe liefern pure Poesie) aus der Konserve kommt. Dennoch wird quasi jede Note tänzerisch pointiert. Hinreißend schön besonders in den großen weißen Ensembles der Schwanenmädchen (natürlich dürfen die vier kleinen Schwäne mit ihrem munteren Pas de Chat nicht fehlen), die mit fabelhafter Präzision gleichsam schwerelos über den See schweben.
Für den magischen Nebel zu Beginn des dritten Akts gab’s bei der ersten Vorstellung sogar Extrabeifall. Die liebevoll gemalten Bühnenprospekte sind eine Augenweide, ebenso wie die kostbaren Kostüme, die laut Ankündigung mit über tausend Swarovski-Kristallen geschmückt sind. Angesichts der funkelnden Pracht darf man die Zahl für deutlich untertrieben halten und bei den rekordverdächtigen Sprüngen, Kapriolen und Drehungen das Zählen einfach vergessen. Wie der melancholische Prinz, der sich bei der großen Brautschau und den aus aller Welt herbeizitierten volkstümlichen Intermezzi vom Hof seiner Mutter zurückzieht und das ewige Glück im Reich der Naturgeister findet. Entschieden von dieser Welt ist der quirlige Hofnarr (ungemein beweglich: Takatoschi Matschijama), der energisch sein Recht auf freche Ironie behauptet.
Auf Weltklasse-Niveau agierten alle – mehrere Solisten sind Preisträger internationaler Wettbewerbe – in gut zweieinhalb Stunden (inkl. zwei Pausen). Über alle körperlichen Spitzenballett-Kunststücke und musikalischen Ohrwurm-Motive hinaus jedoch so, dass die Gefühle spürbar werden, die diesen wundervollen Schwanensee unvergesslich machten.
E.E.-K.

Dienstag, 24.01.2017

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 10:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn