Terror - Contra-Kreis-Theater - kultur 129 - Oktober 2016

Das Geheimnis der drei Tenöre
Foto: Contra-Kreis-Theater
Das Geheimnis der drei Tenöre
Foto: Contra-Kreis-Theater

Recht oder Gerechtigkeit?


Selten wurde in der Pause so kontrovers diskutiert wie bei der Premiere von Terror im Contra-Kreis-Theater, das das bundesweit auf vielen Bühnen präsente Stück gemeinsam mit dem Jungen Theater Bonn produziert hat. Dessen Haus in Beuel wird derzeit renoviert. Die Kooperation ist freilich nicht nur deshalb ein Glücksfall, sondern auch, weil hier ein Fall verhandelt wird, der virulente Fragen aufwirft.
Angeklagt ist Lars Koch, Major der deutschen Luftwaffe. Er hat gegen alle militärischen Befehle und gesetzlichen Vorschriften eine Zivilmaschine abgeschossen, die von einem muslimischen Terroristen gekapert wurde und in ein ausverkauftes Fußballstadion stürzen sollte. Er hat also 164 Menschen getötet, um 70.000 zu retten. Die deutsche Verfassung lässt es aus guten Gründen nicht zu, quantitativ Leben gegen Leben aufzuwiegen. Es widerspricht nicht verhandelbaren humanen Grundsätzen, Menschen zu Objekten zu degradieren und ihnen damit ihre Würde zu nehmen.
Regisseur Lajos Wenzel, stellvertretender Intendant des JTB, hat die Verhandlung klar und nüchtern inszeniert. Keine Ablenkung vom Problem, keine vordergründigen Theatereffekte. Das Bühnenbild von Thomas Pfau ist ein kühler Gerichtssaal, in dem die Zuschauer als Schöffen fungieren. Nur die Gesichter der Zeugen, die mit dem Rü­cken zum Publikum ihre Aussagen machen, werden per Live-Kamera auf einen Monitor übertragen. Bernhard Dübe spielt den freundlich souveränen Vorsitzenden des Hohen Gerichts, der die Anwesenden ermahnt, ihre Entscheidung verantwortungsvoll zu fällen. Das wird nicht einfach angesichts der vielfältigen Argumente.
Da ist der am betreffenden Abend zuständige Offizier Lauterbach (als kalter Technokrat beeindruckend: Thomas Kahle), der alle Vorschriften und mechanischen Details perfekt kennt, aber schon auf die naheliegende Frage („Warum wurde das Stadion nicht geräumt, obwohl genügend Zeit vorhanden war?“) keine Antwort hat. Die Staatsanwältin (Kerstin Gähte) hat eine Menge stichhaltiger Argumente für die Schuld des Angeklagten, aber nicht das schauspielerische Format von dessen lässig-gescheitem Verteidiger. Volker Risch zieht in dieser Rolle alle rhetorischen und moralphilosophischen Register für seinen Mandanten.
Bernard Niemeyer verkörpert perfekt den hochintelligenten Elitesoldaten, der ein extrem anspruchsvolles Auswahlverfahren mit Bestnoten durchlaufen hat („Es gibt mehr hochqualifizierte Herzspezialis­ten als Kampfpiloten.“). Nur durch minimale Regungen wird deutlich, wie ihn die monatelange Untersuchungshaft angegriffen hat. Lars Koch ist kein Mörder, handelte nicht aus niedrigen Beweggründen oder eigennützig, sondern in seinem Denksystem zweifellos verantwortungsbewusst.
Es gibt jedoch einen Menschen auf der Bühne, der das Leid erfahren hat. Katharina Felschen in der Rolle der Krankenschwester Franziska Meiser, deren Mann in dem Flugzeug saß und eine letzte SMS schick­te: Wir versuchen, ins Cockpit zu gelangen und den Attentäter zu überwältigen. Sinngemäß, denn ihr Handy wurde von der Polizei beschlagnahmt. Aber was wäre, wenn die Passagiere von Linienflug LH 2047 es geschafft hätten, bevor das tödliche Geschoss einschlug, die Trümmer auf einem Kartoffelacker landeten und die Kampfjets nach getaner Arbeit zum Stützpunkt zurückkehrten?
Das Premierenpublikum entschied pragmatisch mit 167 zu 61 abgegebenen Stimmen (der Rest im ausverkauften Theater enthielt sich) auf Nicht-Verurteilung des Angeklagten: Freispruch wegen übergesetzlichen Notstands. Das liegt im üblichen Durchschnitt, die mögliche Schuldspruch-Variante des Dramas kommt so gut wie nie auf die Bühne. Aber was passiert, wenn wir Rechtsnormen in einem Einzelfall aufgeben und damit der plebiszitären Willkür Tür und Tor öffnen? Unter Umständen sogar, weil einer der Juristen der bessere Schauspieler ist? Der Fall ist verdammt kompliziert, hat als Theater aber das Zeug zum Renner der gerade angefangenen Saison. Unbedingt sehenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Std. inkl. einer Pause
die nächsten Termine:
täglich ausser montags bis 23.10.16
Sondervorstellungen für Oberstufen-Kurse
an Schulen sind bereits vorgesehen.

Donnerstag, 15.12.2016

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