Das Schloss - Kammerspiele - kultur 128 - Juli 2016

Das Schloss, Kammerspiele, Theater Bonn
Foto: Thilo Beu
Das Schloss, Kammerspiele, Theater Bonn
Foto: Thilo Beu

Hoffnungslose Parabel


Es ist kalt in diesem gottverlassenen Provinznest am Fuß des Schlosses Westwest. Anscheinend ist das Auto des Landvermessers K. im Schnee steckengeblieben. Im von Kunstschnee-Massen bedeckten Bühnenbild von Petra Winterer liegt gegenüber von seinem Wagen ein merkwürdiges Objekt, das an eine abgestürzte Raumkapsel erinnert. Hinten sieht man eine Art Bungalow, hinter dessen Jalousien die Dorfbewohner den Eindringling misstrauisch belauern. Buchstäblich hereingeschneit in eine Gemeinschaft, die nach ebenso festen wie undurchschaubaren Regeln agiert.
In der Mitte der Drehbühne steht ein gläserner Kubus: Die Gasthöfe sind auf einen Kiosk geschrumpft, in dem sich mal das halbe Dorf tummelt, dann wieder eisige Leere herrscht.
Regisseurin Mirja Biel hat zusammen mit der Dramaturgin Johanna Vater eine Bühnenfassung von Kafkas Romanfragment erarbeitet, die die literarische Vorlage vergegenwärtigt, ohne ihre beklemmende Rätselhaftigkeit mutwillig anzutasten. Das Schloss bleibt unsichtbar, das Dorf ein atmosphärisch bedrohlicher Nicht-Ort. Seltsam aus der Welt gefallen erscheint der von Hajo Tuschy verkörperte K., der angeblich von der Schlossverwaltung bestellt wurde, aber offensichtlich unwillkommen ist. Eigentlich ein ganz netter Typ mit Pudelmütze und Jeans. Aber was treibt ihn an, hier arbeiten zu wollen und sich mit allen Mitteln ein Bleiberecht zu erobern? Wieso bemüht er sich unermüdlich um die Aufmerksamkeit des herrschenden Beamtenapparats, der emsig selbstgenügsam sein Verwaltungsgeschäft betreibt? Welche Rolle spielt dabei dieser nie erscheinende mächtige Klamm, der die Menschen zu Marionetten eines Regimes macht, von dem er vermutlich gesteuert wird, während dahinter ein weiteres System wirkt?
Tuschy ist zugleich Erzähler und erzählte Figur, der im Verlauf der Geschichte Selbstbewusstsein abhandenkommt und zuwächst.
Daniel Breitfelder spielt tänzelnd grotesk seine nichtsnutzigen Gehilfen, Robert Höller den bürgerlichen Lehrer in brauner Cordhose, der dem Fremdling immerhin eine demütigende Anstellung als Schuldiener zubilligt. Johanna Falckner spielt die reizende Kellnerin Frieda, mit der K. lieblos anbandelt, um mit seiner Anerkennung weiterzukommen. Die ehrgeizige junge Frau hat jedoch eigene Wege im Sinn. Als grotesk aufgetakelte Brü­ckenhofwirtin zwitschert und kreischt Birte Schrein durch die angstbesetzte Enge. Bernd Braun als Herrenhofwirt spielt perfekt den ironischen Fiesling, den nichts mehr erschüttern kann. Sören Wunderlich gibt überzeugend den brutal gedemütigten Boten Barnabas, dessen Familie zu den Underdogs gehört, seitdem seine Schwester Olga sich den sexuellen Avancen des hohen Beamten Sortini verweigerte. Mareike Hein hat als zärtlich-robust Mitleidende einige der wenigen berührenden Momente der Inszenierung, die ansonsten brav Außenseitertum vorführt.
Die Gespräche im Auto oder in der Raumkapsel werden live per Video übertragen (der Dichter war ein bekennender Kino-Fan), Zitate aus Kafkas Briefen an die Schwester Otla und diverse Geliebte klingen an. Benjamin Grüter als korrekter Beamter Momus gewährt K. in dem zur Sauna mutierten Glas­kas­ten ein vernebeltes Verhör. Gelegentlich schrillt das Telefon mit Anweisungen vom Schloss; die Verbindungen zur Außenwelt sind gestört wie die kommunikative Verstörung der Einwohner des tristen Gespens­terortes, durch den gelegentlich eine Schar von Kindern huscht. Lauter kleine Monster, vom System abgerichtet zu Funktionen.
K. verweigert sich dem unerhörten Protokoll und schläft kurz vor dem Ziel seiner Wünsche erschöpft ein. Wahrscheinlich für immer verfangen in einer endlosen Warteschleife. Das kann man tödlich langweilig finden oder als Sinnbild eines einsam gegen die Sinnlosigkeit aller Anstrengungen revoltierenden flüchtigen Individuums begreifen. Sehenswert ist die bei der Premiere nicht mit Riesenjubel überschüttete Aufführung trotzdem. Ihre gedankliche und ästhetische Präzision ist literarisch fein gesponnen, sinnlich dramatisch jedoch nicht aufregend. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Std. inkl. einer Pause
die nächsten Termine :
07.07. ? 09.07. ? 24.09. ? 1.10. ? 30.10.16

Donnerstag, 13.10.2016

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